Nele freute sich auf Ostern. Ihre Mutti hatte ihr erklärte, dass es dann zwar keine Geschenke gab, wie an Weihnachten, aber viele leckere Süßigkeiten. Außerdem konnte sie dann wieder in dem Garten ihres Opas spielen. Da gab es immer viel zu sehen und zu entdecken. Der Opa war lange krank gewesen, und Nele durfte ihn nicht besuchen. Er hatte sich furchtbar erkältet, als Nele mit ihm und ihren Eltern an Weihnachten auf dem Brocken gefahren war und sie gelernt hatte, was Eisblumen waren. Nele liebte aber auch richtige Blumen. „Jetzt im Frühling wird es schon bald viele davon geben“, hatte ihre Mutti gesagt.
„Fahren wir heute in Opas Garten?“, wollte Nele wissen, die noch in ihrem Bettchen lag. Ihre Mutti nickte und sprach: „Ja, Nele, es ist zwar noch nicht Ostern, sondern Gründonnerstag, aber dem Opa geht es wieder gut. Er freut sich schon auf Dich.“ Die kleine Nele jubelte. Das war eine gute Nachricht. In Windeseile putzte sie sich die Zähne, zog sich an und stürmte in die Küche. Dort war das Frühstück schon fertig. Es gab Pfannkuchen und Kakao. Nele verputzte das sehr schnell. Wie immer, wenn sie ungeduldig war, zappelte sie mit ihren Füßen.
„Schade, dass Vati nicht mitkommt“, sagte Nele, als sie zu Mutti in das Auto stieg. „Aber ich habe Dir doch erklärt, dass Vati arbeiten muss, Nele“, antwortete ihre Mutter. Nele nickte und fragte zwei Minuten später: „Sind wir bald da bei Opa?“ „Aber, Nele, wir sind doch gerade erst losgefahren. Lies erstmal in Deinem Bilderbuch, es liegt da neben Dir“, erklärte die Mutti. Richtig lesen konnte Nele zwar noch nicht, sie war ja erst fünf. Aber die Bilder in dem Buch sah sie sich gerne an, immer und immer wieder. Noch viel schöner würde es aber in Opas Garten werden, da war sie sich sicher.
Kaum war Nele mit ihrer Mutti auf dem Parkplatz der Gartenkolonie angekommen, als Nele auch schon „Ohhhhh“ rief. Sie hatte etwas gesehen, etwas Wunderschönes. Da waren viele Bäume mit rosaroten Blüten. Nele war begeistert, wie alle Mädchen liebte Nele Rosa. „Mutti, guck mal, Mutti guck mal“, rief sie aufgeregt. „Das sind Kirschblüten, Nele. Davon gibt es auch ganz, ganz viele in Opas Garten“, sagte die Mutti. Nele stürmte los und überhörte die mahnenden Rufe ihrer Mutter. Es war zwar nicht los auf dem Parkplatz, aber ganz ungefährlich war das doch nicht. Der Garten vom Opa war nur um die Ecke, er stand auch schon an der Eingangspforte. „Opa, Opa“, rief Nele und war glücklich. Sie umarmte ihren Großvater. „Das ist aber schön, Nele, dass Du mich mal wieder besuchst“, erwiderte der Opa und ergänzte: „Komm doch rein“.
Neles Mutter kam völlig außer Atem hinterher, mit ihren kleinen Beinen war Nele doch deutlich schneller als sie. In Opas Garten waren tatsächlich mehrere Bäume mit rosa Blüten, sie dufteten wunderbar. „Da wachsen Kirschen raus, Opa? Diese süßen, die ich so mag?“, wollte Nele wissen. „Nein, Nele, diese Bäume dort nennt man japanische Zierkirschen. Diese rosa Blüten sind wunderschön, nicht wahr? Die Früchte, die da wachsen werden, kann man zwar auch essen, sie schmecken aber nicht so gut. Aber schau: da hinten die beiden Bäume mit den weißen Blüten, das sind Süßkirschen, die sind lecker. Magst Du ein Glas Kirschsaft? Der ist noch vom letzten Jahr“, antwortete der Opa. „Das mit den Kirschen habe ich noch nicht einmal gewusst, Vater“, sagte Neles Mutti.
Alle setzten sich auf die Veranda vor Opas Laube. Nele beobachtete, wie Dutzende von Bienen die Kirschbäume umschwirrten. Bevor sie fragen konnte, hatte der Opa auch schon die Erklärung parat: „Die bestäuben die Bäume, sie fliegen von Blüte zu Blüte und verbreiten die Pollen. Das tuen die fleißigen Bienen mit vielen Pflanzen. Aus dem Nektar machen sie dann den Honig.“ „Hmm, Honig“, sagte Nele. Vor ihr stand ein großes Glas mit süßem, roten Saft. Er schmeckte lecker. Auch ihre Mutti trank Kirschsaft, der Opa hatte sich etwas aus einer anderen Flasche eingegossen. Das sah zwar genauso aus, roch aber seltsam. „Das ist Obstwein, Nele, das ist nichts für Kinder“, erklärte der Großvater und die Mutti ergänzte: „Und auch nichts für Muttis, die noch Autofahren müssen.“ Alle lachten.
„Du Opa, wenn man die Blüten in die Erde steckt, wächst denn daraus so ein großer Baum?“, fragte Nele. „Nein, meine Kleine, da musst Du einen Kirschkern nehmen. Du weißt doch, dass man Kirschkerne ausspucken muss, wenn man Kirschen isst“, antwortete der Opa. Nele nickte, das hatte ihr die Mutti beigebracht. „Und können wir so einen Baum pflanzen, Opa??? Bitte, Bitte!“, quengelte Nele und zappelte mal wieder mit ihren Beinen. „Das dauert aber lange, viel zu lange für ein kleines ungeduldiges Mädchen. Aber wir können etwas anderes machen, Nele. Kennst Du Sonnenblumen?“ Nele schüttelte mit dem Kopf, worauf der Opa zum Kühlschrank ging und eine Packung Margarine hervorholte. Da waren große, gelbe Blumen abgebildet, in der Mitte waren sie braun mit vielen Kernen.
„Wenn man diese Kerne pflanzt, wachsen ganz, ganz große Blumen heraus. Die werden höher als Dein Papa!“, sagte der Opa. „Kann ich dabei zusehen?“, wollte Nele wissen. „Na, ja, ganz so schnell geht es denn doch nicht. Aber komm, Nele, wir pflanzen jetzt Sonnenblumen.“ Der Opa öffnete eine Schublade des alten, hölzernen Schranks, der in der Laube stand und holte eine kleine Papiertüte heraus. Da waren genau die gleichen schönen Blumen zu sehen wie auf der Margarinepackung. Er nahm eine Schaufel und ging mit Nele zu dem Blumenbeet. Opa grub mit der Schaufel sechs Löcher in die Erde und Nele durfte in jedes der Löcher einen Kern aus der Packung geben. Das machte ihr Spaß. Danach schüttete der Opa die Erde wieder in die Löcher.
Es vergingen zwei Wochen, bis Nele mit ihrer Mutti wieder zu Opas Garten fuhr. Fast jeden Tag hatte Nele von ihrem Opa wissen wollen, ob die Sonnenblumen schon groß geworden waren, sie war eben sehr ungeduldig. Der Opa hatte jedes Mal am Telefon gesagt, dass sie noch etwas warten musste. Jetzt konnte sie es nicht mehr abwarten. Und richtig: Als sie zum Beet ging, waren da sechs Sprossen zu sehen, sie waren aber noch winzig. Ganz oben waren die Knospen grau, nicht so schön gelb, wie Nele dachte. „Das wird noch, Nele, das wird noch“, sprach der Opa und fuhr fort: „Das sind erst die Keimlinge. Damit daraus schöne große Sonnenblumen werden, brauchen sie noch viel Sonne, aber auch Wasser. Möchtest Du sie gießen, Nele?“ Natürlich wollte sie das. Der Opa reichte ihr eine kleine Gießkanne und Nele gab den kleinen Blumen Wasser, aber nicht zu viel, darauf achtete der Opa.
Weitere vier Wochen später, es war Pfingstsonntag, waren die Blumen schon fast so groß wie Nele. Der Opa hatte Holzstäbchen an die Sonnenblumen angebunden, damit sie gerade wachsen. Jetzt sahen sie auch schon wie richtige Sonnenblumen aus, gelbe Blüten mit einer braunen Mitte. Nele war begeistert, darüber vergaß sie fast die Enttäuschung, dass die vielen schönen Blüten der Kirschbäume alle verschwunden waren. „Aber bald schon ist Sommer, Nele, dann gibt es leckere Kirschen“, sagte der Opa. Darauf freute sich Nele.
Bildmaterialien: www.teddylingua.de
Tag der Veröffentlichung: 20.04.2018
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