Es war November 1979. Ich war jetzt volljährig und hatte Urlaub. Eine Woche Hamburg gönnte ich mir. Dort gab es viel zu sehen und zu erleben, das wusste ich schon vorher. In dem Umschlag, den ich von der Touristeninformation erhalten hatte, fand ich viele Gutscheine für Restaurants, Kneipen – und auch für die Spielbank! Roulette spielen, das reizte mich.
Also begab ich mich dorthin, mit fünfzig Mark in der Tasche. Mehr wollte ich keinesfalls ausgeben. Neugierig betrat ich den Saal, es sah so aus wie erwartet und so, wie ich es oft in Filmen gesehen hatte. Am Roulettetisch nahm ich meinen Jeton und setzte fünf Mark auf die „achtundzwanzig“, meinem Geburtstag im Oktober entsprechend. Der Croupier rief „Nichts geht mehr“ und warf die Kugel in den Kessel. Das Rad drehte sich. Und das Unglaubliche geschah: Tatsächlich kam meine Zahl. Ich hatte gewonnen! Den 35-fachen Einsatz, also 175 Mark! WOW!
Die nächsten vier Spiele waren zwar alle erfolglos, doch denn kam das sechste Spiel. Diesmal setzte ich auf die Zehn und es wiederholte sich: Erneut gewann ich, sogar 350 Mark, weil ich einen Zehner-Jeton riskiert hatte. Raunen bei den anderen Spielern, das machte mich stolz. So stolz, dass ich dem Personal fünfzig Mark Trinkgeld gab.
Mehr wollte ich aber nicht spielen. Ich war überglücklich und verließ das Casino mit einer vollen Brieftasche. Jetzt nach St. Pauli, dachte ich mir. Jetzt wollte ich richtig einen drauf machen. Genug Geld hatte ich ja nun.
Auf der Reeperbahn kam ich an einer Spielhalle vorbei. Sollte ich erneut mein Glück herausfordern? Glücksspielautomaten hatten mich schon von Kindesbeinen an fasziniert. Natürlich waren diese nicht so kompliziert wie heutzutage, aber geblinkt hatte es schon damals, in den Sechzigern. Mein Vater trank sein Bier am sonntäglichen Frühschoppen oft im „Hexenhäuschen“ in Bischofshol und gab mir dann stets ein paar Groschen. Ich durfte am Automaten spielen. Selbstverständlich war das für Kinder verboten, aber niemand sagte etwas dazu. Der Vorteil meines Vaters war es, dass ich so nicht zählen konnte, wie viel Bier er trank, weil ich abgelenkt war.
Getrieben von diesen Gedanken an die Kindheit und in Erinnerung an das Glück, das ich kurz vorher hatte, betrat ich die Halle. Sie war riesig. Die Flipper standen Reihe an Reihe, doch das reizte mich nicht. Zielstrebig ging ich zu den „Groschengräbern“ und warf ein paar Mark in eines der Geräte, es war viel moderner, schöner und bunter als die alten Kästen von früher. Und es gab auch schon damals die Möglichkeit mit Serien relativ viel Geld zu gewinnen, vor allem, wenn man schnell reagieren konnte und im richtigen Moment drückte.
An diesem Tag hatte ich einen richtigen Lauf, das Glück war mir weiterhin hold. Nach drei Stunden hatte ich fast fünfzig Mark dazu gewonnen. Ich war wie im Rausch, das war großartiger, als Alkohol zu trinken.
Wie man sich denken kann, blieb es natürlich nicht so, dass ich ständig gewann, aber die Sucht war geweckt. Fortan ging ich in jeder freien Minute in eine Spielhalle und verjubelte mein Geld. Längst hatte ich viel mehr verloren, als ich in Hamburg gewonnen hatte. Das war mir egal. Ich war süchtig! Nur noch ein Spiel, dachte ich oft, aber dabei blieb es nicht.
Alsbald reichte mein Lehrlingsgehalt nicht mehr – ich musste an meine Ersparnisse heran. Heimlich, denn meine Eltern sollten das nicht mitkriegen. Das hätte mächtigen Ärger gegeben, trotz meiner Volljährigkeit. Lange Zeit konnte ich das vertuschen, aber eines Tages entdeckte meine Mutter das geplünderte Sparbuch. Sie war wütend – mit Recht.
So blieb es jahrelang. Schlimm waren die Tage, an denen ich nicht spielen konnte, zum Beispiel, weil gesetzliche Feiertage es verhinderten.
Mit Mitte dreißig kam dann der Bruch – ich sah einen Film, in dem ein Spieler sein ganzes Geld verlor und sich ruinierte. Das läuterte mich. Meine Sucht, die gut siebzehn Jahre anhielt, war unterbunden. Fortan steckte ich nie wieder eine Mark in diese verfluchten Automaten. Heutzutage beobachte ich oft in Kneipen, wie andere zocken. Die neuen Geräte sind rein elektronisch, nichts Mechanisches gibt es mehr. Man kann zwischen Dutzende verschiedenen Spielen wählen, sogar Bingo und Roulette gibt es dort. Nur noch wenige Sekunden dauert ein Spiel. Die Einsätze und auch die Gewinnmöglichkeiten sind viel höher als früher, somit aber auch die Verluste.
Ab 2014 traten gesetzliche Beschränkungen in Kraft, es sollten zukünftig in einer Gaststätte nur noch ein Glücksspielautomat aufgestellt sein und die Spielhallen sollten erheblich reduziert werden, es sollte eine Mindestabstandsregel geben. Doch umgesetzt wurde das aufgrund zahlreicher Widersprüche nicht oder kaum. Das ist bedauerlich.
Bildmaterialien: www.fnp.de
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2013
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