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Das Projekt Moses

 

Nachdem ich das Projekt „Roswell“ gecrasht hatte und Sarah O'Brian, Vladimir Kaspersky und ich, Sebastian Globecker, das Projekt „Stonehenge“ auf ganz spezielle Weise unbeabsichtigt beendet hatten, konnte sich niemand mehr außer uns dreien an diese monumentalen Steinquader erinnern. Wir hatten ein echtes Zeitparadoxon geschaffen. Doch das beendete nicht unsere Arbeit. Ein anderes wichtigsten Ereignis war uns bei der Erforschung der Vergangenheit durch Zeitmaschinen übertragen worden, nämlich das Projekt „Moses“.

 

Wir sollten herausfinden, ob vor ein paar tausend Jahren dieser Typ tatsächlich die Steintafeln von Gott (oder wie immer man ihn nennen mag) empfangen hatte. Immerhin glaubten alle drei monotheistische Religionen daran, und das machte immer noch ein Großteil der Weltbevölkerung aus, selbst im 22. Jahrhundert. Damit waren Sarah als Katholikin und Vladimir als Jude sozusagen die Idealbesetzung für diese Aufgabe, doch auch ich, der Agnostiker, fand das sehr spannend.

 

Es hatte sich nicht allzu viel verändert in dieser Parallelwelt, die wir geschaffen hatten, bis auf diese aus Styanit gebaute Angela Merkel – Statue die nunmehr seit Jahrtausenden im Süden Englands steht. Deren Erforschung interessierte niemanden, die Zeitmaschine und das dazu gehörige Flugobjekt waren nunmehr auf jene Region ausgerichtet, in der Moses seinerzeit lebte.

 

Sarah als Expertin auf dem Bereich der Geschichte hatte die schwierige Aufgabe das Geschehen zeitlich zu konkretisieren, denn der Ort war ja klar: der Berg Sinai. Da waren sich alle drei Religionen einig. Das galt weniger für die Aufzählung der zehn Gebote, denn die Juden dürfen sich ja kein Bildnis von Gott machen, was den Christen nicht verboten ist. Die Moslems hatten noch einiges dazu gefügt, doch nur die Strenggläubigen hielten sich daran.

 

„Ich glaube, ich habe jetzt etwas gefunden“, rief Sarah begeistert aus und wies auf den 4D-Projektor. „Ja, dieser hagere Kerl mit dem langen, weißen Bart könnte Moses sein“, pflichtete Vladimir bei. „Dann hat es ihn also wirklich gegeben, die Bibel hat Recht“, sagte Sarah und strahlte über das ganze Gesicht. „Moment mal, ursprünglich steht das in unserem Tanach, Ihr habt das nur kopiert“, verbesserte Vladimir. „Ich weiß nicht, ich bin immer noch skeptisch. Das kann auch nur ein einfacher Hirte sein“, warf ich ein. „Dass du als Agnostiker schwer zu überzeugen bist, war ja klar, Sebastian“, entgegnete Sarah. Offenbar hatte ich meine junge irische Kollegin verärgert. Ich antwortete: „Das ist auch meine Meinung als Physiker. Ich glaube nur an Fakten.“

„Streitet Euch nicht, schaut lieber her“, sagte Vladimir und wies auf die Projektion.

 

Wie aus dem Nichts tauchten vor dem alten Mann zwei Steintafeln auf, von einem brennenden Dornbusch war jedoch nichts zu sehen, auch hörten wir nichts. „Das ist nun mal keine Hollywood-Produktion, das ist echt“, erklärte die Irin. „Holly – was?“, wollte ich wissen. „Hollywood, das waren Studios in Amerika, als noch echte Filme mit Schauspielern gedreht wurden“. Der Russe lachte und sagte: „Davon habe ich auch schon gehört, mein Vater hat mir davon erzählt. Heutzutage sitzen ein paar Leute am Computer, drücken aufs Knöpfchen und zack ist der Film fertig.“ Sarah nickte und ergänzte: „Das ist genauso unromantisch, wie unser Nahrungsgenerator. Darum esse ich die Algen pur und nicht umgewandelt, wie Ihr.“

 

„Sebastian, ich glaube, wir können dich doch davon überzeugen, dass es Gott gibt und dass er Moses die zehn Gebote gegeben hat“, sprach Vladimir. In seiner Stimme lag ein gewisser Pathos, genau wie neulich, als er vorschlug, Stonehenge zu teleportieren. „Und wie? Wollt Ihr etwa diese Tafeln hier herholen? Ihr wisst, was wir letztes Mal angerichtet haben“, gab ich zu Bedenken. „Nur gut, dass das Paradoxon nur von uns als solches erkannt wird. Kein anderer Mensch kennt mehr das echte Stonehenge.“

„Der Unterschied ist, dass wir da eingreifen mussten, weil Nichts da war im Süden Englands. Hier ist eindeutig etwas vorhanden, Sebastian“, sagte Sarah und deutete auf die Tafeln. „Kochrezepte werden da wohl kaum drauf stehen.“

„Und was würde das nützen? Kannst du etwa die alte Schrift lesen?“

„Selbstverständlich kann ich das, ich habe sogar meine Dissertation über alte Schriften und Sprachen geschrieben und mit Summa cum laude bestanden.“

 

An dieser Stelle verschwieg ich, dass meine Arbeit über die erweiterte String-Theorie nur mit „satis bene“, also ausreichend, benotet wurde. Immerhin hatte ich diese Stelle ja trotzdem bekommen. Vladimir unterbrach meinen Gedankengang und erklärte: „Ich bin auch dafür, dass wir uns die Tafeln holen und untersuchen. Wir können uns ja Zeit lassen und sie danach wieder in die selbe Sekunde zurückschicken, wo wir sie hergeholt haben. Es wäre jedenfalls der endgültige Beweis für die Existenz Gottes.“

„Tja, Jahrtausende lang haben sich die Menschen dafür bekriegt und gegenseitig umgebracht, jetzt wo der globale Weltfriede herrscht ist das zum Glück ja vorbei“, ergänzte Sarah.

 

So wurde ich überstimmt und wir schritten zur Tat. Vladimir drückte ein paar Knöpfe am Teleporter und wenige Sekunden später materialisierten sich vor unseren Füßen die Steintafeln. Sie waren überraschend klein, kaum mehr als einen Meter hoch. Dennoch machte sich Sarah unverzüglich an die Arbeit, den Text zu übersetzen.

 

Ich hatte meine Kollegin noch nie so glücklich gesehen, selbst nicht, als vor drei Jahren Irland Fußball-Weltmeister wurde. Mit Feuereifer ging sie ans Werk und arbeitete ohne Unterlass. „Es ist Wahnsinn, es ist Wahnsinn“, rief sie immer wieder begeistert. Wort für Wort entschlüsselte sie den Text, der für mich nur unverständliches Gekritzel war. Vier Tage später war sie fertig und erklärte: „Es stimmt fast hundertprozentig mit den uns vorliegenden Übersetzungen aus dem Dekalog in Eurem Tanach vor, lieber Vladimir. Ich bin begeistert.“ Ich gab zu Bedenken: „Das beweist immer noch nicht die Existenz Gottes, nur das Vorhandensein der Zehn Gebote.“ Sie reagierte unverzüglich: „Du alter Griesgram, nun gib endlich zu, dass du dich geirrt hast. Jedenfalls ist das ein Anlass zum feiern. Es wird jetzt Zeit für die Überraschung, die ich versprochen habe. Schaut, was ich mitgebracht habe.“ Sie holte eine grüne Flasche hervor und sagte: „Das ist echter Champagner, nicht dieses synthetische Zeug aus dem Nahrungsgenerator. Das kostet ein kleines Vermögen, aber heute ist mir das egal.“

 

Wir genossen das edle Gesöff. Ich hatte noch nie in meinem Leben echten Alkohol zu mir genommen, entsprechend schnell war ich betrunken. Meinen beiden Kollegen ging es ähnlich. „So, jetzt müssen wir aber die Originaltafeln zurückteleportieren. Mach du das mal bitte, Sebastian. Ich muss mal für kleine Irinnen“, lallte Sarah. Sie begab sich in die Porzellanabteilung und ich kam ihrer Bitte nach. Auf dem Weg zum Teleporter stolperte ich über die herumliegende Flasche. Eine der beiden Tafeln fiel zu Boden, ein kleines Stück brach ab. „Ach, das wird schon nicht so schlimm sein“, sagte ich und bediente das Gerät, die Tafeln lösten sich in Luft auf und waren augenblicklich wieder vor Moses Füßen. Für ihn war kein Wimpernschlag vergangen, für uns waren es Tage.

 

„Alles klar, liebe Sarah, die Tafeln sind wieder da, wo sie hingehören“, verkündete ich stolz und wies auf die Projektion, nachdem meine liebe Kollegin zurückgekehrt war. „Moment mal, was ist das da auf dem Fußboden?“, rief sie entsetzt. „Da ist mir vorhin ein kleines Stückchen abgebrochen. Das macht doch nichts, oder?“, antwortete ich. „Und ob das was macht. Wisst Ihr, was da drauf steht? Da steht ´Du sollst nicht ehebrechen`. Das sechste Gebot bei den Christen und das siebte bei den Juden. Was hast du nur getan!“

So geschah es, dass das Vermächtnis Gottes leicht verkürzt in die Weltgeschichte einging und Ehebruch für alle Zeiten legalisiert war, egal welchem Gott man huldigte. 

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Bildmaterialien: www.wikipedia.de
Tag der Veröffentlichung: 01.01.2014

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