Es war kein schöner Tag für Alois gewesen. Zunächst hatte man ihn beim Schwarzfahren erwischt, wieder einmal. Als er daraufhin den langen Weg bis zur Tafel zu Fuß gehen musste, war dort das warme Essen bereits aus und er hatte nur ein paar Kanten Brot abbekommen. Diese musste er trocken herunter würgen, denn zu trinken gab es auch nichts mehr, nicht einmal Wasser. Die Toilette dort war seit Wochen geschlossen, wegen Vandalismus.
Traurig begab sich Alois nach draußen und ging in den nahe gelegenen Park, der früher einmal ein Friedhof war. Dort hielt er sich ungern auf, weil er Friedhöfe hasste. Aber ihm blieb keine andere Wahl, immerhin gab es dort eine Bedürfnisanstalt. Nachdem er sich erleichtert und seinen Durst gestillt hatte, ging Alois wieder in den Stadtpark und setzte sich auf eine Bank. Es begann allmählich kalt zu werden, dazu setzte leichter Regen ein. Das war nicht schön für Alois. Nun lebte er schon drei Jahre auf der Straße. Er hatte zunächst seinen Job, dann seine Frau und dann noch seine Wohnung verloren. Obdachlos zu sein war nicht einfach, vor allem nicht, wenn man sich – wie Alois – weigerte, öffentliche Leistungen zu beantragen. „Ich will niemanden zu Last fallen“, sagte er immer. Außerdem fürchtete er zu Recht, dass im Falle seines Leistungsbezuges seine Frau herangezogenen werden würde. Sie sollte nicht wissen, dass er „draußen“ lebte, niemand sollte das wissen.
Alois zog seinen verschlissenen Mantel noch enger zusammen. Diese verdammte Kälte! Das ging auf die Gesundheit, doch zum Arzt ging Alois nicht, er hatte ja schon seit langer Zeit keine Krankenversicherung mehr.
In diesem Moment betraten Tino, Fabian und Dustin den Park. Die drei jungen Männer hatten reichlich dem Alkohol zugesprochen. „Scheiße! Das war ein Kack-Tag heute! Mein Alter hat mich heute mal wieder vermöbelt und dann hat mich dieses Schlitzauge im China-Grill noch beschissen. Ich hätte jetzt so richtig Bock, jemanden platt zu machen“, sagte Fabian und nahm einen kräftigen Schluck aus der Wodka-Flasche. „Macker, ich sehe da das passende Opfer. Guck mal, der Penner da drüben!“, antwortete Dustin und wies auf Alois. „Ja, den machen wir alle“, ergänzte Tino und grinste.
Die drei näherten sich der Bank, auf der Alois saß. „Du Pissnelke, was machst du in unserem Park? Haben wir dir das erlaubt, du Drecksack?“, fragte Fabian und beugte sich über Alois. Er zog ein Messer hervor und hielt es vor der Nase des Obdachlosen. „Meine Herren, ich sitze doch hier nur ganz friedlich. Ich tue niemanden etwas. Außerdem gehört mir der Park genau sowenig wie Ihnen“, antwortete Alois. Die drei Jungs lachten. „Habt Ihr das gehört? Dieser Penner hat doch gerade ´Meine Herren` gesagt!“, stellte Fabian fest und fuhr fort: „Wenn wir sagen, dass das unser Park ist, denn ist das unser Park. Abschaum wie du hat hier nichts zu suchen. Du verpisst dich jetzt oder wir machen dich alle.“
Alois zitterte, aber nicht aus Angst, sondern weil ihm kalt war. Das deuteten die Jugendlichen jedoch falsch. Fabian nahm erneut die Wodka-Flasche und trank daraus, dann sagte er: „Du hast Schiss vor uns! Das ist aber noch gar nichts gegen das, was dir noch bevorsteht, du asoziales Dreckstück“. Er trat kräftig gegen das Schienbein des alten Mannes. Dieser schrie schmerzerfüllt auf. Weitere Tritte folgten, in die Magengegend, in die Leiste und in das Gesicht.
„Bitte, bitte, lassen Sie mich doch zufrieden!“, rief Alois verzweifelt und begann zu weinen. Das provozierte die jungen Männer noch mehr. Fabian ergriff erneut sein Messer und ritzte ein „F“ in die Wange von Alois: „Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast.“ Unter dem Gejohle der beiden anderen öffnete Fabian seinen Hosenstall und urinierte auf sein Opfer. Weitere Tritte von den dreien schlossen sich an.
Das Gejammere von Alois spornte sie noch mehr an. Seine Schmerzen bereitete ihnen Freude. Fausthiebe und Tritte lösten sich mit Beschimpfungen ab. Es war ein Martyrium für den armen Alois. Vermutlich wäre das noch lange so weitergegangen, wenn nicht Martin Grohmann mit seinem Dobermann die Parkanlage betreten hätte. Er hörte das Geschehen schon von Weitem und eilte herbei, um zu helfen.
„Ihr lasst jetzt sofort diesen Mann in Ruhe oder ich lasse den Hund los“, rief Martin mit Nachdruck. Als ehemaliger Boxer hätte er sich mit Sicherheit gegen einen Gegner durchsetzen können, vielleicht auch gegen zwei, aber bei dreien war das so gut wie unmöglich. Fabian hielt inne und blickte sich empört um. Er sagte: „Eh, du alter Sack. Was mischt du dich hier ein? Glaube bloß nicht, dass wir vor dir oder deinen Köter Angst haben.“ Dustin und Tino ließen sich jedoch beeindrucken und stoppten die Prügelattacke. Das machte Fabian noch wütender. Er nahm seine Wodka-Flasche, die inzwischen leergetrunken war und zerschlug sie auf der Lehne der Bank. Mit dem unteren Teil der zerstörten Flasche ging er auf Martin los, welcher prompt mit einem Faustschlag reagierte. Fabian sank unmittelbar danach zu Boden.
Die herbeigerufene Polizei nahm die drei Jugendlichen sofort fest, Alois kam schwerverletzt ins Krankenhaus.
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Fabian wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt, Dustin und Tino erhielten Bewährungsstrafen. Martin wurde von der lokalen Presse zum „Held der Woche“ ernannt und erhielt ein Jahr später eine Auszeichnung vom Ministerpräsidenten. Alois wurde vier Wochen nach dem Vorfall aus dem Krankenhaus entlassen. Er konnte überredet werden Sozialleistungen zu beantragen und fand einen Schlafplatz im Obdachlosenasyl.
Bildmaterialien: www.welt.de
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2014
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Widmung:
Gewidmet all denen, die sinnlose Gewalt erleiden mussten.