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Der Friseurtermin

 

 

 

Miriam war glücklich. Sie hatte für den heutigen Tag einen Termin bei „Haarlekin“, dem besten Friseursalon der Stadt, ergattert. Sie würde danach beim Klassentreffen am heutigen Abend großartig aussehen – da war sie sich sicher.

 

Mit Feuereifer erledigte Miriam ihre Arbeit bei der Kfz-Versicherung in Frankfurt/Hoechst und konnte kaum den Feierabend abwarten. Jetzt durfte nur nichts dazwischen kommen. Doch es kam, wie es kommen musste. Kurz vor 14 Uhr kam Miriams Chef, Herr Bollmann, in ihr Büro und drückte ihr einen komplizierten Fall in die Hand, in dem es um eine Massenkarambolage auf der Autobahn ging. Das wäre kaum in einer Stunde erledigt. Miriam überlegte kurz, was sie tun sollte. Sich an die Arbeit heranmachen und den Friseurtermin sausen lassen? Das wäre zwar ihrer Karriere förderlich, aber nicht ihrem Aussehen beim Klassentreffen. Wenn sie jedoch den Fall einfach liegen lassen würde, gäbe es bestimmt wieder Ärger mit Bollmann. Der alte Knochen war ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen. Da fand sich eine Lösung, die Beidem gerecht wurde. Tanja, ihre liebe Kollegin, bot sich an, den Fall zu übernehmen. „Da hast du aber bei mir etwas gut, Süße!“, sagte Miriam freudestrahlend und machte pünktlich um 15 Uhr Feierabend.

 

Sie begab sich ins Parkhaus und musste feststellen, dass zwei Idioten rechts und links von ihrem Wagen so dicht geparkt hatten, dass es unmöglich war, in diesen einzusteigen. Nun konnte sie entweder warten, bis einer der beiden Blödmänner erschien oder aber stattdessen mit der Straßenbahn fahren. Spontan entschied sich Miriam für die zweite Möglichkeit.

 

Die Haltestelle war nur fußläufig entfernt. Als nach fünfzehn Minuten immer noch keine Tram kam, wurde Miriam allmählich sauer. Seltsam war, dass außer ihr niemand dort wartete. Warum das so war, erfuhr sie kurz darauf, als eine einsame Tageszeitung vorbei wehte. „Streik. Frankfurt steht still!“: Das war die Schlagzeile und ein Foto vom Straßenbahndepot prangte darunter. Scheiße, muss das jetzt auch noch sein, dachte Miriam und sah sich verzweifelt nach einem Taxi um. Zwar fuhren einige vorbei, doch waren diese alle besetzt.

 

„Irgendwie ist das heute nicht mein Tag“, murmelte Miriam vor sich hin. Zu Fuß war es viel zu weit bis zum Friseursalon, der am anderen Ende der Stadt in Fechenheim lag. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zum Parkhaus zurückzukehren und zu hoffen, dass ihr Wagen mittlerweile befreit war.

 

Glücklicherweise war der rechte Parknachbar unterdessen weggefahren, hatte allerdings am Kotflügel von Miriams Wagen deutliche Spuren hinterlassen. Den Gedanken, die Polizei zu rufen, verwarf Miriam schnell, denn sie hatte schon genug Zeit vergeudet. Jetzt war es 15.20 Uhr, in vierzig Minuten sollte sie beim Friseur sein.

 

Die Hauptstraße, auf der man sonst um diese Zeit zügig durchfahren kannte, war leider stark befahren, was dem Streik der Verkehrsbetriebe geschuldet war. Zwanzig Minuten später hatte Miriam erst ein Viertel der Wegstrecke hinter sich gebracht. Das schaffe ich niemals pünktlich, dachte sie verärgert und wollte schon zum Handy greifen und den Salon anrufen, dass es etwas später werden würde. Doch ihr fiel ein, dass Telefonieren am Steuer ja nicht erlaubt war, darum ließ sie es.

 

Zehn Minuten später, 15.45 Uhr. Miriam hatte die Hauptstraße verlassen und hoffte, dass die parallel laufende Nebenstraße frei war. So war es auch, aber jetzt setzte Regen ein. Erst nur ganz leicht, dann immer stärker. Folglich musste sie wieder langsamer fahren. Drei Fahrzeuge vor ihr fuhr ein Laster, der Baumstämme geladen hatte, Miriam war froh, dass sie nicht direkt hinter ihm war. In den Berichten, die sie in ihren Versicherungsakten las, hatte sie von vielen schrecklichen Unfällen Bilder gesehen, bei denen ein solcher LKW seine Ladung verloren hatte, welche die nachfolgenden Fahrzeuge unter sich begrub. Jetzt verwandelt sich der Regen allmählich in Hagel, die Körner hatten die Größe von Tischtennisbällen. Es ging nur noch im Schritttempo voran.

 

16 Uhr. Miriam war noch immer vier Kilometer von ihrem Ziel entfernt, der Verkehr stand praktisch still. Der Laster hatte unterdessen die Strecke verlassen und war in eine Nebenstraße abgebogen. Das nützte jedoch nicht viel, da der Hagel nicht nachließ, sondern sogar noch heftiger wurde. Dem Fahrer eines Audis hinter Miriam ging es offenbar nicht schnell genug, er setzte den linken Blinker. Der Idiot will tatsächlich überholen, dachte Miriam entsetzt.

 

Es kam, wie es kommen musste. Der Audi krachte mit einem entgegen kommenden Toyota zusammen, beide Fahrzeuge kamen ins Schleudern und prallten gegen Miriams Mazda. Ihr Wagen landete auf dem Fußweg. Ein junger Mann, der dort gerade entlangging, konnte gerade noch beiseite springen.

 

Miriam stieg unverletzt aus und griff zum Handy, um die Polizei anzurufen. Zum Glück waren auch die beiden anderen Fahrer mit dem Schrecken davon gekommen. Danach wählte sie die Nummer des Salons. Verwundert musste sie jedoch feststellen, dass niemand heran ging. Sie schüttelte den Kopf, das war mehr als eigenartig.

 

Geschlagene vierzig Minuten später kamen die Ordnungshüter. „Entschuldigung, wir konnten nicht eher kommen, es gab einen schweren Verkehrsunfall in Fechenheim. Ein Kleintransporter ist auf nasser Fahrbahn in einen Friseursalon gekracht, es gab mehrere Tote“, erklärte der junge Polizist. Ihm war das Entsetzen noch ins Gesicht geschrieben. Miriam war mindestens genauso schockiert, als sie erfuhr, dass es sich dabei tatsächlich um den „Haarlekin“ handelte.

 

Wäre ihr Auto nicht zugeparkt gewesen oder die Straßenbahn nicht bestreikt worden oder hätte Miriam nicht die Hauptstraße verlassen, hätte sie durchaus unter den Opfern sein können.

 

An diesem Abend ging sie unfrisiert zum Klassentreffen, konnte dort aber noch einmal Geburtstag feiern. Es gibt keine Zufälle, alles im Leben ist vorbestimmt. Den Toten an diesem Tag, war das Schicksal leider nicht so gnädig.

 

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Bildmaterialien: www.davidandson.de
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2014

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