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Der Raub der Prinzessin Safranita

 

Es war vor langer, langer Zeit, als die Berge noch wuchsen und die Menschen noch an Magie glaubten. In dem kleinen Königreich Kurkumanien regierte ein König, der gütig war. Seine Untertanen liebten und verehrten ihn. Seine Frau Gemahlin war gestorben, als sie das Töchterlein Safranita gebar. Safranita war ebenso wunderschön wie ihre Mutter. Sie hatte langes, strohblondes, lockiges Haar und ein Antlitz, in das sich ein jeder, der es erblickte, sogleich verliebte.

 

In Kurkumanien gab es zwölf Hexen, sechs gute und sechs böse. Walpurnata war die böseste unter ihnen. Sie neidete Safranita ihre Schönheit und sehnte den Tag herbei, um sich an den König, den sie auf Grund seiner Gütigkeit hasste, zu rächen und Safranita zu rauben. Doch der Königspalast war gut bewacht, selbst für eine Hexe.

 

Als Safranita ihr sechzehntes Lebensjahr vollendete, gab es ein großes Fest am Hofe des Königs. Alle waren ausgelassen und feierten das großartige Ereignis, auch die Wachen gaben sich dem Trunke hin. Niemand dachte etwas Böses, als eine wunderschöne, schwarzhaarige Frau auftauchte, die vorgab, ein Geschenk an die Königstochter zu überreichen. Sie war niemand anderes als die böse Hexe Walpurnata, die sich verkleidet hatte. So gelang es ihr, in die Gemächer der Königstochter vorzudringen. Dort versteckte sie sich hinter einem Vorhang. Gegen Mitternacht, als sich Safranita zu Bette begeben wollte und ihr die Zofe beim Entkleiden geholfen hatte, war die Gunst der Stunde für die Hexe gekommen. Sie schlich sich auf Zehenspitzen zum Himmelbett der jungen Prinzessin, murmelte einen geheimnisvollen Zauberspruch und ließ ihr Hexenpulver auf die schlafende Schönheit herabrieseln. Diese verwandelte sich unverzüglich in eine lilafarbene Blume mit gelben Blütenstempeln.

 

Die Hexe ergriff die Pflanze und machte sich eiligst aus dem Staube, unbeobachtet von den meisten des Hofstaates, da die meisten schon selig schlummerten. Lediglich Peter, ein Küchenjunge, nahm das Davoneilen der schwarzhaarigen Frau wahr. Da er jedoch leicht einfältig war, dachte er sich nichts dabei und sagte niemanden etwas. Am nächsten Morgen herrschte im Palast große Aufregung, als das Verschwinden der Königstochter bemerkt wurde. Der König befahl das Durchsuchen sämtlicher Räume des Schlosses, doch Safranita war nirgends zu finden.

 

Voller Verzweiflung rief der Monarch seine Minister zusammen, um sich zu beratschlagen. Stundenlang besprachen sie sich, bis Balthasar, der Schatzminister einen glorreichen Einfall hatte. Er sagte: „Werter König, in unserem Königreiche gibt es eine Hexe namens Rogenda, die weiße Magie betreibt. Sie ist guten Herzens und führt niemals etwas Böses im Schilde. Zugleich hat sie als Einzige in unserem Reiche die Gabe der Wahrsagerei. Ich bin mir sicher, dass sie Euch sagen kann, was mit der Prinzessin geschehen ist.“

 

Rogenda wurde sogleich zum König befohlen. Man schilderte ihr, was man wusste. „Nun, Rogenda, kannst du uns helfen?“, wollte der König wissen. „Gebt mir etwas, was der Prinzessin gehört, einen Kamm zum Beispiel. Ich muss mit ihr in Verbindung treten“, murmelte sie und verdrehte die Augen. Nachdem man ihr das Gewünschte gebracht hatte, fuhr Rogenda fort: „Ich sehe ein Feld prachtvoller Blumen mit lilafarbenen Blüten und gelben Stempeln und...“

 

„Was redest du da für einen Unsinn! Du sollst meine Tochter suchen und keine Blumenbeete“, unterbrach sie der König, der sehr erzürnt war. „Geduldet Euch, werter König. Ich sehe noch mehr. Da ist eine schwarzhaarige Frau, die sich ins Fäustchen lacht. Sie hat eine Seele, die ebenso schwarz ist, wie ihr Haar. Sie ist es, die Eure Tochter geraubt hat“, fuhr Rogenda fort. In diesem Moment betrat Peter den Königssaal. Neugierig wie er war, hatte er die ganze Zeit an der Tür gelauscht. „Ich habe etwas gesehen!“, rief er aus und drängelte sich nach vorn. Er erzählte, das was er gesehen hatte. Daraufhin nickte Rogenda und sprach: „Ich kenne sie. Es ist die böse Hexe Walpurnata.“

 

Überall in Kurkumanien suchte man nach dem Feld mit den lilafarbenen Blumen, in dem Walpurnata die verwandelte Prinzessin versteckt hielt. Niemand hatte je zuvor solche Pflanzen gesehen und so vergingen viele Tage, Wochen und Monate. Eines schönen Tages ging Peter in den düsteren Wald des Königreiches, um Pilze zu sammeln. Doch war er wenig erfolgreich, da es es seit Tagen nicht geregnet hatte. Hungrig und durstig durchstreifte er den Wald, in der Hoffnung, doch noch fündig zu werden. Da entdeckte er eine Lichtung, die er dort nie zuvor gesehen hatte. Prachtvolle Blumen mit lila Blüten erblickte er dort. Dem Küchenjungen kam sogleich die Erkenntnis, dass in diesem Felde die verwandelte Prinzessin sein musste.

 

In Windeseile eilte er zum Königspalast, um von seiner Entdeckung zu berichten. Doch nun war guter Rat teuer: Welche von diesen Blumen war Safranita? Es verbat sich, das Feld abzuernten, denn damit würde man die Prinzessin töten. Als vorgeschlagen wurde, dass Rogenda den Zauber von Walpurnata rückgängig machen sollte, erklärte die Wahrsagerin: „Eine Hexe kann niemals den Zauber einer anderen Hexe aufheben, auch wenn ich mir das sehnlichst wünschen würde. Aber ich sehe, dass es die Kraft der Liebe vermag, Safranita zu erlösen.“

 

Niemand liebte die Prinzessin mehr wie ihr eigener Vater und so begab sich dieser im Gefolge seiner Minister zu der Lichtung inmitten des riesigen Waldes. Als man die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, erblickte der Schatzminister eine Blume, die besonders schön und prachtvoll war. „Dies muss Eure Tochter sein, werter König“, rief er voller Freude. Und siehe da: Als der König die Blume berührte, verschwand diese augenblicklich und die sichtlich verwirrte Prinzessin erschien an deren Stelle.

 

Es gab ein großes Fest, um das Wiedererscheinen der Prinzessin zu feiern. Der König hielt eine lange Rede und schloss mit den Worten: „Ich werde nun jeden der drei belohnen, die mir mein Töchterlein wiedergebracht haben. Rogenda, Peter und Balthasar: tretet hervor. Jeder von Euch kann sich etwas wünschen. Wir sind zwar ein armes Königreich, aber nichts ist für mich so wertvoll wie meine Tochter. Nun sagt, was Ihr begehrt.“ Als Erstes sprach der Schatzminister und wünschte sich, dass er mit Gold und Silber aufgewogen wurde. Die Bitte wurde ihm gewährt. Danach war Rogenda an der Reihe. Sie sagte: „Nun, eine Hexe kann sich alles herbeizaubern, was sie mag, darum begehre ich keine Güter. Doch ich sehe, werter König, dass Ihr ebenso einsam seid wie ich. Darum möchte ich, dass Ihr mich zu Eurem Weibe nehmt.“ Der König war zunächst bass erstaunt, nickte dann jedoch und sprach: „So sei es. Nun aber, lieber Peter, darfst du dir wünschen, was immer du magst.“ Der kecke, gar nicht so törichte Küchenjunge, erklärte mit fester Stimme: „Ich wünsche mir das Feld mit den lila Blüten.“ Alles lachte darauf hin und der König wurde wütend, weil ihn diese Bescheidenheit erzürnte. Doch auch hier musste er zu seinem Worte stehen.

 

Peter hatte seine Wahl aber mit Bedacht getroffen, denn er wusste etwas, was sonst keiner erahnte. Die Blütenstempel der lila Blumen ergaben nämlich ein kostbares Gewürz, dass wertvoller als Gold war. Zu Ehren der Prinzessin nannte er es Safran. Binnen Kurzem wurde er ein reicher Mann, der es nun würdig war, Safranita zu seiner Frau zu nehmen.

 

So kam es, dass ein Jahr später gleich zwei Hochzeiten gefeiert werden konnten. Unterdessen hatte man Walpurnata ausfindig gemacht und mit Schimpf und Schande aus Kurkumanien verbannt. Das Gewürz Safran wurde in alle Herren Länder verbracht und machte das Land zum reichstem Welt.

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Impressum

Cover: Sandy Fischer: https://www.bookrix.de/-qz83a910cccd055/
Tag der Veröffentlichung: 21.04.2014

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