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Das Ende einer Tradition

 

 

Rainer standen die Tränen in den Augen. Das, was er schon seit langer Zeit wusste, war nun eingetreten. Der Abriss des alten, ehrwürdigen Fußball-Stadions „Wilschenbruch“ in der schönen Stadt Lüneburg hatte begonnen. Der Vorstand hatte das beschlossen, weil dringend Geld in die leeren Kassen des LSK gespült werden musste. Dreizehn Jahre waren seit dem Konkurs des Vorgängervereins vergangen. Nachdem man sich kurzzeitig mit dem ungeliebten Vereinsnamen „Hansa Lüneburg“ anfreunden musste, was keinem echten Fan gelingen wollte, hieß der Verein nun zwar wieder „LSK“, also „Klub“ und nicht „Club“, so dass wenigstens eine Tradition wieder hergestellt war, aber der Stadionabriss konnte leider nicht verhindert werden. Wie schade!

 

Dort wo man so viele ehrenhafte Siege gegen andere Traditionsmannschaften wie Concordia Hamburg oder Arminia Hannover errungen hatte, wurde nun alles plattgewalzt, damit dort eine Neubausiedlung entstehen konnte. Ach, ja, Concordia! Auch diesem Verein wurde das ursprüngliche Gelände entzogen und niedergerissen, in Hannover war das zum Glück noch nicht passiert.

 

Die modernen Stadien fand Rainer nicht schön, weil sie sich irgendwie alle ähnelten und seelenlos waren. Und denn diese furchtbaren Namen, die diese mittlerweile hatten! Grässlich, in einem Stadion spielen zu müssen, dass nach einer Fruchtgummifabrik oder einer Versicherung benannt war!

 

Schon vor Monaten waren im „Wilschenbruch“ die alten Nadelbäume gefällt worden, die den Sportplatz umrankten, um die Zufahrtswege für die künftige Baustelle zu verbreitern. Auch waren viele der Stufen auf der Gegengeraden herausgerissen worden und das Schild „Wir danken für Ihren Besuch“ musste ebenfalls fallen.

 

Noch stand sie, die alte Holztribüne und daneben das wunderschöne Vereinsheim, wo man nach Siegen gefeiert, Unentschieden schöner gemacht und sich über bittere Niederlagen hinweggetröstet hatte. Doch da nahte schon der Bagger und riss das Dach der Tribüne herunter. Es gab ein hässliches Geräusch. Knirschend gab einer der Balken nach und knickte um. Binnen dreißig Minuten war alles hinüber.

 

Die Bauarbeiter machten Pause und Rainer gönnte sich ein Bierchen, natürlich ein Lüneburger. Frisch gezapft war es zwar nicht, aber das war jetzt auch egal. Rainer dachte an den „Halbzeitreff“, jener kleinen Bretterbude, wo man sich einst Würstchen und Gerstenkaltschalen schmecken ließ. Auch sie war längst verschwunden, ebenso wie die alte mechanische Anzeigentafel, wo nur „Heim“ und „Gast“ stand, und die nur einstellige Ergebnisse zuließ. Wenn der LSK tatsächlich mal zweistellig gewann, was selten vorkam, musste jemand die „Eins“ in der Hand davor halten. Das war alles kein Problem.

 

Jemand haute kräftig auf Rainers Schulter, es war Edmund, der einst ebenso wie Rainer für den Verein bei den „Ersten Herren“ gespielt hatte. Das war lange her. Die beiden begrüßen sich freundschaftlich: „Mensch, Edmund, das ist schön, dich hier zu sehen, du schaust dir das also auch an. Ist das nicht eine Schande? Unser wunderbares Stadion wird abgerissen.“

 

„Ja, Rainer. Es musste leider sein. Ich hatte gehofft, mehr von uns zu treffen: Kurt, Norbert, Bernd, Arthur und all die anderen. Und erst die vielen Fans. Jetzt stehen wir beide hier nun und sehen uns das an. Ich denke, dass die meisten sich das nicht antun wollten. Es ist einfach nur schrecklich. Gib mir ein Bier. Nüchtern kann ich das nicht ertragen.“

 

Rainer und Edmund stießen an. Im gleichen Moment wurden die Abbrucharbeiten fortgesetzt, jetzt ging es dem Vereinsheim mit der Kneipe an den Kragen. Es zerbarst innerhalb weniger Minuten.

 

„Edmund, hier geht zwar eine Tradition verloren, aber der LSK lebt. Scheiß auf diese Mannschaften, die nur durch Sponsoren hochgepuscht werden, wie Hoffenheim oder Red Bull Leipzig. Wahre Fußballfans mögen so etwas nicht. Wormatia Worms, Tennis Borussia Berlin, Rot Weiß Essen oder Alemannia Aachen – das ist Tradition. Wie unser LSK! Komm, wir gehen zu mir. Ich habe noch ein paar tolle Videos von unserem Team. Danach gucken wir ´Das Wunder von Bern` und hauen uns noch ein Biere rein.“

 

„Ja, Rainer, auf den LSK! Lüneburg for ever! Auf den Aufstieg!“

 

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Wenige Wochen später konnten sich Edmund, Rainer und alle Fans des Lüneburger SK über den Aufstieg in die Regionalliga Nord freuen. Es wäre noch viel schöner gewesen, wenn sie dieses am „Wilschenbruch“ erlebt hätten. Es sollte nicht sein, das alte Stadion war verloren – für immer, so wie der Bökelberg in Mönchengladbach oder das Wankdorfstadion in Bern. Trotzdem: Wahre Fans stehen immer zu ihrem Verein, egal was kommt.

 

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Bildmaterialien: www.abendblatt.de
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2014

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