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Das Erbe von Onkel Theodor

 

 

Die Nachricht erreichte mich im Urlaub auf der wunderschönen Insel Madeira. Hier gefiel es mir, es war ein Paradies. Üppige Natur, der Apfelbaum wuchs neben der Bananenstaude, umgeben von Weißkohl. Und das herrliche Bergwandern – ich konnte mir keinen schöneren Ort der Welt vorstellen. Dennoch war ich nicht völlig von der Zivilisation abgeschnitten, wie ich bei der Rückkehr in meinem Hotel feststellte. Auf meinem Smartphone war eine SMS von meinem Bruder Martin eingegangen. Da wir recht wenig Kontakt hatten, war ich zunächst verwundert, von ihm eine Mitteilung zu erhalten.

 

„Onkel Theodor ist tot. Ruf mich bitte an“ stand da. Typisch für Martin, er war nie ein Mann großer Worte, im Gegensatz zu mir. Onkel Theodor mochte ich wirklich, er war in unserer recht langweiligen Familie das weiße Schaf, immer zu Scherzen aufgelegt. Daher machte mich die Mitteilung sehr traurig. Martin berührte das weniger, wie ich beim Telefonat ohne Überraschung feststellen musste. Unser Onkel hatte einen Herzinfarkt, als er gerade dabei war, eine junge Dame zu beglücken, die er in einer Bar kennengelernt hatte. Ein schöner Tod, wenn man das so sagen darf.

 

Zwei Wochen später. Nach dem imposanten Begräbnis, das Onkel Theodor bis ins letzte Detail inszeniert hatte, stand die Testamentseröffnung an. Da waren sie nun versammelt: Cousin Alfred, Cousine Michaela, Martin und ich. Alle machten betretene Gesichter, doch bei meinen drei Verwandten war das nur gespielt, da war ich mir sicher. Ich dagegen war tatsächlich betroffen, mir ging das äußerst nah.

 

Trotz seines fröhlichen Lebenswandels hatte Onkel Theodor keine Kinder, soweit er wusste, wie er stets scherzhaft erwähnte. So waren wir vier die gleichberechtigten Erben.

 

Der Notar ergriff das Wort: „Meine Dame, meine Herren. Mir obliegt nun die Aufgabe, den letzten Willen von Theodor Schulze zu verkünden. Das Testament wurde von mir persönlich aufgenommen und erst vor acht Wochen letztmalig geändert. Ich lese es Ihnen nun vor: ´Meine Nichte Michaela erbt meine Ferienwohnung in Cannes und die Wohnung hier in München. Die Aktien und das Barvermögen gehen an meinen Neffen Alfred. Mein Porsche und der Mercedes erbt mein Neffe Martin. Und zu guter Letzt vererbe ich die gesamte Einrichtung meiner Münchener Wohnung an meinen Neffen Helmut. Theodor Schulze`. Ihr Onkel hat das eigenhändig unterschrieben.“

 

Meinen „lieben“ Verwandten jubelten innerlich, ich war hingegen mehr als enttäuscht. Da hatte ich mich nun jahrelang um Onkel Theodor gekümmert und dann wurde ich mit ein paar lumpigen Möbeln abgespeist. Was für eine Ungerechtigkeit! Die Sachen gefielen mir nicht einmal – das war überhaupt nicht mein Stil. Wenn ich allein schon an das Bild mit dem röhrenden Hirsch über dem Kaminsims dachte, das war einfach geschmacklos.

 

Ich hatte jedoch keinerlei Lust, das Testament anzufechten. Missmutig machte ich mich an die Wohnungsauflösung. Das Porzellan, die Möbel, die Teppiche und fast alle Gemälde fanden schnell Abnehmer und brachten wir wenigstens etwas Geld ein. Den Fernseher und die Stereoanlage behielt ich. Drei Wochen später war die Wohnung fast leer – bis auf ein paar Kleinigkeiten. Tja, dieses verdammte Bild mit dem Hirsch war auch immer noch da.

 

Am letzten Tag vor der Wohnungsübergabe an den Käufer ging ich noch einmal in die fast leere ehemalige Behausung von Onkel Theodor und nahm das Gemälde ab, ohne ihm eines Blickes zu würdigen. Ich verstaute es schlechtgelaunt im Kofferraum meines alten Golfs, viel lieber hätte ich jetzt den Mercedes gehabt, den jetzt mein Bruder Martin fuhr, der Drecksack.

 

Zwei Wochen später, auf der Weihnachtsfeier unserer Firma plauderte ich mit meiner Kollegin Barbara und erzählte ihr die ganze Geschichte. Ich mochte sie wirklich, die Babsi. Lange blonde Haare, recht schlank und ausdrucksvolle Schmolllippen – und sie hatte zur Zeit keinen Freund! Als ich an der Stelle mit dem hässlichen Bild angekommen war, hob sie ihre rechte Augenbraue. Das machte sie immer, wenn sie auf etwas aufmerksam wurde. „Du, Helmut, kann ich mir das Bild mal ansehen? Du wirst es nicht glauben, aber ich mag so etwas. In der Hinsicht bin ich etwas altmodisch...“

 

Drei Tage vor Heiligabend. Ich speiste mit Barbara in dem kleinen, gemütlichen, italienischen Lokal am Stachus und wir sprachen dem Wein reichlich zu, so dass keiner von uns beiden mehr fahren konnte. „Wir sollten uns EIN Taxi nehmen“, sagte Babsi und kniff ein Auge zu. Das war eindeutig. Meine Kollegin ergänzte: „Denn kann ich mir gleich mal das Bild angucken.“

 

Wir fuhren zu mir nach Hause, in Hadern im Osten unserer schönen Stadt. Im Kern von München konnte ich mir keine Wohnung leisten. „Du hast es hier aber hübsch“, bemerkte Barbara, als wir angekommen waren. Zielsicher steuerte sie auf das Bild zu, das ich achtlos im Wohnzimmer an einer Wand abgelegt hatte. Sie betrachtete es ausgiebig, drehte es um und zog die Augenbraue hoch. „Hast du das gesehen, Helmut? Da klebt ein Zettel auf der Rückseite der Leinwand.“ Ich kam näher, tatsächlich, Babsi hatte Recht. Das war mir noch gar nicht aufgefallen. Ich löste ihn vorsichtig ab und entfaltete ihn. Etwas fiel zu Boden. Es war ein Schlüssel.

 

Der Zettel war ein Brief – von Onkel Theodor. Dort stand: „Lieber Helmut! Ich freue mich, dass du meine Botschaft gefunden hast. Du wirst jetzt sicherlich etwas enttäuscht sein, dass ich dich nur mit ein paar Möbeln abgespeist habe, obwohl du doch mein Lieblingsneffe warst. Sei nicht länger traurig. Der Schlüssel gehört zu einem Bankschließfach am Marienplatz. Dort wartet dein wahres Erbe. Ich hoffe, du verzeihst mir diesen kleinen Spaß. Dein Onkel Theodor.“

 

Am nächsten Tag fuhren wir zu der beschriebenen Bank. Dort wurde ich bereits erwartet. „Guten Tag, Herr Schulze. Wir wissen, was mit Ihrem Onkel passiert ist. Das Amtsgericht hat uns informiert. Mein Beileid“, sagte der Bankangestellte, der sich als Rüdiger Naumann vorstellte. „Ihr Onkel war ein vermögender Mann, einer unserer besten Kunden. Wir hoffen, auch Ihnen und Ihrer Gemahlin in Zukunft zu Diensten seien zu können“, fuhr er fort. Barbara kicherte. Wir gingen in die Kellerräume, dort waren die Schließfächer. Diskret begab sich Naumann in einen Nebenraum. Gespannt nahm ich den Schlüssel und öffnete das Fach 4567. Es war über und über mit Goldbarren gefüllt.

 

Fünfhundert Kilo Gold im Wert von vier Millionen Euro waren es, wie man mir mitteilte. Jetzt war ich ein reicher Mann.

 

So führte mich der Schlüssel zu meinem Glück – und das gleich in zweifacher Hinsicht. Barbara und ich heirateten ein Jahr später.

 

 

 

Impressum

Bildmaterialien: www.zeno.org
Tag der Veröffentlichung: 31.05.2014

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