Meine Großtante Olga aus Magdeburg hatte uns im Jahre 1974 besucht. Es war zu der Zeit des berühmten und einzigen Fußballspiels der beiden deutschen Staaten während der WM in der Bundesrepublik! Was keiner erwarten konnte, trat ein. Die DDR gewann mit 1:0. Der Kleine besiegte den Großen. Olga war außer sich vor Freude und konnte eine Häme nicht unterdrücken.
Es wird heutzutage noch darüber spekuliert, ob der damalige Bundestrainer, Helmut Schön, seine Elf absichtlich verlieren ließ, um in der nächsten Runde Brasilien aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls entging Hannover dadurch das Spiel der BRD gegen die Südamerikaner. Stattdessen sahen wir hier die DDR gegen Brasilien, die Bundesrepublik spielte unter anderem in Hamburg.
Wie auch immer: dadurch waren Brasilien, Argentinien, die DDR und die Niederlande in der einen Gruppe der Zwischenrunde, die Bundesrepublik Deutschland, Polen, Schweden und Jugoslawien in der anderen. Bei dieser WM gab es keine Achtel-, Viertel- und Halbfinalspiele, sondern eben diese seltsame Zwischenrunde. Die beiden Gruppensieger kamen direkt ins Endspiel. Es setzten sich Deutschland und die Niederlande durch. Von dem System mit der Zwischenrunde kam man später wieder ab.
Es war der 07. Juli 1974, ein Sonntag. Gespannt saßen meine Eltern und ich vor dem Fernseher, meine Geschwister wohnten zu dieser Zeit schon nicht mehr bei uns. Mein Vater hatte sich eigentlich nie für Fußball interessiert, ganz anders meine Mutter. Einen Fernseher hatten wir uns übrigens eher angeschafft als eine Waschmaschine. Man muss eben Prioritäten setzen.
Bedingt dadurch, dass mein Vater kein Fußballfan war, hatte er auch keine Ahnung von den Regeln. Die Spieler kannte er aber schon, wahrscheinlich weil ja jeden Tag davon etwas in der Zeitung stand. Ich kann sie heute noch alle aufzählen: Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck, Berti Vogts, Paul Breitner, Rainer Bonhof, Uli Hoeneß, Wolfgang Overath, Jürgen Grabowski, Gerd Müller und Bernd Hölzenbein. Das war unsere Startelf. Wer hier Günter Netzer vermisst: er war einfach nicht gut genug, wie er selbst von sich sagte, wenn ihn Gerhard Delling darauf ansprach.
München, 16:00 Uhr Ortszeit. Der Anstoß erfolgte. Deutschland hatte sicherlich nicht erwartet, dass es schon nach 53 Sekunden einen Elfmeter für die Niederländer geben würde, den Uli Hoeneß verursacht hatte. Johan Neeskens lief an und Sepp Maier sprang nach rechts, der Holländer hatte sich jedoch die Mitte ausgesucht, was Elfmeterschützen eigentlich nur selten machen. In diesem Fall war es die richtige Entscheidung, die Niederländer führten mit 1:0. Das hatte zur Folge, dass mein Vater schon frühzeitig sein erstes Bier während des Spiels bekam, denn meine Mutter hatte verfügt, dass es Biere nur bei Toren geben würde, um den Konsum meines Vaters zu bändigen. Am Abend dieses Tages war nämlich unsere Urlaubsreise nach Österreich geplant, es sollte mit dem Alpen-Express nach Kärnten gehen. Ziel war erneut Seeboden am Millstätter See, wo wir schon vier Jahre zuvor schon einmal waren. Davon hatte ich in einem Urlaubs-Spezial-Buch berichtet. Da mein Vater – wie bereits erwähnt – von Fußball wenig Ahnung hatte, wusste er auch nicht, dass dort im Allgemeinen relativ wenig Tore fallen und sich auf diesen Deal eingelassen.
Mutti und ich waren natürlich von der Führung der Holländer weniger begeistert. Deren Trikotfarbe glich übrigens der des damals hochmodernen Plastik-Rauchertisches meines Vaters. Orange war in den Siebzigern chic. Doch zurück zum Spiel. Der Gegner hatte (leider) mehr vom Spiel. Dann passierte es: Unser Stürmer-Star Gerd Müller wurde in der 23. Minute durch den Niederländer van Hanegem umgestoßen. Der englische Schiedsrichter John Taylor entschied erneut auf Strafstoß, Paul Breitner verwandelte diesen eiskalt, Deutschland glich aus und Vati bekam sein zweites Bier. Jetzt war Deutschland überlegen, auch wenn Beckenbauer, Vogts und Grabowski reihenweise Chancen vergaben. Kurz vor dem Halbzeitpfiff gelang dem besagten Gerd Müller nach einer Vorlage von Rainer Bonhof doch noch der Führungstreffer. Alle jubelten, auch mein Vater.
In der zweiten Halbzeit bestimmte Holland dann das Spiel, Deutschland schaltete in den Verteidigungsmodus. Eine Stunde war gespielt, als Gerd Müller erneut ins niederländische Tor traf, jedoch wurde der Treffer wegen angeblichen Abseits fälschlicherweise nicht gegeben.
Fünf Minuten waren noch zu spielen. Es hätte nochmals Elfmeter geben müssen, weil Hölzenbein gefoult wurde, aber Schiri Taylor sah das anders. Es blieb folglich beim 2:1, auch als Neeskens kurz vor Schluss unser Tor knapp verfehlte.
So wurde Deutschland zum zweiten Mal nach 1954 Weltmeister und Vati bekam noch ein Extra-Bier, nachdem die zweite Halbzeit für ihn ja trocken verlief.
Für mich war das die erste Fußball-Weltmeisterschaft, die ich bewusst miterleben durfte. 1966 hatten wir noch keinen Fernseher und 1970 war es, bedingt durch die Zeitverschiebung (die WM war in Mexiko) für mich zu spät zum Zugucken.
Der Urlaub wurde dann wunderschön, davon berichte ich ein anderes Mal.
Bildmaterialien: www.wikipedia.de
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2018
Alle Rechte vorbehalten