Ich aß einen Salat aus Gurken, Tomaten und Zwiebeln, als plötzlich mehrere Stimmen ertönten:
„Nein, nein, tu das nicht, nein, bitte, bitte nicht!“
„Das ist ein Monster!“
„Hilfe, Hilfe!“
Ich schaute mich um, niemand außer mir war in den Raum. Sehr seltsam! Wo kamen die Stimmen her? „Wer spricht da?“, wollte ich wissen. „Ich bin es, dein Salat“, ertönte es. Mein Salat kann sprechen? Wie kann das sein?, dachte ich. Als hätte man meine Gedanken gelesen, kam die Antwort: „Natürlich kann ein Salat sprechen. Du kannst es doch auch!“ „Na, ja, ich bin auch ein Mensch. Du bestehst aber nur Gurken, Tomaten und Zwiebeln. Ein Salat eben, ein leckerer“, entgegnete ich.
Ich wollte mir gerade ein großes Stück Tomate in den Mund stecken, als wieder eine Stimme kam: „Nein, nein, lass das.“ Jetzt wurde es mir doch zu bunt. Offenbar legte mich hier jemand herein und hatte eine Kamera nebst Lautsprecher versteckt. Suchend sah ich mich um, entdeckte aber nichts.
„Du hast uns kleingeschnitten, mit Dressing angemacht und dann einige von uns verspeist!“, hörte ich. Das klang vorwurfsvoll. Nun hatte ich schon gehört, dass manche Leute mit ihrer Katze, ihrem Hund oder ihrem Goldhamster sprachen, aber erstens bekamen diese Menschen nur selten eine Antwort und zweitens sind Tomaten, Gurken und Zwiebeln eben Gemüse. Das war doch völlig abwegig.
„Das ist nicht abwegig. Abwegig wäre es, wenn das Brot mit dir sprechen würde“, ertönte erneut eine Stimme. Misstrauisch betrachtete ich das Baguette, das kleingeschnitten neben der Salatschüssel lag. Ich nahm ein Stück und biss hinein, ich hatte ja Hunger. Nichts passierte. „Habt Ihr etwas gegen Brot?“, wollte ich wissen. „Brot besteht aus Getreide und Getreide ist dumm. Außerdem ist es kleingerieben und gebacken. Das lebt nicht mehr“, kam die Antwort. Im Pflanzenbereich gab es also auch Rassenvorurteile, interessant. Und der Ausdruck „Dumm wie ein Brot“ hatte offenbar einen wahren Hintergrund.
„Was ist mit dem Dressing? Kann das auch sprechen?“, fragte ich den Salat. „Selbstverständlich nicht. Du kommst auf seltsame Ideen!“ Ich musste an einen Roman von Douglas Adams denken, nämlich „Das Restaurant am Ende des Universums“. Da kommuniziert das Hauptgericht, das einem Schwein ähnelt, vor seiner Zubereitung mit Arthur, dem Hauptprotagonisten. Dem vergeht der Appetit und er bestellt einen Salat, weil das unbedenklich ist. Daraufhin meint das Schwein: „Ich kenne Gemüse, die anderer Meinung sind.“ So ging es mir jetzt auch. Ich hatte gar keinen Appetit mir, jedenfalls nicht auf Salat.
„Sagt mal, warum habt Ihr nicht vorher etwas gesagt, bevor ich Euch kleingeschnitten habe“, warf ich ein. „Nun, zum einen ist heute der 16. Juni, das ist der Tag des frischen Gemüses. Zum zweiten hast du das Kleinschnipseln gestern erledigt, und uns dann über Nacht in den Kühlschrank gestellt. Zum dritten hast du vorhin einen Schluck Wein getrunken. Im Wein liegt die Wahrheit.“ „Hmm, dann hat der Wein dazu geführt, dass ich mit Euch reden kann?“ „Ganz genau.“ „Die Weintrauben schweigen?“ „Na, klar, denn der Tag des Weins war am 25. Mai, das war vor drei Wochen.“
Ich atmete tief durch. Das war ein tiefer Schock für mich. Meine Freundin hatte mich dazu gebracht, Vegetarier zu werden, aus moralischen und ethischen Gründen. „Auch Tiere haben Gefühle“, sagte sie immer. Nun stellte sich heraus, dass auch Pflanzen, zumindest Gemüse Lebewesen sind, die Angst und Schmerzen spüren. „Was ist mit Obst?“, wollte ich jetzt wissen und ergänzte: „Kann das auch denken und sprechen?“ „Klar, aber nicht heute, sondern allgemein am 01. Juli. Manche Sorten feiern ihren Ehrentag jedoch an einem anderen Datum. Die Aprikose am 09. Januar, der deutsche Apfel am 11. Januar, die Erdbeere am 27. Februar und die Banane am dritten Mittwoch im April, um nur einige zu nennen.“ „Das ist dann jeweils der Tag, an dem wir Menschen mit den Pflanzen sprechen können?“ „Nicht alle Pflanzen, nur die schlauen. Getreide z.B. nicht. Und auch nur die Menschen, die Wein trinken, hören uns.“ „Mit Bier klappt das nicht?“ „Natürlich nicht, oder hast du schon einmal mit einem Bier über Schopenhauer und Nietzsche diskutiert?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Ich werde Euch nicht essen und Euch im Garten ehrenvoll bestatten“, erklärte ich. „Aber bitte ohne das Dressing, und die Tomaten, Gurken und Zwiebeln jeweils getrennt voneinander“, antwortete der Salat. Dem folgte ich, aß noch etwas Brot und setzte mich dann mit einer Tüte Kartoffelchips (da lebt auch nichts mehr, sagte man mir) und einem Bier vor dem Fernseher. Gleich lief im dritten Programm ein alter Film, nämlich: „Der Angriff der Killertomaten“. Den kannte ich schon, aber jetzt würde ich ihn in einem ganz anderem Licht sehen.
Bildmaterialien: www.chefkoch.de
Tag der Veröffentlichung: 22.08.2018
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