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Oskar, der Superkater

 

 

 

 

Die coolste Katze, die ich je hatte, ist Oskar. Er ist groß und kräftig, aber sehr sanft. Das ist typisch für seine Rasse, denn er ist eine Maine-Coone-Katze, die mit den norwegischen Waldkatzen und den sibirischen Katzen eine Gruppe bilden, die als Naturrassen gelten, also nicht überzüchtet sind.

 

Umso überraschter war ich, als ich nach etwa vier Monaten, nachdem ich Oskar übernahm, seine besonderen Fähigkeiten entdeckte, das war kurz nach seiner Kastration. Ich hatte ihn vom Tierarzt abgeholt und er hatte noch seine Plastikkrause um den Hals, die verhindern sollte, dass er sich die Fäden abbeißt.

 

Als ich ihn aus der Transportbox nahm, knurrte er und sagte: „Das wäre nicht nötig gewesen.“ Das verblüffte mich dann doch, denn normalerweise sind Katzen ja eher schweigsam und führen keine längeren Konversationen mit ihren Menschen. Nicht so Oskar. Ich guckte entsprechend dämlich aus der Wäsche und entgegnete: „Nun, äh, das mit der Halskrause war schon nötig, damit du dir nicht die Fäden abknabberst. Aber sage mal: warum kannst du denn sprechen? Und warum hast du vorher nicht etwas gesagt?“

 

Oskar erhob sich und stand auf zwei Beinen vor mir. Seine imposante Größe wurde dabei deutlich. Empört sagte er: „Ich meine doch nicht dieses blöde Plastikding. Ich meine die Klöten, die mir abgeschnitten worden sind. Jetzt kann ich meine ganzen Verabredungen absagen. Na, gut, es hat auch Vorteile, ich kann mich jetzt mit dir unterhalten.“ Das war also der Grund, ich war ziemlich verwundert.

 

Um mich zu beruhigen, ging ich zur Bar, nahm die Whisky-Flasche, die seit Monaten unbeachtet dort herumstand und goss mir ein großes Glas ein. „Und ich?“, fragte Oskar. „Du darfst nichts trinken, so kurz nach der Operation. Und außerdem wird dir das nicht schmecken“, entgegnete ich. „Woher willst du das wissen? Du weißt doch: Katzen würden Whisky kaufen.“ Ich lachte, der Kater hatte zwar Humor, aber offenbar keine Ahnung von dem, was gut für ihn war. „Das habe ich aus der Fernsehwerbung“, ergänzte Oskar und grinste. Jedenfalls sah es aus wie in Grinsen.

 

„Was hast du noch alles aus dem Fernsehen gelernt?“, wollte ich wissen. „Nun, da war neulich so ein Kerl in einem blau-rotem Umhang, der fliegen konnte. Das hätte ich auch gerne“, antwortete der Kater. „Du meinst Superman. Aber ich fürchte, das mit dem Fliegen wird nicht klappen, Oskar.“ „Natürlich geht das. Schau!“ Oskar sprang in die Luft und drehte mehrere Pirouetten im Zimmer. Das sah sehr elegant aus. Er landete sicher und antwortete: „Du siehst, das geht. Nein, ich hätte gerne so einen Umhang. Aber nicht blau-rot, das steht mir nicht.“

 

Lakonisch sagte ich: „Was wäre dem Herrn Kater dann angenehm? Pink etwa?“ Jetzt war Oskar sichtlich verärgert. Er widersprach vehement: „Nur, weil du ich kastriert wurde, soll ich jetzt wie eine Schwuchtel herumlaufen? Bist du bescheuert? Nein, türkis wäre toll. Das mag ich.“ Ich verkniff mir die Bemerkung, dass ich bisher dachte, dass Katzen farbenblind sind. Immerhin wusste ich bis vor ein paar Minuten auch nicht, dass sie sprechen und fliegen können. Stattdessen warf ich hin: „Möchtest du auch noch ein paar Stiefel dazu? Die sollen bei Amazon gerade im Angebot sein.“ „Natürlich nicht! Sehe ich aus, wie eine blöde Märchenfigur? Der Umhang reicht völlig.“

 

So geschah es, dass ich mich an den Computer setzte und einen wunderschönen türkisfarbenen Schlafanzug in Kindergröße sowie ein Handtuch, das etwas dunkler war, bestellte. Schon drei Tage später traf das Paket ein. Eine wunderhübsche, junge, rothaarige Paketbotin stand vor meiner Wohnungstür, in der Hand das ersehnte Päckchen. „Eine Unterschrift bekomme ich bitte“, sagte sie mit einer tiefen, sehr erotischen Stimme. Wow, eine geile Schnecke, dachte ich. „Wenn du sie poppen willst, musst du schon ein bisschen herangehen“, kam eine Stimme von hinten. Ich hätte jetzt sagen können: „Das war mein Kater!“, aber das wäre wenig glaubwürdig gewesen. So schwieg ich und die junge Dame ging unmittelbar.

 

„Sag mal, kannst du auch noch Gedanken lesen?“, fragte ich Oskar, der unschuldig auf dem Sofa saß und fernsah. „Eigentlich hast du das nicht verdient, halt dich das nächste Mal zurück mit den Ferkeleien“, ergänzte ich und knallte die Lieferung auf den Couchtisch. „Na, klar, kann ich Gedanken lesen“, antwortete Oskar und sprang auf den Tisch. „Nun pack schon aus“, bettelte er. „Ach, das kann der Herr Kater wohl nicht?“ „Natürlich könnte ich das. Aber wozu habe ich mein Personal!“ Da lag eine gewisse Arroganz in seiner Stimme, aber ich hatte keine Lust, mit ihm zu diskutieren.

 

Stattdessen öffnete ich die Sendung, die Lieferung entsprach genau der Bestellung. „Da muss du aber noch ein Loch herausschneiden für den Schwanz“, bemerkte Oskar. „Du bist doch kastriert“, antwortete ich und grinste. „Sehr witzig. Wer von uns hat nun schmutzige Gedanken?“, brummte der Kater. Ich nahm den Schlafanzug und das Handtuch heraus und ging zur Nähmaschine. Dort lag schon ein kleines Stoffstück mit einem gelben „O“ für „Oskar“, das ich auf die Vorderseite des Oberteils nähte. Beim Unterteil schnitt ich ein Loch heraus, so wie gewünscht. Der Kater guckte zufrieden zu. Der Anzug passte ihm wie angegossen, das sah richtig chic aus. Die Miezen aus der Umgebung wären sicherlich beeindruckt gewesen, aber genützt hätte Oskar das nicht.

 

„Jetzt könntest du auch mal etwas für mich tun, Oskar“, sagte ich und holte die Einkaufstasche hervor. Ich ergänzte: „Flieg doch mal eben zum Supermarkt und kauf für uns ein!“ Das ließ sich der Kater nicht zweimal sagen, er griff sich die Tasche und flog mit ihr aus dem offenen Fenster davon. Ich bemerkte, dass er die Geldbörse vergessen hatte, ging auf dem Balkon und rief ihm hinterher, den Kopf nach oben gerichtet: „Du hast das Geld vergessen, Oskar!“ Meine Nachbarin, die gerade rauchend nebenan auf ihrem Balkon stand, sah mich merkwürdig an. Ich zuckte mit den Schultern und ging zurück ins Wohnzimmer.

 

Eine Viertelstunde später traf Oskar wieder ein, mit einer vollen Tüte. Darin waren allerlei Leckereien: Thunfisch, Krabben, Naturjoghurt, Hartkäse, Leberwurst und Schmand. Lauter Sachen, die wir beide gerne mochten. An Katzenfutter hatte Oskar nicht gedacht, offenbar war er dem jetzt überdrüssig. Ich streichelte meinen Kater, lobte ihn und verkniff mir die Frage, wie er bargeldlos einkaufen konnte. „Die blöde Halskrause ist hinderlich beim Fliegen“, monierte Oskar und maunzte. Ich tat ihm den Gefallen und befreite ihm von dem Ding.

 

Am nächsten Morgen saßen wir gerade beim Frühstück, als im Radio in den Nachrichten von einem kleinen Jungen berichtet wurde, der in einen Brunnen gefallen war. Der Schacht des Brunnens war so schmal, dass den Kleinen niemand befreien konnte. „Eine Aufgabe für den Superkater“, rief Oskar entschlossen und machte sich auf den Weg zum Unglücksort. Für ihn war es eine Kleinigkeit, das Kind zu befreien. Das blieb natürlich nicht unbemerkt. „Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist Superkater!“, lautete die Schlagzeile der BLOCK-Zeitung am nächsten Tag und TELE 12 bot ihm eine neue Show an: „Schlag den Oskar“.

 

Oskar genoss seine Popularität, wollte aber unerkannt bleiben. Das gelang ihm durch seine Hypnosefähigkeit. Jeder der ihn als normalen Kater sah, kam nicht auf die Idee, dass Oskar der Superkater war. Dessen ungeachtet erhielt er immer mehr Aufträge: Bombenentschärfung, Geiselbefreiung, Brandbekämpfung und vieles mehr.

 

Es war auch Spektakuläres dabei: Es ging damit los, dass Oskar mit seinem Superblick die gestohlene 100-Kilo-Münze aus dem Bode-Museum in Berlin wieder aufspürte. Sie fand sich in China wieder. Mit seinem Supergehör vereitelte er einen geplanten Anschlag auf die britische Königin. Und mit dem Super-Geruchs-Sinn fand er das seit Jahrzehnten verschwundene Bernsteinzimmer wieder, das ein Holländer in seiner Käsehandlung versteckte.

 

So kam es dazu, dass Oskar das Bundesverdienstkreuz bekam und dass eine zehn Meter hohe Oskar-Statue vor dem Bode-Museum errichtet wurde. Außerdem wurde er von der Queen zunächst zum „Sir“ ernannt und kurz darauf zum „Companion of honour". Dieser sehr seltenen Orden wird nur sehr, sehr selten verliehen. Oskar erhielt ihn zeitgleich mit Paul Mc Cartney. Für beide war das eine sehr große Ehre.

 

Bei all dem ist Oskar der geblieben, der er war: Vorlaut, frech und verfressen. Aber lieb ist er trotzdem…

 

Impressum

Bildmaterialien: www.mcc.cats.de
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2018

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