Ich bin Herbert Hundertmark und Nervenarzt. Man sagte mir, dass Sie meine Brüder Norbert und Kunibert sowie vor allem Hubert bestens kennen. Aus gegebenen Anlass melde ich mich heute selbst zu Wort. Eine meiner Patientinnen bereitete mir nämlich ziemliche Probleme. Sie hatte sich in Lügen verstrickt und lebte in einer Scheinwelt. Dabei war sie beim surfen im Netz gefangen, besser gesagt im Internet, die olle Kneifzange.
Mein Bruder Hubert, der bald Bundeskanzler werden möchte, brachte mich auf die glorreiche Idee, es bei der jungen Frau mit einem Therapietier zu versuchen. Nun hatte die junge Dame aber eine Katzenallergie und Angst vor Hunden, außerdem konnte sie nicht schwimmen, so dass Delfine auch nicht in Frage kamen. Nach kurzem Nachdenken entschied ich mich dafür, für sie eine Netzgiraffe zu besorgen. Das bietet sich doch an, wenn man im Netz gefangen ist.
Nun sind Netzgiraffen im Allgemeinen in Zoohandlungen schwer erhältlich. Ich machte mich daher auf den Weg nach Afrika, ausgerüstet mit einem riesigen Schmetterlingsnetz, das ich für Giraffen umgerüstet hatte, denn ich bin ja technisch geschickt. Als Proviant hatte ich mehrere Butterbrote nach einem Rezept von Sternekoch Horst Lichter dabei, die auch dazu dienen sollten, Giraffen anzulocken. Was meinen Sie, was das für einen Ärger beim Flughafen beim Einchecken gab! Nicht nur, dass ich meine Butterbrote nicht an Bord nehmen durfte, nein, auch mit dem Fangnetz gab es Probleme. „Als Handgepäck geht das auf keinen Fall“, erklärte die Dame am Schalter. „Und im Frachtraum auch nicht“, ergänzte sie leicht verärgert. „Es fliegen wohl nicht jeden Tag Giraffenfänger nach Afrika?“, wollte ich wissen. Das brachte die Frau völlig in Rage, noch mehr, nachdem ich ihr deswegen meine Visitenkarte in die Hand drückte.
Ich gab erst einmal nur meine Koffer auf und verließ das Terminal, Zeit genug hatte ich noch. Vor dem Flughafengebäude war eine schöne große Wiese mit vielen Blumen. Ich setzte mich. Hier konnte ich wunderbar nachdenken, mein Giraffennetz hatte ich noch der Hand. „Willst du hier Schmetterlinge fangen?“, fragte mich ein kleines Mädchen, das sich neugierig näherte. „Nein, mein Kind, keine Schmetterlinge, aber Giraffen!“, antworte ich. „Gibt es hier Giraffen?“, wollte die Kleine wissen. „Hier nicht, aber in Afrika“, entgegnete ich. „Und die fängst du mit dem Netz da?“ „Nun, das hatte ich vor, aber man lässt mich nicht.“
Das Mädchen kratzte sich am Kopf und dachte offenbar nach. Dann sagte sie: „Ich heiße Nele, und ich habe einen Opa, der ist fast so alt wie du und unheimlich schlau. Der erklärt mir immer alles und der kann dir bestimmt helfen!“ „Das wäre ganz toll, Nele. Ich bin übrigens Herbert. Ist dein Opa denn da?“ „Ja, Bert. Da drüben auf der Bank.“ Sie zeigte nach vorne. Da saß ein älterer Herr, der freundlich wirkte, allerdings war er deutlich älter als ich. Ich ließ mir nichts anmerken, vielleicht hätte die Kleine als Nächstes wissen wollen, ob Ernie auch mitkommt.
Wir gingen zusammen zur Bank, ein leichter Wind kam auf und wehte fast meinen Strohhut weg. „Gestatten, Hundertmark“, stellte ich mich vor. „Ihre Enkelin sagte, dass Sie mir helfen könnten“. Ich deutete auf mein Netz und schilderte kurz und knapp mein Problem. Der Großvater lachte und sagte dann: „Ich bin zwar nicht Peter Lustig, aber ich denke, ich weiß, was man machen kann.“ Er griff unter die Bank und holte eine Werkzeugkiste hervor. Ich ersparte mir die Frage, warum man so etwas mit sich herumschleppt, wenn man auf einem Flughafen ist. Der Mann nahm eine kleine Säge, ein Scharnier und mehrere Schrauben heraus und drückte mir alles in die Hand. „Das müsste helfen“, meinte er. Das war in der Tat eine großartige Idee! Ich setzte mich auf die Bank und sägte mein Netz in der Mitte durch, dann brachte ich das Scharnier an. Jetzt hatte ich ein zusammenklappbares Netz! Ich bedankte mich und übergab meine Visitenkarte. „Oh, ein Nervenarzt“, stellte der Mann fest und steckte die Karte ein. „Wenn ich auch mal helfen kann, rufen Sie mich einfach an“ sagte ich und verabschiedete mich.
Stolz und frohen Mutes ging ich erneut zum Check-in. „Oh, Sie schon wieder“, rief die Schalterfrau, offenbar wenig begeistert. „Jetzt müsste es gehen“, erklärte ich und gab ihr mein präpariertes Fangnetz. Misstrauisch beäugte sie es, um dann eine Kollegin zu Rate zu ziehen. Nach gefühlten zwanzig Minuten sagte sie: „Nun gut, Sie können das Ding jetzt aufgeben, aber nicht als Handgepäck!“ Ich ersparte mir die Frage, ob Fangnetze neuerdings als gefährliche Waffen gelten. Dann hätte ich entgegnet, dass ich damit Giraffen und keineswegs Flugpersonal fangen wollte.
Der Flug verlief völlig problemlos und ich landete pünktlich in Nairobi. Dort angekommen, erheiterte ich mit meinem überdimensionalen Netz die Einheimischen. Die Erklärung „Ich möchte eine Netzgiraffe fangen“ amüsierte sie eigenartigerweise noch mehr.
Der Taxifahrer, der mich ins Hotel brachte, verstand sogar Deutsch und erklärte mir die besten Fanggründe für Giraffen. „Ich will das Tier ja nicht töten, nur fangen“, sagte ich ihm. Er nickte und grinste. Ein netter Mensch.
Leider verlief die Jagd dann sehr erfolglos, Giraffen waren doch schwerer zu fangen, als ich dachte. Stattdessen ging mir eine Säbelantilope ins Netz. Auch nicht schlecht und als Therapietier bestimmt auch gut geeignet. So machte ich mich mit der Antilope auf den Weg zurück nach Deutschland. Nächste Woche bringe ich dann meine Patientin und das Tier zusammen, ich werde weiter davon berichten.
Bildmaterialien: www.serengeti-Park.de
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2018
Alle Rechte vorbehalten