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Als ich fortging

 

 

Ich war am Boden zerstört. Man hatte mir das Liebste genommen, was ich auf dieser Welt hatte. Yvonne, meine geliebte Frau und meine beiden Kinder Julia und Simon waren auf brutale Art und Weise ermordet worden. Unglücklicherweise war ich nicht zu Hause, als es geschah. Und das alles nur, weil ich fortging. Ich hatte mich mit Yvonne gestritten, wegen einer unbedeutenden Kleinigkeit. Daraufhin hatte ich meine Sachen gepackt und zog zu meinem Freund Edwin. Nur für ein paar Tage, so dachte ich. Es sollte anders kommen.

 

Nachts um zwei Uhr hatten sie an Edwins Tür geklingelt. Sie, die Polizisten. Mein Freund öffnete, ich schlief noch. Nachdem man mich wach bekommen hatte und mir die Geschichte erzählte, war ich konsterniert. Ich begriff kaum das, was geschehen war. Einbrecher waren bei uns eingedrungen, Yvonne hatte sie überrascht. Einer der beiden Täter erschlug sie mit einer Skulptur, ohne Gnade. Daraufhin erwachten Julia und Simon. Sie wurden in ihren Betten erdrosselt, einfach so. Wie können Menschen nur so etwas tun? Leute zu bestehlen ist eine Sache, aber unschuldige Kinder zu töten ist etwas ganz anderes.

 

Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen. Jeder sprach mir sein Mitleid aus und wünschte sich, dass die Schuldigen bald gefasst wurden. Doch es sollten noch Monate vergehen, bis das geschehen sollte. Nach anfänglichem Leugnen gestanden sie nach stundenlangen Verhören.

 

Es waren zwei junge Männer, aus schwierigen Verhältnissen, so hieß es. Nicht einmal zwanzig, das bedeutete, dass der Prozess nach Jugendstrafrecht geführt wurde. Sie würden nach ein paar Jahren wieder frei kommen. Das konnte ich nicht zulassen. Ich konnte nur an eines denken: Rache!

 

„Willst du es wirklich tun, Frank?“, fragte mich Edwin und blickte mir sorgenvoll in die Augen. „Ja, Edwin. Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen, aber ich kann dafür sorgen, dass diese Schweine büßen müssen. Sie sollen nicht auf Kosten des Staates durchgefüttert werden, um dann zehn Jahre später wieder in Freiheit zu leben. Das darf nicht sein. Ich werde sie töten, so wie sie meine Familie getötet haben. Auge um Auge, Zahn um Zahn!“

„Seit wann bist du religiös, Frank? Das bringt doch nichts. Davon werden deine Frau und deine Kinder nicht wieder lebendig.“

„Natürlich nicht, aber sie haben es nicht anders verdient.“

 

Mein Plan war lange durchdacht. Ich hatte mir im Rotlichtviertel für viel Geld eine Knarre besorgt, das war gar nicht schwierig. Natürlich konnte ich nicht einfach so mit einer Pistole ins Amtsgericht hinein spazieren. Es wurden Kontrollen am Eingang durchgeführt, das wusste ich. Also musste die Waffe versteckt werden, so dass man sie nicht entdeckte. Mir kam die Idee mit dem Gipsbein. Die Pistole wurde darin eingebunden, kein Scanner würde sie entdecken, das hatte ich getestet. Tage zuvor hatte ich es mit einer dort verbrachten Schere ausprobiert. Ich kam problemlos durch die Kontrolle.

Der Tag des Prozesses. Nervös war ich nicht, ich hatte sogar gut geschlafen. Wer Wind sät, wird Sturm ernten, so heißt es und so soll es sein.

Im Raum 2263 sollte die Verhandlung sein, sie war öffentlich. Zwei Stunden waren angesetzt, viel zu kurz, so fand ich. Aber die Sachlage war eindeutig, es gab keine anderen Verdächtigen. Außerdem hatten die Bengels alles gestanden, mein Dank galt den Polizisten, die sie überführt hatten.

Der Richter eröffnete den Prozess und vereidigte die vier geladenen Zeugen, die beiden Streifenpolizisten, die die Tat entdeckten und die zwei Kommissare, die das Verhör führten. Danach verließen diese den Saal und der Staatsanwalt las die Anklage vor. Die beiden jungen Männer hörten teilnahmslos zu, von Mitleid war bei ihnen nichts zu spüren. Der eine der beiden war riesig groß und blond, der andere brünett, recht klein und leicht dicklich. Ein ungleiches Paar. Aber das war mir völlig egal.

Von meinem Platz im Zuschauerraum konnte ich alles beobachten, auch diesen schmierigen Verteidiger, der den Burschen zugeteilt worden war. Er behauptete doch glatt, dass die beiden nicht die Täter waren. Die Geständnisse sollten angeblich nur zu Stande gekommen sein, weil die Kerle nach dem langen Verhör zermürbt waren. Den Einbruch hatten sie tatsächlich begangen, nicht aber die Morde. Sie hätten die Leichen bereits in unserem Haus vorgefunden und es dann fluchtartig verlassen und daher ihre Spuren nicht verwischt. Das konnte ich nicht glauben. Diese Schweine waren die Täter, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Wut stieg in mir auf, grenzenlose Wut. Unbemerkt von den Leuten wickelte ich langsam meinen Gips aus. Minuten später hatte ich sie in der Hand, meine Waffe, die die Drecksäcke ins Jenseits befördern sollte. Blitzschnell griff ich zu und zielte. Ich war schon immer ein guter Schütze. Erst traf ich den Dicken, dann den Langen. Sie waren sofort tot. Ich wollte auch noch den verdammten Anwalt erschießen, doch ich wurde überwältigt.

Jetzt sitze ich hier in meiner Untersuchungszelle und bin glücklich. Ich höre meine Lieblings-CD von Karussell. Das Stück heißt „Als ich fortging“ von Dirk Michaelis und Gisela Steineckert. Es passt wunderbar:

 

Als ich fortging, war´n die Arme leer,
kehr wieder um.
Machs ihr leichter, einmal mehr,
nicht so schwer.
Als ich fortging, kam ein Wind so schwach,
warf mich nicht um.
Unter ihrem Tränendach
war ich schwach.

 

 

 

Es klopft. Der Gefängniswärter schließt die schwere, eiserne Tür auf. Man sagt mir, dass ich Besuch habe. Es ist mein Verteidiger. Ich werde in den Besucherraum geführt. „Herr Gebers, ich muss Ihnen etwas mitteilen. Es wird nicht angenehm für Sie sein. Nehmen Sie erst einmal ein Schluck Wasser. Rauchen dürfen Sie hier leider nicht.“ Die Worte dieses Typen ließen mich kalt. Was konnte es schon Schlimmes geben? Ich nickte nur und sagte: „Sprechen Sie.“

„Herr Gebers, Sie haben die Falschen getötet. Die jungen Männer waren nicht die Mörder, sie haben tatsächlich nur den Einbruch begangen. Ihre Frau hatte einen Geliebten. Dieser hat sie und die Kinder getötet. Er hat vor ein paar Stunden alles gestanden. Sie kennen ihn. Es ist Ihr Freund Edwin Neumann. Wir wissen noch nicht, warum er es getan hat.“

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Bildmaterialien: www.exozet.com
Tag der Veröffentlichung: 08.02.2014

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