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Herbert und das Therapietier

 

 

 

Ich bin Herbert Hundertmark und Nervenarzt, wie Sie schon wissen. Wie Sie sich vielleicht erinnern, bin ich neulich nach Afrika gereist, um eine Netzgiraffe als Therapietier zu fangen. Das hat bekanntlich nicht so gut geklappt, wie ich dachte, so dass ich mit einer Säbelantilope zurückkam. Ich verbrachte das Tier in eine Transportbox, welche man normalerweise für große Hunde verwendet und hatte beim Aufgeben im Flughafen von Nairobi keinerlei Probleme. Der Ärger ging erst wieder in Deutschland los. Dort, am Frankfurter Airport sind die aber so etwas von pingelig. Was die alles für Papiere haben wollten: Einfuhrgenehmigung, Impfpass, Gesundheitszeugnis und Kaufbeleg. Ich erklärte händeringend die Eilbedürftigkeit und konnte schließlich meinen Bruder Kunibert erreichen, der ist doch Anwalt. Der Kunibert drohte mit einer Millionenklage und mein anderer Bruder, der Norbert, der ja Programmdirektor bei TELE 12 ist, wollte die Sache ganz groß in der Sendung „Für Sie aufgedeckt“ herausbringen. Das hat dann gefruchtet!

 

So konnte ich mit „Elfriede“, wie ich die Antilope unterdessen nannte, nach Hause fahren. Dort sollte sie dann auf Frau Becker, meine Patientin, treffen. Aber leider kam es nicht dazu. Kurz vor Buxtehude musste ich stark bremsen, weil der Kleintransporter vor mir ins Schleudern geriet. Demzufolge rutschte ich mit meinem Wagen in den Graben, was Elfriede nicht gut bekam. Sie überlebte zwar, brach sich aber das rechte Horn ab. Das sah sehr seltsam aus. Nun gab es drei Möglichkeiten: Erstens konnte ich Elfriede meiner Patientin als Einhorn unterjubeln, zweitens konnte ich das abgebrochene Horn wieder anbringen, wozu ich bei meinem technischen Geschick sicherlich in der Lage gewesen wäre oder ich konnte drittens einen Plan B hervorholen.

 

Ich entschied mich für die dritte Variante. Doch was sollte ich machen? Mein Bruder Hubert riet dringend von der Verwendung von Goldhamstern oder Goldfischen als Therapietier ab. Er wusste nämlich, dass diese trotz des verheißungsvollen Namens keinerlei Gold enthielten, und dass man als Verbraucher hier mal wieder hinters Licht geführt wurde. Darüber hinaus haben Goldfische meistens Schuppen, wogegen auch das beste Shampoo nicht hilft. Hubert hatte das selbst überprüft und sowohl den Tierhändler als auch den Shampoo-Hersteller angezeigt. Kunibert freute sich über diese Aufträge. Unverständlicherweise läuft seine Kanzlei nämlich ziemlich schlecht, obwohl er doch nach weit über fünfzig Semestern genug Fachwissen angesammelt hat.

 

Aber zurück zu Frau Becker. Nach telefonischer Rücksprache mit ihr wollten wir in den nahe gelegenen Safaripark fahren. Dort gibt es sogar Netzgiraffen! Jetzt fragen Sie sich sicher, warum ich nicht gleich dahin gefahren bin, anstatt nach Afrika zu düsen. Nun, das ist mir etwas peinlich: Die gesamte Familie Hundertmark hat dort nämlich Hausverbot. Der Vorfall liegt schon einige Jahre zurück, aber davon soll Hubert näher berichten.

 

Um mich zu tarnen setzte ich mir eine dunkle Sonnenbrille auf, klebte mir einen Vollbart an und setzte mir einen Hut auf. Frau Becker war tief erschrocken, als sie mich so sah. Offenbar rief meine Verkleidung irgendwelche Ängste in ihr hervor. Hatte sie eventuell eine Phobie? Lag da ein traumatisches Erlebnis in ihrer Kindheit vor? Das konnte nur mit einer Rückführung geklärt werden. Es könnte sein, dass sie unter schweren Selbstvorwürfen litt. Das ist nicht gut. Man kann daran zerbrechen. Depressionen sind schlimm, man wird davon krank, auch körperlich. Ich werde versuchen, ihr zu helfen. Aber sie muss es auch wollen. Ansonsten funktioniert das nicht.

 

Ich fragte sie: „Sind Sie schon einmal hypnotisiert worden, Frau Becker? Viele meiner Kollegen halten das für Firlefanz, aber ich habe große Erfolge damit erzielt. Vielleicht fällt es Ihnen dann leichter darüber zu sprechen. Gewissermaßen ist dann Gestern für Sie ein neuer Tag. Das ist natürlich nur symbolisch gemeint. Wollen wir das versuchen?“ Sie zuckte mit den Schultern.„Ich kann verstehen, dass Sie misstrauisch sind, Frau Becker. Aber ich garantiere Ihnen, dass es Ihnen nicht schaden wird. Legen Sie sich auf das Sofa und entspannen Sie sich.“ Sie folgte meiner Anweisung. „Frau Becker, Sie werden jetzt ganz müde. Vertreiben Sie alle böse Gedanken, die Sie belasten. Denken Sie an einen warmen Sommertag. Sie liegen auf einer Wiese. Die Vögel zwitschern, Schmetterlinge fliegen umher, die Blumen duften herrlich...“

 

Frau Becker reagierte wie gewünscht und erwachte zehn Minuten später. Sie rief: „Es hat tatsächlich funktioniert, Herr Doktor. Ich habe Bilder aus meiner Kindheit gesehen. Nicht nur das, ich habe Musik gehört. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Wie haben Sie das gemacht?“ „Sehr schön, Frau Becker. Aber was ist jetzt die Ursache Ihrer Ängste und Ihrer Wut?“ „Ich war acht Jahre alt. Ich konnte nicht einschlafen. Aus dem Schlafzimmer meiner Eltern drang laute Musik, die ich nicht mochte. Ich stand auf und klopfte. Da Mutti und Vati nicht reagierten, ging ich ins Zimmer. Da lag meine Mutti mit einem anderen Mann im Bett. Der sah genau so aus wie Sie jetzt!“

 

Das war also die Erklärung für das seltsame Verhalten meiner Patientin. Aber warum hatte sie Angst vor Hunden? Ich versetzte Frau Becker erneut in Hypnose. Sie legte sich wieder auf das Sofa. „Sie entspannen sich jetzt, Frau Becker. Lassen Sie die negativen Erinnerungen verschwinden, vertreiben Sie sie. Denken Sie an etwas Schönes, zum Beispiel Ihrem Geburtstag.“ Es klappte wieder, meine Patientin verfiel in Hypnose und erwachte danach. „Herr Doktor. Ich habe mich daran erinnert, als ich achtzehn wurde. Es gab eine große Party. Ein Freund von mir brachte die Musik mit. Plötzlich war da dieses Stück. Das war genau das gleiche, dass ich damals im Schlafzimmer meiner Eltern hörte. Ich wollte unbedingt wissen, wie das hieß. Es war Dirty Dog von ZZ Top!“

 

Damit war der Fall geklärt. Jetzt muss ich mir noch überlegen, was ich mit dem Therapietier machen soll. So eine Säbelantilope ist doch eigentlich lieb und friedlich, auch wenn ihr ein Horn fehlt. Benötigen Sie zufällig eine? Ich würde sie kostengünstig abgeben.

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Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 07.10.2018

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