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Aufgeklärt

 

Hauptkommissar Sanders lehnte sich auf seinem Bürostuhl zurück. Schon nächste Woche Mittwoch war sein letzter Arbeitstag, dann begann der wohlverdiente Ruhestand. Doch diesen einen Fall wollte er unbedingt noch lösen. Der Mord an Susanne Fröhlich, der jungen Studentin, war ihm wirklich nahe gegangen. Der Täter hatte sie schrecklich zugerichtet. Ihre Kehle war durchgeschnitten und ihr Körper wies Dutzende von Messerstichen auf. Sanders konnte es nicht fassen, dass Menschen zu so etwas fähig waren.

 

Es gab zunächst drei Tatverdächtige: Peter Kuhlmann, der Exfreund des Mädchens, Stefan Falkner, ihr Nachbar und schließlich jener bislang unbekannte Stalker, der Susanne Fröhlich seit Langem verfolgte. Doch schon bald schieden sowohl Kuhlmann als auch Falkner als mögliche Täter aus, sie hatten wasserfeste Alibis. Nunmehr waren schon fast vier Monate seit der Tat vergangen. Es gab kaum verwertbare Spuren am Tatort und auch leider keine Briefe, nicht einmal E-Mails oder irgendwelche SMS von dem Mörder. Fast war es so, als ob der Stalker gar nicht existierte. Aber sowohl Kuhlmann als auch Falkner hatten unabhängig voneinander von ihm berichtet.

 

Sanders nahm sich vor, die Aussagen der beiden noch einmal gründlich durchzulesen. Vielleicht hatte er etwas übersehen. Seine Recherche wurde durch ein Telefonklingeln unterbrochen. „Kripo Nürnberg, Hauptkommissar Sanders, was kann ich für Sie tun?“, meldete er sich so, wie er es immer tat. Manchmal, wenn er in Gedanken war, tat er dieses auch zu Hause, wenn er gar nicht im Dienst war. Seine Frau kannte das schon. Am anderen Ende der Leitung tat sich zunächst nichts, so dass Sanders ein „Hallo?“, nachschob und schon im Begriff war, aufzulegen. Doch dann hörte er etwas. Die Stimme klang so, als ob sie verstellt war: „Suchen Sie immer noch den Mörder an Susanne Fröhlich?“

„So ist es. Darf ich fragen, mit wem ich spreche?“

„Mein Name tut nichts zur Sache. Aber ich kann Ihnen helfen. Das ist jedoch nicht umsonst. Ich hörte, es gibt eine Belohnung für denjenigen, der sachdienliche Hinweise gibt?“

„Ja, aber, wenn Sie anonym bleiben wollen, wird das nichts. Denn gibt es kein Geld. So sind die Vorschriften.“ Der Anrufer legte ohne ein weiteres Wort auf.

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Zwei Tage später, es war Freitag. Der Kommissar freute sich schon aufs Wochenende. Das Telefonat von vorgestern hatte er als Scherz eines Verrückten abgetan. Leider kam so etwas öfters vor. Doch dann fand er einen an ihm persönlich adressierten Umschlag ohne Absender in der Dienstpost vor. Er enthielt ein Foto des Opfers. Es war keines von denen, die man an die Presse weitergegeben hatte. Außerdem lag ein Brief bei, der mit Schreibmaschine geschrieben war: "Kommen Sie heute Abend um 18 Uhr zum Planetarium. Aber erscheinen Sie alleine.“ Das war schon alles sehr eigenartig. Warum tat der Informant so geheimnisvoll?

 

Trotz großer Bedenken ging Sanders wie angeordnet zum Treffpunkt am Plärrer. Er war pünktlich da. Doch niemand kam. Stattdessen fand er an der Fassade einen kleinen Zettel, der ebenso Maschine geschrieben war, wie der erste in dem Brief. „Gehen Sie in den Saal“ stand darauf. Eigentlich hatte der Kommissar wenig Spaß an Schnitzeljagden, aber er wollte den Fall unbedingt aufklären, bevor er in Rente ging. Darum gehorchte er, kaufte die Eintrittskarte und wartete auf den Beginn der Vorstellung. Viel los war nicht, nur eine Handvoll Leute stand vor der Eingangstür. Als sich diese sich öffnete, setzte sich Sanders in die letzte Reihe und harrte der Dinge. Zehn Minuten später. Der Sprecher hatte im Film gerade den Urknall erklärt. Plötzlich tippte jemand Sanders auf die Schulter. Es war jedoch nicht der Briefeschreiber, sondern sein Kollege Winterberg, der seit einigen Jahren bei der Sitte arbeitete. Die beiden waren nicht gerade gute Freunde seit Sanders ihm damals den Posten, als Hauptkommissar weggeschnappt hatte. Frustriert verließ Winterberg daraufhin die Mordkommission.

 

Trotz alledem wurde er freundlich von seinem Kollegen begrüßt: „Mensch, Kurt, das ist aber eine Überraschung, dich hier zu treffen. Wie geht es dir?“

„Mir geht es ausgezeichnet, Gerhard. Und dir sicherlich auch. Na ja, bald hast du es ja überstanden. Freust du dich schon auf den Ruhestand?“

„Na, klar. Aber eine Sache will ich noch klären.“ Fast hätte er ergänzt: „Darum bin ich hier“, doch das verkniff er sich. Zu seiner großen Überraschung antwortete der Kollege: „Ich weiß. Du wirst den Fall sicherlich bald aufklären, sehr bald schon.“ Wenige Sekunden später holte Winterberg ein Messer hervor und schnitt Sanders die Kehle durch. Dieser konnte noch nicht einmal mehr schreien. Die letzten Worte, die er in seinem Leben hörte, waren: „Wie schrecklich ist doch die Weisheit, wenn sie dem Weisen keinen Nutzen bringt“.

Ja, der Fall war aufgeklärt, doch genützt hat es Sanders nichts mehr.

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Bildmaterialien: www.boerse-aktuell.de
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2013

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