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Bock auf Maibock

 

 

 

Es war am 1. Mai 1993, der Tag der Arbeit. An diesem Tag arbeiteten aber die Wenigsten, auch nicht mein Freund Rainer und ich. So beschlossen wir, eine Radtour durch den Hermann-Löns-Park und durch die Eilenriede, unserem Stadtwald, zu machen. Es war wunderschön, kaum eine Wolke am Himmel und nicht zu heiß, ideal zum Radfahren.

 

Proviant hatten wir nicht dabei, auch keinen flüssigen. Es gab und gibt auf dieser Strecke aber zahlreiche Verpflegungsstationen, verhungern konnte man nicht, erst recht nicht verdursten. So ging es über die „Alte Mühle“ am Annateich und dem „Kirchröder Turm“ an der Kirchröder Straße nach „Bischofshol“. Bier floss reichlich, besonders Rainer sprach diesem großzügig zu. Mein Freund hat zwar eine recht kräftige Statur, aber auch einen großen Durst. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell er trinken kann. Ein Weizenbier, immerhin einen halben Liter, kann er in wenigen Sekunden leeren, ohne einmal abzusetzen. Das schaffe ich nicht, und das will ich auch nicht, da das kein Genuss mehr ist.

 

„Eigentlich komisch, dass keine der Läden Maibock hat“, meinte Rainer, als er gerade sein Bier ausgetrunken hatte. „Nun, Rainer, das liegt an den Brauereien. Nicht jede braut das. Aber ich kenne eine Pinte, die das hat, gar nicht weit von hier“, entgegnete ich. Ich meinte das „Milchhäuschen“ nahe der Petri-Kirche gelegen, gegenüber vom Eisstadion. Milch gab es dort allerdings nicht – trotz des Namens.

 

Rainer war begeistert, offenbar hatte er immer noch Durst. Ich trank auch aus und wir fuhren mit unserem Rädern den Weg, der parallel zum Messeschnellweg verlief, entlang, unserem Ziel entgegen.

 

Das „Milchhäuschen“ lag zwar an einer Hauptverkehrsstraße, aber ein Stück zurück und war von Bäumen umgeben. Sehr lauschig und gemütlich, auch wenn der Charme früherer Jahre fehlte. Dazu muss man erklären, dass das Lokal innerhalb von fünfzehn Jahren zweimal abgebrannt war und nach dem letzten Brand eher zweckmäßig als schön aufgebaut wurde.

 

Wir setzten uns natürlich nach draußen, um das herrliche Wetter zu genießen. Genießen wollten wir aber auch den Maibock. Für Nichtbiertrinker sei erwähnt, dass dieser erheblich mehr Alkohol hat als normales Bier. Und es gibt ihn eben nur im Mai, bzw. einige Woche davor. Jedenfalls orderten wir zwei Maibock bei der hübschen, blonden Bedienung. Die junge Frau kam schon kurz darauf mit zwei Humpen zurück, in der Hand hatte sie außerdem zwei Karten dabei. „Das ist eine Sonderaktion, Jungs“, erklärte sie und fuhr fort: „Das sind Rubbelkarten. Ihr könnt tolle Preise gewinnen.“ Rainer wollte wissen: „Auch Freibier?“ Sie nickte und wünschte uns viel Glück.

 

Wir nahmen jeweils einen großen Schluck und rubbelten gemäß den Spielregeln drei der sechs Felder frei. Schon wenn man zweimal das gleiche Symbol erwischt hatte, hatte man etwas gewonnen. Und tatsächlich: Uns war das Glück hold, wir hatten jeweils zwei Bierkrüge freigerubbelt. Das bedeutete, dass jeder von uns einen weiteren Maibock gewonnen hatte. „Na, das hat doch prima geklappt“, rief Rainer erfreut und winkte nach der Kellnerin, die gerade vorbeiging. Sein Bier hatte er schon halb ausgetrunken. „Noch einen Maibock“, sagte er und wies auf seine Karte. „Na, da hast Du ja Schwein gehabt“, antwortete sie und fragte mich, ob ich auch noch eins wollte. Das wollte ich zwar, aber noch nicht gleich, da ich gerade mein Bier angetrunken hatte, mit Rainers Tempo kam ich nicht mit.

 

Fünf Minuten später stand der nächste Maibock für Rainer auf dem Tisch – und eine neue Karte. Mein Bierglas war unterdessen halb leer. Mein Freund sagte „Prost“, nahm einen Schluck und holte eine Münze hervor, um die Karte freizurubbeln. Und es war nicht zu glauben: er hatte ein weiteres Freibier gewonnen. Ich hatte mein Bier unterdessen fast ausgetrunken, so dass wir nachordern konnten.

 

Die Bedienung brachte das Gewünschte nebst Karten. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie mittlerweile leicht missmutig war. Jedenfalls hielt unsere Glückssträhne an: Wieder wurden jeweils zwei Bierkrüge freigerubbelt. „Das kann so weitergehen“, frohlockte Rainer. Der Nachmittag schien zwar alkohollastig, aber preiswert zu werden.

 

Nach der sechsten Runde hatten wir noch immer nur je ein Bier auf der Rechnung. Dann endete das unglaubliche Glück: nur Nieten auf den Karten, zur Freude der Kellnerin. Es war auch Zeit aufzubrechen, so viel Bier hatte ich lange nicht mehr getrunken, und so preiswertes auch nicht.

 

„Du solltest bei mir übernachten und nicht nach Hause fahren“, lallte ich. Auch wenn mein Freund viel vertragen konnte, selbst für seine Verhältnisse war das etwas mächtig. Rainer nahm meinen Vorschlag an. Zu Hause hauten wir uns dann gleich hin, obwohl es erst früher Abend war.

 

Einige Jahre später geriet die hannoversche Gilde-Brauerei in finanzielle Schwierigkeiten und wurde von einer Bremer Konkurrenz übernommen, die mit den grünen Flaschen und dem entsprechenden Segelboot. Ob das eine Spätfolge der Maibock-Rubbelkarten-Aktion war, weiß ich nicht. Möglich ist das schon. Und das „Milchhäuschen“ gibt es auch nicht mehr, es wurde 1996 abgerissen, um dem Entlüftungsschaft, der für die später gebaute Untertunnelungstrogstrecke des Messeschnellweges gebraucht wurde, zu weichen, alternativ hätte das gegenüberliegende Eisstadion verschwinden müssen, was niemand gewollt hätte.

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.hanselbraeu.wordpress.com
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2018

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