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Einfach riesig

 

 

 

„Ich habe dir doch gesagt, dass das so nicht funktionieren wird“, grummelte Edwin und strich sich über sein immer noch spärliches Haar. Sein Freund Walter hatte ihm versprochen, dieses Problem zu beheben. Er hatte vorletzte Woche auf dem Flohmarkt ein Hexenzauberbuch erworben und darin ein Rezept für ein Haarwuchsmittel gefunden. Eidechsenzungen, Fliegenpilze, Krötenlaich, Fledermauskrallen und Teufelswurz – das waren die exotischen Zutaten. Dazu kamen etwas Hühnerbrühe und Suppengrün für den guten Geschmack. Geholfen hatte es offenbar aber nicht – Edwins Kopf zierte immer noch ein Hubschrauberlandeplatz.

 

„Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben“, murmelte Walter und schlug das Buch auf. Es war offenbar uralt und handgeschrieben. Entsprechend schwierig war das Entziffern der Schrift. Walter setzte sich seine Brille auf, was er sehr ungern tat, dann er war recht eitel. „Hmmm“, machte er und räusperte sich. „Was heißt hier ´Hmmm`, Walter?“, wollte Edwin wissen. Dieser antwortete: „Ich glaube, ich habe den Fehler gefunden.“

 

„Ach, und das bemerkt der Herr erst jetzt. Das darf doch wohl nicht wahr sein“, empörte sich Edwin und schlug mit der Faust auf dem Tisch. „Tja, ich glaube, dass muss Knöterich und nicht Krötenlaich heißen. Es ist aber auch wirklich sehr undeutlich geschrieben“, sagte Walter leise. „Na, klasse, du lässt mich dieses Gebräu schlucken und dann bemerkst du rein zufällig, dass du dich verlesen hast, du Heini. Es reicht mir für heute“, entgegnete Edwin, griff seine Jacke und ging zur Tür.

 

Völlig überraschend stieß er mit seinem Kopf an den Türsturz. „Aua“, rief Edwin und fluchte. “Sag mal, hast du heimlich deine Tür niedriger gemacht?“, ergänzte er. „Nein, die ist wie immer. Übrigens solltest du dir eine neue Hose kaufen, du hast ja derart Hochwasser – das geht gar nicht“, antwortete Walter. Edwin sah an sich hinunter und stellte fest, dass das stimmte. Erstaunlicherweise war auch sein Shirt zu kurz. „Ich fürchte, der Zauber hat doch geholfen, aber nicht so wie er sollte“, sagte er trocken. Nicht sein Haar war gewachsen, sondern er selbst, und das ein gehöriges Stück.

 

„Tja, was soll ich dazu sagen, ich habe mit Zaubern recht wenig Erfahrung. Es war mein erster Versuch“, entgegnete Walter. Ihm war das ziemlich peinlich. Was so ein kleiner Fehler doch alles bewirken konnte. „Immerhin haben große Männer mehr Erfolg bei den Frauen“, fuhr er fort. Jetzt reichte es Edwin endgültig. Wütend schlug er die Tür zu und ging nach Hause.

 

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Am nächsten Morgen klingelte das Telefon schon sehr früh bei Walter. „Kaufmann“, meldete er sich. Am anderen Ende sagte Edwin: „Es ist schlimmer geworden. Du musst kommen.“

„Warum kommst du nicht zu mir? Ich bin gerade eben aufgestanden, habe noch nicht geduscht und auch noch nicht gefrühstückt.“

„Ich kann nicht kommen. Ich sagte ja schon, dass es schlimmer geworden ist, sehr viel schlimmer. Und bring dieses beschissene Buch mit.“

 

Walter konnte sich eine Stunde später davon überzeugen, wie schlimm es war. Edwin war völlig nackt und hatte einen Badezimmerteppich um seine Hüfte gewickelt. Er war unterdessen gut zwei Meter fünfzig groß. „Ich danke vielmals für deine tollen Zauberkünste, mein Freund“, sprach Edwin voller Sarkasmus und ergänzte: „Du kannst dir sicherlich denken, dass ich aus verständigen Gründen nicht zur Arbeit gehen konnte.“

„Nichts zum Anziehen?“

„Blitzmerker. Außerdem könnte ich eventuell ein klein wenig auffallen, wenn ich auf die Straße gehe.“

„Ja, es tut mir wirklich außerordentlich leid und...“

„Es tut dir leid! Es tut dir leid! Was meinst du, wie leid es dir tun wird, wenn ich dir gleich eine verpasse!“

„Ich kann deinen Ärger verstehen. Das hätte nicht passieren dürfen. Kann ich das irgendwie wieder gut machen?“

„Schau in dem Buch nach. Es muss doch ein Gegenmittel geben.“

„Vielleicht könnten wir ja auch einen Schönheits-Chirurg anrufen. Wenn die Brüste verkleinern können, müsste es doch auch möglich sein...“

„Dir ist vielleicht noch nicht aufgefallen, dass mein Problem ein klein wenig globaler ist. So, guck jetzt endlich in diesem Scheißbuch nach!“

 

Verzweifelt durchblätterte Walter das Hexenzauberbuch. Für alles Mögliche gab es da Gebräue: Liebeszauber, Verwandlungszauber, Verjüngungszauber und vieles mehr. Nur ein Verkleinerungszauber war nicht zu finden. „Das ist wirklich sehr dumm. Allerdings fehlen da auch ein paar Seiten. Es hat mich nicht gestört, als ich es kaufte. Wer konnte auch ahnen, dass das solche Folgen haben würde“, stellte Walter fest. „Ach, und was gedenken der Herr jetzt zu tun? Wenn das so weiter geht, bin ich in einer Woche so groß wie King Kong!“, antwortete Edwin recht säuerlich.

 

„Eine Idee hätte ich noch. Der Verkäufer hat mir die Telefonnummer des Hexennotdienstes mitgegeben, allerdings nur für echte Notfälle.“

„Ist das etwa kein Notfall, du Heimchen?“

„Ich gebe ja zu, dass du mit deiner gegenwärtigen Lage leicht unzufrieden sein magst, aber...“

„Du rufst da jetzt sofort an! Sofort!“

 

Walter gehorchte und wählte die angegebene Nummer: 0166/ 666666. Es tutete, dann hörte er: „Hier ist der Hexennotdienst. Alle Anschlüsse sind zur Zeit belegt. Sie werden mit der nächst frei werdenden Hexe verbunden. Bitte legen Sie nicht auf. Dieser Anruf kostet sie zwei Euro die Minute, bei Anrufen aus dem Mobilfunknetz können höhere Kosten entstehen.“

 

Nach einer gefühlten Viertelstunde kam Walter endlich durch. Eine sympathische, höchst attraktive Stimme einer jungen Frau meldete sich: „Hier ist der Hexennotdienst, mein Name ist Sabira Blocksberg. Was können wir für Sie tun?“

„Ich habe ein Problem, ein echtes Problem.“

„Das dachte ich mir bereits. Sind Sie Junghexer?“

„Ich habe das erste Mal gehext, und da ist leider etwas schief gegangen.“

„Nun, dann schildern Sie das doch einmal.“

 

In kurzen Worten berichtete Walter das Malheur, immer unterbrochen von „Ohs“ und „Ojes“ der jungen Frau. Als er fertig war, sagte Sabira: „Ja, ja, immer dieser Neulinge. Sie hätten schon etwas mehr aufpassen müssen. Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder faxe ich Ihnen das Rezept für das Gegenmittel jetzt zu oder wir senden Ihnen den Trank per Amazon zu.“

 

Walter überlegte kurz. Angesichts seines Misserfolges entschied er sich zur Freude von Edwin für die Lieferung. 87,95 Euro kostete der Spaß. Mit den Telefonkosten war er jetzt mehr als einen Hunderter los.

 

 

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Schon zwei Tage später traf das Paket ein. Edwin hatte mittlerweile eine Größe von über fünf Metern erreicht. Es war Rettung in letzter Minute. Das Gegenmittel wirkte sofort. „So, jetzt trinken wir aber einen auf diesen Schreck. Ich lade dich ein, Edwin.“

„Das ist ja wohl auch das mindeste, was du tun konntest, du Experte.“

 

Walter und Edwin begaben sich in ihre Stammkneipe und stießen an. „Auf dich, Walter. Aber eins musst du mir versprechen: schmeiß dieses blöde Buch weg.“

„Das habe ich schon getan. Davon lasse ich jetzt die Finger.“

 

Edwin nickte zufrieden. Als er jedoch eine halbe Stunde später auf Toilette wollte, stolperte er. „Kein Wunder, dass du dich langlegst. Deine Hose ist dir ja viel zu groß, dein Hemd übrigens auch“, bemerkte Peter, der Wirt.

 

So hatten die beiden ein neues Problem.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.hexen.org
Tag der Veröffentlichung: 30.09.2014

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