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Auf Holz geklopft

 

 

 

Hartmut quälte sich missgelaunt aus dem Bett. Jetzt im Winter musste er zwar nicht arbeiten, weil die Mini-Golf-Anlage zu hatte, aber nichtsdestotrotz gab es reichlich zu tun. Den Keller wollte er entrümpeln. Dort stapelten sich immer noch die Möbel seiner verstorbenen Tante Agathe. Hartmut hatte es bislang noch nicht über das Herz gebracht, die alten Sachen zu entsorgen. Zwar hatte ihn die Tante zeitlebens stets genervt, weil sie ihn immer zurechtwies, aber Hartmut hatte vor drei Jahren viel Geld von ihr geerbt, was seine finanzielle Lage auf einen Schlag grundlegend besserte. Kurz vor ihrem Tode hatte er ihr geschworen, „all die schönen Möbel“ zu übernehmen und pfleglich zu behandeln. Teilweise kam er diesen Wunsch zwar nach, aber dummerweise war wenig Platz in seiner kleinen Wohnung und so wanderte fast alles unbeachtet in den Keller, wo es allmählich verrottete.

 

Um 9 Uhr klingelte es an Hartmuts Tür. Es war Berti, sein bester Freund und zugleich Wirt seiner Stammkneipe. Er wollte ihm beim Entrümpeln helfen und sichten, ob nicht doch das eine oder andere Stück zu retten sei. Berti kannte sich nach eigenen Angaben dabei bestens aus, da er Stammzuschauer von „Bares für Rares“ war.

 

„Eh, Du hast ja immer noch das blöde Hufeisen aufgehängt“, bemerkte Berti und ergänzte: „Hast Du noch nicht genug Pech gehabt, seit dem Ding vor fünf Jahren?“. Er spielte auf Hartmuts verpassten Lottogewinn an, als dieser zwar sechs Richtige hatte, aber die Ziehung für ungültig erklärt wurde, nachdem das Ziehungsgerät defekt war. „Ich weiß jetzt, wie herum man es aufhängen muss, nämlich mit der Öffnung nach oben, damit das Glück nicht herausfällt“, antwortete Hartmut. „Bist Du denn so abergläubisch, Hartmut?“ „Ja, Berti. Seitdem das Hufeisen richtig herumhängt, hatte ich nur Glück. Mein Chef hat mich wieder angestellt, ich habe Beate kennen gelernt, und dann...“ „Dann ist Deine Tante gestorben, und Du hast viel Kohle von ihr geerbt.“ „Ja, und diese blöden Möbel. Das ist das Stichwort. Lass uns nach unten gehen und den Mist rausräumen. Für morgen habe ich schon einen Sperrmülltermin.“

 

Die beiden gingen in den Keller. Berti hatte Halteriemen für die Möbel besorgt und auch eine Sackkarre. Er war aber baff, als er den vollgestopften Keller sah, über und über türmten sich Kommoden, kleine und große Schränke sowie mehrere altmodische Sofas in dem kleinen Raum. „Oh, je. Meinst Du, wir schaffen das heute? Eigentlich wollte ich ja noch gucken, ob das etwas Brauchbares dabei ist. Du hast ja gesagt, dass Deine Tante ziemlich reich war“, äußerte sich Berti. Hartmut entgegnete: „Ach, das klappt schon. Da bin ich sicher, ich habe da schon mal nachgeguckt, da ist nur lauter Krimskrams drin: alte Urkunden, Bücher, Bilder und Weihnachtsschmuck. Das brauche ich wirklich nicht. Aber vielleicht finden wir ja noch etwas Hübsches für Beate. Die steht auf Kitsch!“ Zur Bestätigung klopfte er dreimal auf die hölzerne Kommode, die am Eingang stand. Das sollte Glück bringen.

 

„Na, denn“, rief Hartmut und wies auf die Kommode, auf die er eben geklopft hatte. Damit wollte er beginnen. „Die schleppe ich alleine nach oben“, antwortete Berti lachend und wollte sie anheben. Der Versuch scheiterte kläglich. „Scheiße, sind da Steine drin?“, rief er aus. „Nein, Berti, aber alte Bücher. Die sind nichts wert“, antworte Hartmut und öffnete das alte Möbelstück. Er holte eines davon hervor. Der Einband war bemalt, offensichtlich ein Kinderbuch. Man sah einen kleinen Jungen, der auf einer Felskugel stand, um ihn herum Sterne und ein Vollmond.

 

„The Little Prince“ stand in Schreibschrift darüber und der Name des Autors: Antoine de Saint-Exupéry. „Ein langweiliger Schinken, außerdem hat da einer rumgekritzelt“, sagte Hartmut und schlug das Buch auf. Auf der dritten Seite sah man die Zahl „258“ sowie eine Unterschrift. „Mann, Mann, Mann! Das ist eine amerikanische Originalausgabe eines weltberühmten Buches. Dazu numeriert und handsigniert – und bestens erhalten. Das ist ein Vermögen wert. Und Du lagerst das jahrelang im Keller und wolltest es wegwerfen“, antwortete Berti vorwurfsvoll.

 

Die beiden räumten danach sorgsam die Kommode aus und räumten den Inhalt in einen Karton um, Berti wollte später sondieren, ob nicht weitere Kostbarkeiten dabei waren. Bei jedem Möbelstück, das herausgeholt wurde, testete Hartmuts Freund, ob es klapperte oder schepperte. Das war aber nicht der Fall. So wurde es Mittag und die beiden machten erst einmal Pause, nach all der Anstrengung und Aufregung. „Ich bin wirklich gespannt, was wir noch alles da unten finden. Das Buch war auf jeden Fall schon einmal ein Riesenfund“, bemerkte Berti und biss genussvoll in sein Mettbrötchen.

 

Um 13 Uhr ging es weiter. Als Nächstes wollten die beiden eine alte Truhe nach oben schleppen. „Da ist aber noch olles Zeug drin“, warnte Hartmut und Berti antwortete: „Denn lass uns die sorgfältig durchsuchen. Bei Deinem heutigen Glück finden wir auch noch die Bundeslade mit den zehn Geboten.“ Das meiste Inventar war dann aber tatsächlich nur kitschiges Zeug ohne viel Wert, aber dann entdeckte Berti einen Leinensack. „Ach, das sind die Ostereier. Damit habe ich als Kind immer spielen wollen, durfte aber nicht. Eines davon ist besonders schön. Schau mal“, erklärte Hartmut und holte ein goldenes Ei hervor, in Form einer goldenen Henne mit rosa Diamanten, die ein kleines Saphir-Ei mit dem Schnabel aus dem Nest nahm. „Ich werde verrückt, Hartmut! Das ist ein Fabergé-Ei aus der Zarenzeit. So ein ähnliches habe ich mal auf einer Ausstellung gesehen, aber so schön wie dieses war es nicht“, rief Berti begeistert. Er war völlig von den Socken und hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Hartmut hatte das Ei eigentlich als schönes Geschenk für seine Freundin vorgesehen, doch sein Kumpel beschwor ihn, ihr etwas anderes zu überlassen.

 

„Wie ist denn Deine Tante an dieses Schmuckstück gekommen?“, wollte Berti wissen. „Nun, mein Onkel Herbert, also der Mann meiner Tante, hatte einen Großcousin, der Koch am Hof des Zaren war. Als dieser gestürzt wurde und mit seiner Familie sowie seinem Hofstaat floh, ging alles drunter und drüber. Da muss mein Verwandter irgendwie in Besitz des Eis gelangt sein, so hat es Tante Agathe immer erzählt. Er ist dann nach Amerika ausgewandert und hat da in der Kantine eines Verlages gearbeitet“, erklärte Hartmut. „Das war bestimmt der Verlag, der das Kinderbuch herausgebracht hat“, mutmaßte Berti. Hartmut fuhr mit seiner Erzählung fort: „Ja, irgendwann ist der Großcousin gestorben und Onkel Herbert hat alles geerbt. Es kam ein großes Paket aus Amerika an mit allem möglichen Zeug. Da war auch noch so eine alte, verwitterte Urkunde dabei. Die hat mir gut gefallen. Sie hängt jetzt oben in meinem Wohnzimmer.“

 

Stolz wies Hartmut auf den vergilbten Zettel, der unter Glas eingerahmt hing. „In Congress, July 4, 1776“ stand da als Überschrift und darunter: „The manimous Decalaration of the thirteen united States of America“ in schnörkeligen Buchstaben, gefolgt von einem langen Text, der schwer lesbar war. Ganz unten sah man zahlreiche Unterschriften. „Scheiße, Scheiße! Das ist die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten!“, rief Berti aus. Seine Begeisterung hatte sich ins Unermessliche gesteigert.

 

Zwar erwies sich diese Urkunde nur als ein Nachdruck aus dem Jahr 1823 und nicht als das Original, aber das Kinderbuch vom kleinen Prinzen und vor allem das Fabergé-Ei waren tatsächlich ein Vermögen wert, so dass Hartmut ein reicher Mann wurde. Er bezog mit seiner Freundin Beate ein schönes, großes Haus am Stadtrand und kündigte diesmal endgültig den Job bei der Mini-Golf-Anlage. Berti bekam für seine Hilfe und seine guten Ratschläge einen großen Batzen Geld ab, modernisierte seine Kneipe und taufte diese in „Bei Hartmut“ um. Sein Freund hatte dort fortan Anspruch auf kostenlose Getränke, was dieser ausgiebig auskostete. Das Klopfen auf Holz hatte sich jedenfalls gelohnt.

 

 

 

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Bildmaterialien: www.archzine.net
Tag der Veröffentlichung: 07.02.2018

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