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Der Verrücke mit der Puppe

 

 

Ihn kannte fast jeder bei Fortuna Düsseldorf. Wenn Heinz auftauchte, fielen alle Blicke auf ihn. Sobald es die Temperaturen auch nur annähernd zuließen, erschien er halb nackt im Stadion, nur mit Flip-Flops und einer Badehose bekleidet. In der rechten Hand hielt er eine blonde Puppe, die er schwenkte. Dazu sein unvergesslicher Schlachtruf: „Fortuna, Fortuna, ey, ey, ey“ in einer Tonlage, die jeden Opernsänger neidisch werden ließ. In der kälteren Jahreszeit trug er zusätzlich nicht etwa einen Mantel, sondern ein Trikot von Bayern München. Das überzeugte dann auch den Letzten davon, dass Heinz völlig verrückt war.

 

Die spärliche Bekleidung trug er nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch in seiner Wohngegend, er ging sogar damit einkaufen. Das brachte ihn zahlreiche Anzeigen und Verhaftungen ein, wobei ihn jedoch die Polizei als „harmloser Irren“ einstufte, der niemanden etwas tat. Doch niemand kannte die wahre Geschichte von Heinz.

 

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Zwölf Jahre zuvor.

 

Heinz Hollmann war mehr als zufrieden. Gerade hatte er einen Anruf von Ludwig Lessner, seinem Bezirksleiter erhalten. Die Kaufhaus-Filiale in Fulda, die Heinz leitete, war die erfolgreichste in Nordhessen und der Umsatz war gegenüber dem Vorjahr um zwanzig Prozent gestiegen. Das war sensationell angesichts der allgemeinen Wirtschaftsflaute. Alle anderen Filialen in dem Bezirk hatten stagnierende oder gar sinkende Umsätze. Lessner ging in drei Monaten in den Ruhestand, das wusste Heinz. In dem Telefonat hatte ihm sein Chef suggeriert, dass Heinz möglicherweise sein Nachfolger werden könnte.

 

Heinz beschloss, das erfreuliche Ereignis gebührend zu feiern. Er fuhr mit seinem Auto nach Geschäftsschluss nicht gleich Hause, wo ihm in Rasdorf seine Frau erwartete, sondern machte auf dem Weg dahin in Hünfeld halt. Dort kehrte er in seiner Stammkneipe „Ritterklause“ ein. Berni, der Wirt, begrüßte ihm mit Handschlag und fragte: „Mensch, Heinze, du strahlst ja über das ganze Gesicht, was ist passiert?“ Der Angesprochene plauderte munter drauf los und rief das, was man in einer Kneipe am liebsten hörte: „Lokalrunde“. Es wurde ein kostspieliger Abend für Heinz, denn etliche Biere und Schnäpse standen drei Stunden später auf seinem Deckel, den er ordnungsgemäß bezahlte. Noch ahnte Heinz nicht, dass das, was folgen sollte, noch viel kostspieliger werden würde.

 

Die kleine Melanie ging derweil mit ihrer Mutter Vera und ihrer Schwester Eva nur wenige Kilometer von Hünfeld entfernt ordnungsgemäß auf der linken Seite der Landstraße entlang. Sie wollten zum Martinssingen in dem kleinen Nachbarort.

 

Heinz hatte Berni zwar versprochen, nicht mehr selbst zu fahren und sogar seinen Autoschlüssel abgegeben, als jedoch das bestellte Taxi nicht kam, kurzerhand beschlossen sein Versprechen zu brechen. Er nahm seinen Zweitschlüssel, den er stets in der Jackentasche hatte, stieg in sein Fahrzeug und fuhr los.

 

In einer scharfen Linkskurve kam er mit seinem Auto von der Fahrbahn ab und erfasste Vera und ihre Töchter. Eva und ihre Mutter überlebten schwer verletzt, die kleine blonde Melanie verstarb jedoch noch an der Unfallstelle.

 

Heinz selbst blieb unverletzt, war jedoch danach ein gebrochener Mann, das Gewissen lastete schwer auf ihn. Da er volltrunken war und einen Alkoholgehalt von 2,8 Promille hatte, hatte der Unfall zwar keine strafrechtlichen Folgen, führte aber zum Verlust seines Führerscheines und auch seines Arbeitsplatzes. Außerdem trennte sich seine Frau von ihm.

 

So zog Heinz von Nordhessen nach Düsseldorf und wurde dort zu dem Verrückten, den alle kannten. Die Puppe symbolisierte Melanie. Damit wollte er das Geschehene verarbeiten und sein Gewissen entlasten, was nur bedingt gelang, weil ja keiner ahnte, was dahinter steckte.

 

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Irgendwann verschwand Heinz. Niemand sah ihn mehr im Stadion. Er verpasste den Niedergang des Vereins in die viertklassige Oberliga und die Rückkehr in die Bundesliga im Jahre 2012. Alle hielten ihn für tot, dennoch war er zur Legende geworden: der verrückte Fortuna-Fan Heinz mit der Badehose und der Puppe.

 

Dann, am letzten Spieltag der 2. Bundesliga am 11. Mai 2014 tauchte Heinz völlig unerwartet wieder in der Esprit-Arena in Düsseldorf auf: in normaler Kleidung, ohne Puppe, aufgeschwemmt und sichtlich gealtert. Zunächst erkannte ihn keiner, doch dann ertönte sein berühmtes „Fortuna, Fortuna, ey, ey, ey!“, und jeder wusste, wer er war. Heinz erzählte uns seine Geschichte und berichtete, dass er etliche Jahre in der Psychiatrie verbracht hatte.

 

„Dennoch werde ich Melanie nie vergessen. Ich bin daran schuld, dass sie starb“, sagte er uns. Heinz wird für immer in unseren Herzen sein, keiner wird ihn mehr für verrückt halten, egal, was geschehen ist.

 

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Nach einer wahren Geschichte, Orts-, Zeit- und Personenangaben wurden verändert.

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Bildmaterialien: www.historytoy.com
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2014

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