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Novemberdepressionen

 

 

Depressionen sind eine unterschätzte Krankheit. Viele sind davon betroffen. Manche lassen sich das nicht anmerken. Sie wirken ruhig und entspannt. Im Inneren sind sie jedoch aufgewühlt. Auch Prominente sind davon betroffen: Schauspieler, Sänger, Politiker und auch Sportler. Vor etwa neun Jahren, am 10. November 2009 erregte ein Fall dazu große Aufmerksamkeit bei der breiten Öffentlichkeit.

 

An diesem Tag hatte ich mich mit einem Freund auf ein paar Bier getroffen und kehrte gut gelaunt nach Hause zurück. Ich schaltete den Computer ein und begab mich auf die Internetseite der Fans der Folkrock-Gruppe Runrig, wo allabendlich ein Chat war, an dem es immer sehr lustig zuging. Nicht so an diesem Tag. Ich hatte mich kaum angemeldet, als auch schon ein Freund schrieb: „Matthias, hast du schon gehört, dass Robert Enke tot ist?“ Ich war völlig verdattert. Jeder in dem Forum wusste, dass ich aus Hannover kam und Fußballfan war. Und Robert Enke war seinerzeit sehr bekannt, er war Nationaltorwart und hatte für seine Mannschaft, Hannover 96, viel geleistet. Bei den Fans war er sehr beliebt. Warum sollte so jemand plötzlich sterben?

 

Daher schaltete ich das Radio und später den Fernseher ein. Robert Enke hatte sich in Eilvese, das zu Neustadt am Rübenberge gehört, an einem Bahnübergang vor einem Zug geworfen. Er hatte sich mit seinem Auto dahin begeben und vorgetäuscht, zum Training nach Hannover zu fahren. Doch an diesem Tag war gar kein Training angesetzt. Das erfuhr seine Frau aber erst, als sie besorgt beim Verein anrief, weil ihr Mann nicht zurückkehrte.

 

Erst nach und nach wurde bekannt, was der Hintergrund für den Tod von Robert Enke war, zunächst ging man von einem Unfall aus. Doch dann gab seine Frau bekannt, dass er seit vielen Jahren unter Depressionen litt und seit 2003 deswegen in Behandlung war. Außerdem hinterließ er seinen Abschiedsbrief, in dem er Fans, Angehörige und die Ärzte um Verzeihung für seinen Schritt bat.

 

Das löste große Betroffenheit und Bestürzung in ganz Deutschland aus und brachte eine riesige Diskussion in Gang, in deren Folge sich viele andere Prominente outeten, die ebenfalls unter dieser Krankheit litten, unter anderem Andreas Biermann, ein anderer Fußballprofi. Wie schnell und gedankenlos kritisiert man Sportler, Schauspieler und Politiker, weil man der Meinung ist, dass sie schlechte Leistungen geboten haben, ohne in Erwägung zu ziehen, was das bei den Kritisierten verursacht!

 

Ganz Hannover und das Umland war paralysiert. So war es kein Wunder, dass bei der Trauerandacht am 11. November die Marktkirche, unsere evangelische Hauptkirche, völlig überfüllt war. Die Ansprache wurde daher auch nach draußen übertragen. Ich begab mich auch dort hin. Margot Käßmann, die Landesbischöfin fand dabei unter anderem folgende Worte:

Alle Vermutungen, die große Frage nach dem Warum, sie sollten wir mit großer Vorsicht behandeln. Jetzt ist die Zeit der Trauer um einen Menschen, der vielen Jugendlichen und Erwachsenen viel bedeutet hat. Der ihnen Vorbild war, Hoffnungsträger. Ein Sportler, der seinen hundertprozentigen Einsatz für seinen Sport mit sozialem Einsatz verbunden hat. Ein Mann, dessen Umgang mit seiner kranken Tochter und ihrem Tod uns alle berührt hat. Ein Mann, der so viel zurücklässt, was ihm kostbar und wertvoll war.
An ihn denken wir heute Abend in dieser Andacht. Wir denken an Teresa Enke und ihre kleine Tochter, die ein neues Familienleben aufbauen wollten.

Wir denken heute Abend an die Mannschaftskollegen in Hannover und in der deutschen Nationalmannschaft, die Trainer und Betreuer und an alle Fans, die die Nachricht gestern so sehr getroffen hat.

 

Das war sehr bewegend, allen die dabei zuhörten, standen die Tränen in den Augen. Gemeinsam marschierte man nach dem Gottesdienst zum nahegelegenen Niedersachsenstadion (den Sponsornamen verschweige ich hier). Dort lagen bereits Hunderte von Kerzen, Stofftiere, Blumen und Wimpel als Zeichen der Trauer.

 

Am 15. November fand dann im Stadion die Gedenkfeier für Robert Enke statt. 40.000 Menschen waren gekommen. Das Ganze wurde live im Fernsehen übertragen. Gut ein Jahr später wurde ein vor dem Stadion gelegenes Teilstück des Arthur-Menge-Ufers in Robert-Enke-Straße umbenannt. Später wurde die Robert-Enke-Stiftung gegründet, deren Zweck unter anderem die Aufklärung über Depressionen ist.

 

Niemand sollte diesen Weg wählen, den Robert Enke gegangen ist, so verzweifelt man auch sein mag. Auch wenn es schwerfällt: Das Verschweigen der inneren Zerrüttung macht das Ganze nicht besser! Anderseits sollte man auch nicht leichtfertig andere Leute kritisieren oder sich gar über sie lustig machen.

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 31.10.2018

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