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Ein ruhiges Leben auf dem Land

 

Nachdem mein anstrengendes Arbeitsleben in der zentralen Oberpostdirektion in Frankfurt Ende April letzten Jahres ordnungsgemäß und planmäßig ein Ende fand, beschloss ich, der hektischen Großstadt zu entfliehen und meinen Lebensabend auf dem Land zu verbringen. Es sollte aber auch nicht ein allzu kleiner Ort werden und außerdem wollte ich unbedingt in Hessen bleiben. Nach langer Suche fand ich ein wunderschönes Haus in Zwingenberg, in der Nähe von Darmstadt.

 

„Das sind alles nette Leute dort“, hatte der Makler gesagt, ein netter, leicht dicklicher Herr mit Nickelbrille und dabei gegrinst. Den Vertragsabschluss hatten wir bei Äppelwoi und Handkäs mit Musik in einer gemütlichen Wirtschaft in der Nähe des Frankfurter Römers begangen. Ich war sicher, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben.

 

Am 15. Juni war es dann soweit, der Möbelwagen rollte vor und die Möbelpacker trugen meine Einrichtung in mein neues Heim. Ich war glücklich. Um das Glück noch perfekter zu machen, beschloss ich, meine direkte Nachbarin zu begrüßen, eine pensionierte Lehrerin namens Anna Lüse. Der Makler hatte mir gesagt, dass die gute Frau etwas verschroben sei. „Verschroben, aber nett“ hatte er noch ergänzt. Beamte unter sich würden sich bestimmt großartig verstehen.

 

„Guten Tag, Frau Lüse. Mein Name ist Rainer Hohn, ich bin Ihr neuer Nachbar“; sagte ich und streckte der Dame meine Hand entgegen. „Das macht nichts, Sie können ihn trotzdem sagen“, antwortete sie, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Diesen Witz über meinen Namen war ich gewohnt, aber angesichts dessen, dass sie selbst einen komischen trug, hatte ich das nicht erwartet. Ich konterte: „Perfekt analysiert, Frau Lüse.“ Die gute Frau konnte offenbar austeilen, aber nicht einstecken, denn sie drehte sich um und knallte die Tür zu. Das fing ja gut an.

 

Am nächsten Tag, als alle Möbel im Haus waren, machte ich mich daran, meine Bilder aufzuhängen. Nun bin ich handwerklich – vorsichtig gesagt – wenig talentiert, aber diese Aufgabe konnte selbst ich bewältigen. Ich war gerade dabei die wunderschöne Radierung mit der historischen Postkutsche derer von Thurn und Taxis über meinen Kamin zu platzieren, als es Sturm klingelte. Ich öffnete. Wutentbrannt stand meine liebe Nachbarin vor der Tür und zeterte gleich los: „Was fällt Ihnen ein, am Wochenende Handwerksarbeiten durchzuführen? Das hört sofort auf, oder ich hole die Polizei!“ Sie drehte sich erneut auf dem Absatz um und ging, ohne eine Antwort von mir abzuwarten. Ich wollte sagen, dass ich keinen schallgedämpften Hammer besitzen würde, aber diese Erwiderung hätte ihr vermutlich nicht gefallen.

 

Mir blieb nichts anderes übrig, als das Bilderaufhängen zu unterbrechen und stattdessen einige meine Umzugskartons auszupacken, aber immer mit einem Blick auf das Fenster, um zu beobachten, ob diese Schnepfe ihr Haus verließ, um einzukaufen. In der Nachbarschaft hatte ich bei der Herfahrt eine seltsam aussehende Drogerie entdeckt, von der Frau Lüse vermutlich ihre Giftspritzen bezog. Als ich gerade meine Lieblingsbücher „Das Liebesleben der brandenburgischen grünen Waldameise“ sowie „Die richtige Verarbeitung der brasilianischen Flugananas“ und „Die Entwicklung des Ansehens der Postbeamten vom Frühmittelalter bis zur Neuzeit“ in den Händen hielt und diese kostbaren Werke in mein Bücherregal einordnete, war es endlich soweit. Ein Taxi fuhr vor und die alte Hexe stieg ein, leider ohne Gepäck. Immerhin hatte ich vorübergehend meine Ruhe und konnte weitermachen.

 

Frau Lüse kehrte erfreulicherweise erst am späten Samstagabend in ihr trautes Heim zurück. Alle meine Bilder hatten ihren wohlverdienten Platz gefunden. Ich war gespannt, was diese blöde Kuh zu meiner Gartenzwergsammlung sagen würde, besonders zu „Edgar“, das war der mit dem entblößten Hinterteil. Die Zwerge wollte ich direkt an dem Zaun, der unsere beiden Gärten trennte, aufstellen. Das tat ich denn auch am nächsten Tag. Frau Lüse war erneut ausgegangen. Ob sie einen Gottesdienst beiwohnen wollte, war mir nicht bekannt aber angesichts des unchristlichen Verhaltens von ihr relativ unwahrscheinlich. Jedenfalls fanden die sieben Zwerge in einem fein justierten Abstand von jeweils zweiundvierzig Zentimetern ihren Platz an dem Zaun, alle mit Blickrichtung auf das Nachbargrundstück mit Ausnahme von „Edgar“, der mit dem verlängerten Rücken drapiert wurde.

 

Zwei Stunden später kehrte die Nachbarin zurück. Ich hatte mich unter dem Küchentisch versteckt, um ihre Reaktion zu beobachten. Ich konnte sie sehen, sie mich aber nicht. Mit großer Freude konnte ich feststellen, dass sie meine Begeisterung für dieses deutsche Kulturgut offenbar nicht teilte. Ihre entsetzten Augen, als sie „Edgar“ erblickte, waren ergötzend für mich. Auch „Erwin“, der einen Stinkefinger ausstreckte, sowie „Emil“, der exhibitionistisch sein bestes Stück präsentierte, fanden nicht ihr Wohlgefallen. Sie bewies damit erneut, dass sie zum Lachen in den Keller ging und meine Entgegnung auf ihre Mitteilung „Ich habe mir Tannhäuser angesehen“ mit „Ach, wollen Sie umziehen?“, wenig erheiternd finden würde.

 

Mit Hochgenuss machte ich mich über mein selbst erhitztes Mittagessen aus der Mikrowelle her. Der Wohlgeschmack der Frankfurter Rippchen mit Sauerkraut und Kartoffelbrei wurde verstärkt durch meine Schadenfreude. Doch leider wurde meine Mahlzeit durch ein dumpfes Poltern und dem unschönen Geräusch berstender Keramik unterbrochen. Ich ahnte, was passiert war und eilte vor die Haustür. Dort sah ich die Bescherung: Sämtliche Zwerge lagen zertrümmert in meinem Garten. Ich war den Tränen nahe und sah gerade noch, wie Frau Lüse mit einem Besen in der Hand in ihr Haus zurückkehrte. Das war offenbar nicht ihr Fluggerät, sondern das Tatwerkzeug der Ermordung der von mir so geliebten Zwerge.

 

Ich sann nach Rache. Im Internet informierte ich mich über die kostengünstige und schnelle Anlegung eines Komposthaufens. Schon am nächsten Tag fuhr ich in einem nahegelegenen Baumarkt und besorgte mir dort alle Komponenten für mein Werk. „Als umweltfreundlichste Möglichkeit, dem Boden Nährstoffe zu zuführen und seine Struktur zu verbessern, ist Kompost nicht nur im naturnahen Garten besonders wichtig.“ So stand es auf der Internetseite des Baumarktes mit den drei Buchstaben und so sollte es sein. Kurt, ein Freund von mir, der ein ausgesprochener Naturfreund und begabter Handwerker war, war der richtige Kandidat für die Anlage des Komposthaufens, der direkt an der Grundstücksgrenze seinen Platz fand. Misstrauisch beäugte die Hexe von nebenan unsere Arbeit, die innerhalb weniger Stunden abgeschlossen war. Mit einen paar Bembel Äppelwoi feierten Kurt und ich die Fertigstellung der umweltfreundlichen Anlage. Zwar würde es neun Monate dauern, bis ich den Kompost verwenden könnte, aber der Duft der verwesenden Pflanzenteile würde sich schon alsbald ausbreiten.

 

Zwei Monate nach meinem Einzug hatte ich kein weiteres Wort mit meiner ungeliebten Nachbarin gewechselt. Stattdessen fand ich im Briefkasten einen unschön formulierten Brief einer bekannten Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei vor, in dem ich zur „Beseitigung oder zumindest Verlegung der von Ihnen angelegten Kompostierungsanlage“ aufgefordert wurde. Ansonsten wurden juristische Maßnahmen „in nicht unbedeutendem Umfang“ angedroht. Das war mir jedoch völlig egal. Mit allen anderen Nachbarn hatte ich unterdessen ein gutes Verhältnis und diese sowie all meine Freunde und ehemalige Kollegen der zentralen Oberpostdirektion zu einem Sommerfest eingeladen. Es war Mitte August. Seit Wochen war es drückend heiß und hochsommerlich.

 

Natürlich gab es Gegrilltes bei diesem Fest. Den Holzkohlegrill hatte ich (natürlich ohne jede Absicht) direkt am Zaun zum Nachbargrundstück aufgebaut, neben dem Komposthaufen, von dem allerdings noch keine Düfte aufstiegen. Im Gegensatz dazu verbreitete der Grill, bzw. die darauf platzierten Würstchen und Nackensteaks ein angenehmes Aroma, solange man kein Vegetarier ist. Dass Frau Lüse dem Fleischgenuss nicht frönte, war mir unterdessen bekannt und daher war sie über die herüber strömende Rauchentwicklung wenig erbaut. Kurt hatte mir extra noch ein paar Tipps zukommen lassen, wie man den Qualm eines Holzkohlegrills noch verstärken konnte. Das beachtete ich denn auch. Die Party war ein voller Erfolg, bis diese durch den Einsatz eines Gartenschlauchs meiner Nachbarin ein jähes Ende fand. Diese Abkühlung gefiel trotz der Hitze jedenfalls niemanden.

 

Die Monate vergingen, Weihnachten näherte sich. Ich hatte mein Haus mit blinkenden Lichterketten verziert, was der Nachbarin erneut missfiel. Wir sprachen weiterhin nicht miteinander. Jeden Tag wartete ich auf einen neuen Brief ihres Anwalts, es kam jedoch nichts.

 

An Silvester besorgte ich mir ein riesiges Sortiment von Leuchtraketen. Dass eine davon „versehentlich“ auf Frau Lüses Haus flog und dieses entzündete bedauere ich zutiefst. Immerhin habe ich jetzt meine Ruhe. Ich hatte mir zum Jahreswechsel vorgenommen, mich nicht mehr mit meiner Nachbarin zu streiten. Das habe ich erfolgreich umgesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.alltoshop.de
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2018

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