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Lehrjahre

 

Als ich im Sommer 1979 die Schule verließ, stellte sich die Frage der beruflichen Orientierung. Einer der Fächer, die mir am meisten Spaß gemacht hatte, war Chemie. So bewarb ich mich bei der hiesigen Fachschule, um in einer mehrjährigen Ausbildung Chemie-Laborant zu werden. Doch leider war diese Einrichtung sehr stark gefragt, so dass ich auf eine Warteliste kam. Meine Eltern, insbesondere meine Mutter, drängten darauf, mich weiter zu bewerben, hauptsächlich im kaufmännischen Bereich. Stellen als Bürokaufmann wurden seinerzeit hauptsächlich mit Frauen besetzt, und zum Groß- und Außenhandelskaufmann taugte ich auf Grund meiner mangelnden Fremdsprachenleistungen nicht, wie man mir bei einem Bewerbungsgespräch einer Firma für Milchprodukte deutlich zu verstehen gab.

 

So blieb es bei Angeboten als Auszubildender im Einzelhandel. Diese Ausbildung ist zweistufig, man lernt zwei Jahre Verkäufer, macht seinen Abschluss und kann dann noch ein weiteres Jahr als Einzelhandelskaufmann daran hängen, wo man dann auch die Büroarbeit kennenlernt. Diverse Bewerbungen verliefen erfolglos, bis dann von der Firma Betten-Raymond eine Zusage kam. Diese Firma war damals das größte Bettenhaus Norddeutschlands mit mehreren Filialen in Hannover, Hildesheim und Osnabrück.

 

Ich war froh, eine Ausbildung gefunden zu haben, denn ansonsten hätte ich schon damals gleich zur Bundeswehr gemusst. Ironischerweise kam dann doch noch kurz vor Antritt der Lehrstelle eine Zusage der Chemieschule, ich war nachgerückt. Doch meine Eltern bestanden darauf, dass ich dort absagte und die Verkäufer-Lehre beginnen sollte.

 

Dort habe ich einige kuriose und seltsame Erlebnisse gehabt, von einem im August 1979 will ich hier berichten. Es war in der Firma üblich, dass die Auszubildenden in einem Rhythmus von einem halben Jahr die Abteilungen wechselten, um das ganze Sortiment kennen zu lernen. Meine erste war die Bettfedernabteilung, wobei natürlich die Daunen der Enten und Gänse hochwertiger und teurer waren. Hühnerfedern haben in Bettdecken und „normalen“ Kopfkissen nichts zu suchen, sie sind minderwertig. Die Kunden konnten sich die gewünschten Qualitäten selbst aussuchen. Die Federn und Daunen wurden dann in die so genannten Inletts (das ist die Stoffhülle aus Baumwolle) gefüllt, anschließend wurde das Ganze zugenäht und fertig war das Bett.

 

Ein weiterer Service der Firma war die Bettfedernreinigung, die sich im zweiten Stock des Hauses befand. Das war das Reich von Frau Schulze und Frau Berger. Gelegentlich mussten wir Lehrlinge dort aushelfen, wenn eine der beiden Damen, die dort normalerweise arbeiteten, krank oder in Urlaub war. An diesem Tag traf mich das Schicksal. Die Bedienung der teuren Spezial-Waschmaschinen oblag jedoch den Fachkräften, wir durften aber zum Beispiel das flüssige Waschmittel einfüllen. Nun ergab es sich, dass eine Kundin ihr Bett dort abgab und Frau Schulze mit einem Blick feststellte, dass das Inlett stark verschmutzt war. Dieses konnte man nicht reinigen, es musste erneuert werden. Nun gab es diese Inletts in allen möglichen Pastellfarben, von weiß über hellblau bis zu beige („Camel“ genannt). Die neuen Stoffhüllen waren aber nur im Verkaufsraum in der ersten Etage. Frau Schulze ging mit der unentschlossenen Kundin dorthin und ich war somit allein in der Reinigung. „Sauge doch mal den Mook weg!“, beauftragte mich Frau Schulze zuvor. Der Mook ist der Federabfall, der beim Einfüllen in die Maschine auf den Boden fällt. Das wurde nicht etwa vernichtet, sondern gesammelt und von einer Spezialfirma in Sofakissen gefüllt.

 

Das ist aber eine große Menge Mook, dachte ich mir. In der Tat lag ein großer Haufen Federn auf dem Fußboden, und wartete nur darauf von mir weg gesaugt zu werden. Schnell war das erledigt. Als ich gerade die letzten Reste in der Ecke entfernt hatte und der Boden blitze-blank war, kehrte Frau Schulze mit der Kundin und dem neuen Inlett zurück. Ein Schrei ertönte. „Mein Junge, was hast du da gemacht“, rief Frau Schulze in ihrem ostpreußischen Dialekt, in dem sie immer verfiel, wenn sie sich aufregte. Es stellte sich heraus, dass der große Federhaufen die Federn aus dem Bett der Kundin waren. Eine Reinigung hatte sich erübrigt. Die Kundin war amüsiert und bekam von der Firma kostenlos eine neue Füllung.

 

Lange wurde mir das Malheur nachgetragen, allerdings war ich nicht der einzige Azubi, dem das so passierte, wie ich später erfuhr. Die Firma Betten-Raymond existiert noch heute, allerdings stark geschrumpft mit nur noch zwei Filialen. Für mich stellte sich schnell heraus, dass das weder die richtige Branche noch der richtige Beruf war, obwohl ich meinen Abschluss als Verkäufer mit „gut“ und die Prüfung als Einzelhandelskaufmann sogar mit „sehr gut“ bestand. Nach meiner Bundeswehrzeit war ich noch bei zwei anderen Firmen im Einzelhandel tätig, um dann im Januar 1986 meine Tätigkeit bei der Landeshauptstadt Hannover zu beginnen.

 

Nicht immer ist der Beruf, den man als Erster beginnt, der richtige.

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Bildmaterialien: www.picclick.de
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2018

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