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Das Projekt Jesus

 

Drei Projekte hatten Sarah O'Brian, Vladimir Kaspersky und ich nun schon mehr oder weniger in den Sand gesetzt. Jeder andere Arbeitgeber hätte uns nach diesen Desastern längst vor die Tür gesetzt, aber da außer uns dreien niemand die von uns erzeugten Zeitparadoxen bemerkte, waren wir noch immer mit der Erforschung der Vergangenheit beauftragt.

 

Eine neue Aufgabe wartete auf uns, nämlich das Geheimnis der Geburt von Jesus Christus zu lüften, sehr zur Freude der katholischen Kollegin Sarah. Vladimir, der Jude, sah das natürlich wesentlich entspannter und ich als Agnostiker konnte sowieso über solche religiösen Grundsatzdiskussionen hinwegsehen. Auch der Beweis, dass Moses tatsächlich existiert hat und er von irgendwo her diese komischen Steintafeln mit den neun Geboten bekommen hatte, hatte mich immer noch nicht davon überzeugt, dass es Gott tatsächlich gibt. Mit Jesus war es insofern etwas anderes, dass die Tatsache, dass er als historische Figur existiert hatte, mittlerweile von kaum jemanden angezweifelt wurde. Aber ob er nun tatsächlich Gottes Sohn war, wie die Christen glaubten oder nur Prophet, wie ihn die Moslems ansahen, war offen. Vielleicht konnten wir drei ja die Aufklärung erbringen. Unterdessen war eine kleine Verbesserung an dem Flugobjekt eingebaut worden, die wir heute austesten wollten.

 

„So, es geht los!“, rief Sarah begeistert und sah glücklich aus. Die örtliche Taxierung der Geburt von Jesus war einfach, das war in den zahlreichen Überlieferungen mittlerweile eindeutig und übereinstimmend beschrieben. Es ging also nach Betlehem in Judäa. Viel schwieriger war es mit der Zeit. Ein Jahr 0 gab es nie, aber -1 oder 1 war auch falsch, wie Sarah, unsere Historikerin erklärt hatte. Denn Jesus wurde zu Lebzeiten von Herodes geboren, der jedoch im Jahre 4 vor „Christus Geburt“ starb. Forschungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert zufolge, muss Jesus demnach im Jahre -7 bis -4 v. Chr. geboren sein, was komisch klingt. Daher müssten wir eigentlich nicht das Jahr 2118, sondern vielleicht 2125 haben. Auch das zu klären, war Teil unserer Aufgabe zur Erforschung der Vergangenheit.

 

Ich als Physiker hatte mich mit dem vorgeblichen „Stern von Betlehem“ beschäftigt, bei dem es sich vielleicht um einen Kometen gehandelt hatte. Aber intensive Berechnungen aller möglichen Kandidaten, ergaben keinen, der zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort hätte gesehen werden können. Im Matthäus-Evangelium heißt es „Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“. Was wäre aber, wenn es diesen Stern nie gegeben hätte? Würde die ganze Jesus-Geschichte wie ein Kartenhaus zusammen fallen?

 

Sarah drückte den Startknopf und wir blickten gespannt, auf die Angela-Merkel-Statue, die heute purpur erstrahlte. Die Flugmaschine war – wie immer – vor ihr aufgebaut. Sie erhob sich surrend in den Berliner Himmel. Heute war es ziemlich trüb, wir hatten diesmal kein spezielles Wetter bestellt gehabt. Bis das Objekt in Betlehem sein würde, würden noch vier Stunden vergehen. Wir gingen in unser Büro zurück und bereiteten uns auf die Ankunft der Flugmaschine am Ziel vor.

 

Um 13 Uhr übertrug der 4D-Projektor die ersten Bilder. Wir befanden uns im Jahre 5 vor Christus, zu sehen war nur eine öde Wüstenlandschaft. „Ich denke, wir konzentrieren uns zunächst auf die Sommermonate. Jesus ist definitiv nicht am 24. Dezember geboren, soviel steht fest“, erklärte Sarah. Das war für mich nichts Neues, die Festlegung des Geburtstages von Christus war in späteren Jahrhunderten auf die Wintersonnenwende gelegt worden, um den Heiden ihre früheren Feste zu erhalten. Auch als Agnostiker wusste man so etwas.

 

Nach vergeblichem Suchen in dieser Zeit drückte Sarah einen Knopf und ging ein Jahr zurück. Und da sahen wir sie: einen älteren, langbärtigen Mann und eine sehr junge, schwangere Frau. Das waren offensichtlich Josef und Maria. Sie näherten sich einem kleinen Dorf, offensichtlich war das Betlehem. Es wurde allmählich dunkel. „Jetzt können wir gleich die kleine Verbesserung an der Zeitmaschine austesten“, sagte ich und drückte eine Taste. Augenblicklich wurde die Projektion heller, was aber nicht an dem Bildschirm lag, denn die beiden müden Wanderer blickten verwundert nach oben.

 

„Die haben einen Scheinwerfer eingebaut, damit können wir alles besser erfassen“, sagte ich. Vor lauter Begeisterung über die Übertragung überhörte Sarah das leider. Maria und Josef setzten jedenfalls ihren Weg fort. Wie in der Bibel beschrieben, wurden sie in Betlehem überall abgewiesen und kamen schließlich in einem schäbigen, kleinen Haus unter, das man mehr oder weniger auch als Stall bezeichnen konnte.

 

In einigen Kilometer Entfernung sahen wir drei Hirten, die durch die Wüste liefen. Zielstrebig liefen sie auf das Haus zu, offenbar geleitet von dem Suchscheinwerfer unserer Flugmaschine. Da hatten wir den „Stern von Betlehem“. Es war also kein Komet. „Hmm, na, ja. Dann wäre das ja geklärt, aber lasst uns schauen, was weiter geschieht. Sebastian, zoome mal näher an die drei Hirten, wie Könige aus dem Morgenland sehen die nicht aus. Aber das hatte ich auch nicht unbedingt erwartet. In den Evangelien wird das unterschiedlich erzählt“, erklärte Sarah. Besonders enttäuscht wirkte sie nicht. Sie hatte mal vor einiger Zeit erklärt, dass sie nicht zu denjenigen gehört, die die Bibel wortwörtlich auslegten, als ich ihr gegenüber meine Bedenken zu der Geschichte mit Noah und seiner Arche äußerte.

 

„Na, ob die Gold, Weihrauch und Myrrhe dabei haben?“, fragte Vladimir in einem leicht spöttischen Ton. Sarah blickte ihn griesgrämig an und sagte: „Wir könnten ja nachhelfen. Schicken wir doch etwas zu den Hirten. Ihr habt doch bestimmt irgendwelchen Krimskrams, der sich als Präsent eignet. Wenn wir schon ein Zeitparadoxon erzeugt haben, dann kommt es darauf jetzt auch nicht mehr darauf an.“

 

Ich überlegte, dann fiel mir diese blöde Kuckucksuhr ein, die mir vor langer Zeit mal eine Kollegin zum Geburtstag geschenkt hatte, sie lag immer noch unausgepackt in meinem Schrank. Die besagte Kollegin hatte einen ausgesprochenen Hang zum Kitsch. So hatte sie Vladimir eine Matroschka-Puppe geschenkt, als er sein Dienstjubiläum feierte und Sarah bekam von ihr einen Leprechaun, das sind diese kleinen, dicklichen Trolle, die den Menschen gerne Streiche spielten. Alles völlig unnützes Zeug, aber immerhin mit Bezug zu unseren Heimatländern.

 

Und so geschah es, dass dem kleinen Jesus von den vorgeblichen Königen, die tatsächlich wohl Hirten waren, als Gabe nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe, sondern eine Kuckucksuhr aus Deutschland, eine Matroschka-Puppe aus Russland und einen Leprechaun aus Irland mitgebracht wurden.

 

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Bildmaterialien: www.bilder.bild.de
Tag der Veröffentlichung: 21.01.2018

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