Ich, Hubert Hundertmark, bin jetzt schon ein Jahr mit Wilma verheiratet. Bislang haben wir allerdings noch immer noch nicht unsere Hochzeitsreise gemacht. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum Einen waren wir finanziell etwas gebeutelt, was bedingt war durch unsere exorbitante Hochzeitsfeier und die Klage meines Bruders Kunibert wegen der Nüsse in dem Nudelsalat von Wilmas Schwester Wanda. Zwar konnte ich mich mit ihm einigen, aber es hat mir trotzdem eine Stange Geld gekostet. Der zweite Grund war, dass ich beruflich stark eingespannt war. Mein Kollege Hilmar Hintergesäß hatte sich an einer rostigen Büroklammer eine Blutvergiftung geholt und war lange Zeit ausgefallen. Da Martin Schulze, mein weiterer Kollege von der Buxtehuder Hundesteuerstelle, auch nicht mehr bei uns ist, musste ich die ganze Arbeit alleine stemmen, von A bis Z. Das war vielleicht ein Stress.
Nun ist Hilmar aber wieder gesund und voll arbeitsfähig. Ich konnte endlich Urlaub nehmen. Gründlich hatte ich mir überlegt, wohin wir fahren könnten. Da spielte uns der Zufall in die Hände. Bei einer Verlosung von TELE 12, jenem Privatsender, bei dem mein Bruder Norbert Programmdirektor ist, hatte ich den ersten Preis gewonnen. Glauben Sie bitte bloß nicht, dass das irgendwie manipuliert war! So etwas machen wir Hundertmarks nicht. Auf jeden Fall gewannen wir einen einwöchigen Hotelaufenthalt für zwei Personen in Magdeburg nebst Besuch des dortigen Schlagerfestivals. Und ein so genannter Backstage-Pass war dabei.
Ich hatte keine Ahnung, was das ist, ein Backstage-Pass. Vermutlich würde es dort leckere Brötchen oder Kuchen geben. Wilma isst doch so gerne Süßes, das war doch das Richtige für sie. Allerdings ist Schlagermusik nicht gerade meine Musikrichtung, wie Sie wissen. Ich bin ja mehr für Beethoven. Die Hoffnung, dass das dort gespielt wurde, zerschlug aber mein Kollege Hilmar. Er hatte mir überhaupt erst einmal erklärt, wo das liegt, dieses Magdeburg. „Irgendwo im Osten“ hatte ich vermutet und lag damit gar nicht so verkehrt.
Nun machten wir uns also auf dem Weg, die Wilma und ich. Zum Glück habe ich ja seit einiger Zeit meinen Führerschein, so dass wir mit dem Auto anreisen konnten. Das klappte dann sehr gut, am frühen Nachmittag checkten wir in dem Hotel ein. Es lag in der Nähe des Hauptbahnhofes und sehr zentral. Das Zimmer hatte Fernsehen, ein eigenes Bad, eine Mini-Bar und einen Schreibtisch. Auch Schreibpapier und ein Kugelschreiber lag parat – für etwaige Reklamationen. Sie kennen mich ja, das war mir wichtig. Aber andererseits hatten wir die Reise und die Unterkunft ja gewonnen, da beschwert sich selbst ein Hubert Hundertmark nicht.
Am Abend kehrten Wilma und ich dann in die hoteleigene Bar ein, mit „einer großen Auswahl an Getränken“, wie es hieß. Meine Frage, ob es einen bestimmten Aquavit geben würde, der früher in Buxtehude abgefüllt wurde, wurde bejaht. Das überraschte mich, dann Hilmar hatte mir erzählt, dass er, als er vor ein paar Jahren in Malta war, diesen Schnaps eben nicht bekam, obwohl der Name das doch zu erwarten ließ. Man wird als Verbraucher doch überall getäuscht, na ja, fast überall. Wilma trank einen Prosecco, das mag sie.
Wir wollten uns am nächsten Tag natürlich in Magdeburg auch die Sehenswürdigkeiten ansehen. Der Portier empfahl uns den „Magdeburger Dom“, der nur ein paar Minuten vom Hotel entfernt sei. Das war eine gute Idee, ich kannte ja den Hamburger Dom, und Rummelplätze gefallen mir. Allerdings wurde ich bitterenttäuscht, dann der Magdeburger Dom entpuppte sich als Kirche und nicht als Kirmes. Warum nennen die das denn „Dom“? Das ist eine große Gemeinheit.
Das Schlagerfestival war einen Tag später. Wilma freute sich schon, dann auf meine Frage, ob es ihr gefallen würde, antwortete sie: „Was kann sich eine Frau mehr wünschen, als ihre verspätete Hochzeitsreise in Magdeburg zu verbringen und sich Schlager anzuhören?“. Ein etwas seltsamer Tonfall lag dabei in ihrer Stimme. Ob sie das etwa nicht ernst gemeint hat? Auf jeden Fall begaben wir uns zur Magdeburger Stadthalle, wo die Veranstaltung stattfinden sollte. Moderiert wurde die Show von Herrn Goldeisen und Frau Kreuzberger. Den Goldeisen hatte ich schon einmal im Fernsehen gesehen, als ich mit Wilma Weihnachten gefeiert habe. Sie erinnern sich vielleicht. Da trat ja dieser Christian Norberts auf mit seinem Lied über Spanien, wo die Sonne nicht untergeht. Das stimmt übrigens gar nicht, wie man mir sagte. Aber egal. Jedenfalls hatten wir Plätze in der „Empore rechts“, hoffentlich mit guter Sicht.
Da lag sie nun vor uns, die Magdeburger Stadthalle. Nicht gerade imposant, ein Zweckbau. Zügig gingen wir in das Gebäude und die Treppe hoch. Wir wollten nach rechts gehen, so wie die Karten es vorsahen. Doch was war das? Da war ein Schild mit grüner Umrandung mit der Aufschrift „Empore rechts, mitte“. Davon mal abgesehen, dass sich „Mitte“ ja wohl groß und nicht klein schreibt, wies der Pfeil nach links oben! Nach links, nicht nach rechts! Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Will man hier unschuldige Verbraucher verwirren? Ich war empört. Ich wollte mich unverzüglich beschweren. Da kam uns ein Typ mit einem Korb in der Hand entgegen, darin waren Brezel. Ich dachte mir sofort, dass das die Backwaren für meinen Backstage-Pass waren. Aber nein! Der Kerl wollte doch glatt Geld dafür haben. Welch eine Frechheit.
Dann ging sie los, die Show. Es traten viele Künstler auf, Wilma kannte die meisten. Da waren unter anderen Mary Moos, Roberto Franko, Roland Meiser, Katja Kopfstein und Michael Stockholm. „Die sind alle früher bei Dieter Thomas Schleck in der Hitparade aufgetreten“ erklärte mir meine Frau. Das mag ja sein, aber gegen Beethoven kamen sie nicht an, fand ich. Nach Ende des Konzerts durften wir dann durch einen Seitenausgang in einen großen Raum. Da saßen sie alle, die großen Stars. „Jetzt gibt es endlich Brötchen und Kuchen“, frohlockte ich. Aber es gab nur einen Kuchen, nämlich Pustekuchen. Stattdessen durften wir den Sängerinnen und Sängern Frage stellen. Als ich von Mary Moos wissen wollte, wann es dann nun endlich die Backwaren geben würde, konnte sie das aber nicht beantworten. Ludwig hätte nicht so reagiert!
So fuhren Wilma und ich vier Tage später enttäuscht und frustriert nach Buxtehude zurück. Mein Bruder Norbert wird noch etwas von mir zu hören kriegen, das verspreche ich Ihnen.
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2018
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