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Du sollst nicht stehlen

Bruno streichelte seinem Kater Mäxchen über den Kopf und sprach zu ihm: „Ach, alter Bursche. Ich habe dir versprochen, dass du heute am Heiligabend etwas ganz Besonderes zu fressen bekommst. Aber das wird wohl leider nichts.“ Ein klagendes Maunzen folgte als Antwort, als ob Mäxchen die Worte seines Herrchens verstanden hatte. Bruno öffnete die Katzenfutterdose und füllte die Hälfte davon in den Napf des Katers, dieser stürzte sich wie immer gierig darauf.

 

Seufzend und tieftraurig beobachte ihn Bruno. Das war die letzte Dose, heute Abend würde er ihm den Rest davon geben. Und was war morgen, am ersten Weihnachtstag? Das wusste Bruno noch nicht. Er hatte nur noch ein paar Cent im Portemonnaie und selbst fast nichts mehr zu essen. Der Kühlschrank war nahezu leer, bis auf eine Margarinepackung, die nur noch einen schäbigen Rest enthielt. Die letzte Marmelade hatte Bruno gestern gegessen, Wurst und Käse schon seit einer Woche nicht mehr. Er nahm die vorletzte Toastscheibe und bestrich sie hauchdünn mit dem Fett. Dazu gab es Wasser – aus der Leitung. Ein kärgliches Mahl – und das an Weihnachten. Wehmütig erinnerte sich Bruno an alte Zeiten. Noch vor zwei Jahren hatte er ganz anders gelebt. Doch dann verlor er seine Arbeit als Wachmann, weil er während des Dienstes eingeschlafen war. Die erste Zeit danach kam er mit dem Arbeitslosengeld noch ganz gut über die Runden, doch als dieses dann auslief und er Leistungen vom Jobcenter bekam, wurde es fast unerträglich. Bruno gönnte sich nichts mehr, kein Kino, keine Theaterbesuche, kein Essen bei seinem Lieblingsitaliener. Nicht einmal die Stammkneipe suchte er mehr auf. Wenn Bruno zum Discounter ging, machte er stets einen Bogen um das Lokal, damit ihn die anderen Gäste nicht sahen.

 

Neben den finanziellen Problemen gab es auch Trauer und Ärger im privaten Bereich. Susanne, seine langjährige Freundin, trennte sich von ihm, weil er ihr nichts mehr bieten konnte. Sie war jetzt mit diesem Christian zusammen. Kurz nachdem sich Susanne aus dem Staub gemacht hatte, starb Brunos Mutter an Krebs, es ging sehr schnell, wenige Wochen, nachdem der bösartige Tumor entdeckt wurde. All dieses war nicht gerade förderlich für die Motivation zur Jobsuche, zumal Bruno schon Mitte vierzig war und sein letztes Arbeitszeugnis wenig Positives enthielt. Die Unlust, sich zu bewerben, führte wiederum zu erheblichen Sanktionen des Jobcenters und Kürzung seiner Bezüge.

 

So ging es ihm immer schlechter. An Tagen wie diesen, an denen alle anderen besonders fröhlich und ausgelassen waren, stiegen seine Depressionen ins Unendliche. Kein Geld zu haben und dann noch einsam zu sein, das war doppelt schlimm. Schon oft hatte Bruno an Selbstmord gedacht, doch was würde dann aus Mäxchen werden? Daran wollte er nicht denken.

 

Gegen Mittag beschloss er, aus dem Haus zu gehen, um Pfandflaschen zu sammeln. Das würde ihm ein paar Cent einbringen. Mit dem Erlös könnte er noch etwas Katzenfutter und Brot kaufen. Doch leider hatte es viel geschneit, so dass die Ausbeute schäbig war. Lediglich drei Glasflaschen fand er, das reichte nicht einmal für das Futter.

 

Bruno kehrte in seine Wohnung zurück, nahm sich ein gutes Buch und setzte sich in den alten Sessel. Mäxchen sprang auf seinen Schoß und schnurrte. Das weckte Glücksgefühle bei seinem Herrchen. Dennoch hatte er sich den Heiligabend ganz anders vorgestellt. Von der Ferne hörte er den Glockenschlag des Turmes der Neustädter Kirche. Wie lange habe ich keinen Gottesdienst mehr besucht?, dachte Bruno. Er nahm den Gemeindebrief, der schon im Altpapier gelegen hatte und blätterte darin. Um Mitternacht wäre die Gelegenheit dazu. Spontan entschied er sich dazu, nachher in die Kirche zu gehen, vielleicht würde es ihm danach besser gehen.

 

Wie es zu erwarten war, war das Gotteshaus sehr gut gefüllt, mit Glück fand Bruno einen Platz in der letzten Reihe. Der Organist spielte das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Ein wunderbarer Klang, dachte Bruno. Er erinnerte sich daran, dass hier oft Konzerte stattfanden, auch weltlicher Art. Jetzt wusste er, warum das so war.

 

Als der Pastor mit der Predigt begann, die natürlich die Weihnachtsgeschichte als Thema hatte, dachte Bruno an sein eigenes Schicksal und daran, wie arme Leute abgewiesen wurden. Wenn es (hoffentlich) ihm irgendwann in ferner Zukunft wieder besser gehen würde, würde er sich niemals so verhalten, wie diese arroganten Menschen, die andere ausgrenzten.

 

„Das Geld aus unserer Kollekte kommt einem Projekt in Afrika zu Gute“, kündigte der Pastor an und fuhr fort: „Dort sollen Brunnen gebohrt und Bewässerungsanlagen gebaut werden, damit die Leute sich selber ernähren können. Das ist weit besser, als wenn man Lebensmittel dort hinschickt.“ Beifälliges Gemurmel der Gemeinde. Der Klingelbeutel füllte sich reichlich. Als dieser Bruno erreichte, nahm er ein Fünf-Cent-Stück aus seiner Börse und warf dieses mit hochrotem Kopf hinein. Mehr konnte er nicht geben. Aber das sollte keiner sehen. Unabsichtlich fiel ein Zwanzig-Euro-Schein heraus und Bruno vor die Füße. Blitzschnell griff dieser zu und steckte ihn ein. Hoffentlich hat das keiner bemerkt, dachte er. Von dem Geld konnte er eine Woche leben und für die Afrikaner blieb noch genug übrig. Trotzdem plagte ihm sein schweres Gewissen. „Du sollst nicht stehlen“ so heißt das siebte Gebot, noch dazu in der Kirche – das war eine schwere Sünde. Aber was sich ein Bischof in Limburg erlaubte, dürfte ein Arbeitsloser in Hannover doch wohl auch.

 

Bruno stapfte durch den tiefen Schnee nach Hause, dieser knirschte unter seinen Füßen, das hörte sich wunderschön an. In seiner Wohnung nahm er die Dreier-Weihnachts-CD-Box, die ihm Susanne vorletztes Jahr geschenkt hatte und öffnete die Verpackung, die noch zugeschweißt war. Achtlos hatte sie zwei Jahre lang herum gelegen, weil Bruno eigentlich keine Weihnachtsmusik mochte. Doch dieses Oratorium vorhin in der Kirche war so wunderschön und zufällig war dieses Stück auch darauf. „Jesu, bleibet meine Freude“ hieß es auf Deutsch und „Jesu, Joy of Man's desiring“ auf Englisch. Am Ende des Gottesdienstes hatte man „Little Drummer Boy“ gespielt, auch dieses Lied hörte er nun noch einmal. Ihm kamen die Tränen.

 

Trotz der Glücksgefühle, die Bruno nun innehat, konnte er nicht schlafen. Immer wieder musste er den Zwanziger denken. Sicherlich konnte er das Geld gut gebrauchen, aber er hatte zuvor in seinem Leben noch nie jemanden bestohlen oder betrogen.

 

Am nächsten Morgen ging er daher nicht zu Mehmeds Kiosk, um einzukaufen, sondern kehrte zur Kirche zurück. Er hatte den Geldschein in einen kleinen Umschlag gepackt und einen Zettel mit dem Wort „Entschuldigung“ beigelegt. Als er den Brief in den Kasten, der eigentlich die Prospekte der Kirche enthielt, einwarf, hörte Bruno von hinten eine Stimme: „Kann ich Ihnen helfen?“. Es war der Pastor. „Nein, nein“, stotterte Bruno, doch dann sprudelte aus ihm heraus. Er erzählte von dem gestrigen Vorfall und danach seine ganze Geschichte. Der Geistliche nickte ein paar Mal und sagte dann: „Ich kann Ihnen doch helfen. Zum Einen dürfen Sie das Geld behalten, und zum Anderen hätte ich da einen Vorschlag.“ Es stellte sich heraus, dass nicht nur Geld für Afrika gesammelt wurde, es wurde auch noch jemand gesucht, der vor Ort mitarbeiten sollte. Bruno bekam das Angebot, das er dankend annahm.

 

So geschah es, dass Bruno nach Ghana zog, mitsamt Kater Mäxchen. Das Projekt wurde ein großer Erfolg und viele Menschen wurden glücklich.

 

Sehnsucht nach Bolgatanga

 

 

Grace seufzte. Das junge Mädchen hatte mal wieder einen schrecklichen Tag gehabt. Dennoch hatte sie ihren Soll erfüllt, was ihr nicht immer gelang. Jetzt lebte sie schon fast ein Jahr in Deutschland, diesem kalten, nassen Land. Sie sehnte sich nach ihrer Heimat. Dort hatte sie als Älteste von acht Geschwistern in Bolgatanga im Norden von Ghana gelebt, nahe an der Grenze zu Burkina Faso.

 

Seit die Eltern vier Jahre zuvor gestorben waren, hatte sich Onkel Opoku um die Familie gekümmert. Allerdings war das Geld knapp, er und seine Frau Ernestina hatten selber sechs Kinder. Grace hatte keinen Verdacht geschöpft, als sie mit ihrem Onkel diesen kleinen Laden betrat. Dass dieser in Wirklichkeit einem Voodoo-Priester gehörte, ahnte die junge Frau nicht. Der Trank, den er ihr gab, hatte sehr bitter geschmeckt. Die Schwüre, die der Mann danach aussprach, vernahm sie schon nicht mehr. Ihr wurde schwarz vor Augen.

 

Sie erwachte erst wieder, als sie im Flugzeug saß, in Begleitung eines ihr unbekannten, älteren Mannes. Dieser blickte finster. Grace wollte schreien und auf sich aufmerksam machen, doch das gelang ihr nicht, ebenso wenig wie den anderen jungen Mädchen. Man hatte sie mit dem Zauber gefügig gemacht, um sie nach Deutschland und Frankreich zu verschleppen. Dort wurde die Gruppe getrennt und in verschiedene Bordelle gebracht, die auf dunkelhäutige, sehr junge Mädchen spezialisiert waren. Grace landete in einer riesigen Stadt, die Köln genannt wurde.

 

Man hatte ihr einen gefälschten Pass verschafft und sie somit zwei Jahre älter gemacht. Ebenso falsch war die Aufenthaltserlaubnis. Frank, ihr Zuhälter, hatte gute Beziehungen zur Ausländerbehörde. Bestechung war dort an der Tagesordnung. Offiziell arbeitete Grace als Reinigungskraft. Diese Tätigkeit hätte sie gerne in Wirklichkeit ausgeübt. Das war immer noch besser, als das, was sie täglich tun musste. Viele Kunden gingen äußerst brutal vor, mit Billigung von Frank. Ihr ganzer Hass richtete sich gegen ihn und auch gegen Onkel Opoku. Doch der Zauber des Voodoo-Priesters war so stark, dass sie sich nicht auflehnen konnte, obwohl sie es wollte.

 

Aber in ihren Träumen kehrte sie in ihre Heimat zurück. Sie war denn wieder das kleine Mädchen, das von der Mutter das Haar geflochten bekam. Grace war da glücklich. Doch nach dem Erwachen kehrte die brutale Realität zurück. Mit den anderen Mädchen hatte Grace wenig Kontakt, das wurde auch nicht gerne gesehen. Das änderte sich, als Sophia dazu kam, die ein ähnliches Schicksal hatte. Sie kam ebenfalls aus Ghana, aber aus Asokore in der Ashanti-Region im Süden des Landes. Auch sie war mittels Voodoo-Zaubers gefügig gemacht und nach Deutschland verschleppt worden, allerdings reiste sie erheblich unbequemer in einem Container per Schiff an.

 

Sophia wurde eine Art Schwester für Grace. Wann immer es möglich war, unterhielten sich die beiden jungen Mädchen über ihre Heimat, ihre Ängste und ihre Zukunftsträume. Nachdem Grace herausgefunden hatte, dass die Trennwand zwischen ihrem Zimmer und dem von Sophia nur aus dünnem Sperrholz bestand, bohrte sie mit dem Essbesteck ein Loch in die Wand. Fortan nutzen die beiden jede freie Minute für die Kommunikation.

 

„Morgen haben wir vielleicht frei“, sprach Grace zu Sophia auf Englisch. Diese antwortete verwundert: „Wirklich? Ich habe hier noch keinen Tag frei gehabt, seit ich hier bin. Woher weißt du das?“

„Morgen ist hier in Köln Rosenmontag. Da kommt kein Kunde, das hat mir Tobias gesagt.“

„Dein Stammfreier? Und was bedeutet Rosenmontag?“

„Das ist Karneval, alle verkleiden sich und trinken viel Alkohol. Niemand geht ins Puff.“

 

Grace sollte tatsächlich Recht behalten. Frank hielt am nächsten Tag eine kurze Rede, in der er den Mädchen erklärte, dass heute nur die Hälfte von ihnen ihre Dienste anbieten musste. Diejenigen, die in letzter Zeit besonders viel eingenommen hatten, hatten frei. Die Glücklichen konnten das kaum fassen und juchzten vor Begeisterung auf. Grace und Sophia waren in der Gruppe, die nicht arbeiten mussten.

 

Sie fuhren mit der U-Bahn bis zum Hauptbahnhof. Als gläubige Christen wollten sie den Tag nutzen, um im Kölner Dom zu beten. Als sie gerade das Gebäude betreten wollten, wurden die Mädchen mit barscher Stimme von einem Mann in einem schwarzen Gewand aufgehalten: „Also, das geht nun wirklich nicht. Auch wenn wir Karneval haben, in dieser Verkleidung könnt Ihr den Kölner Dom nicht betreten. Das entspricht nicht der Würde eines Gotteshauses“, sagte dieser. „Wenn Ihr feiern wollt, dann tut das wie alle anderen auch, also auf der Straße oder in einer Gaststätte.“ Grace wollte etwas einwenden, als sie von einem anderen Mädchen angesprochen wurde. „Na, Mädels, macht Euch nichts draus, was dieser alte Sack sagt. Kommt mit, ich zeige Euch, wo hier so richtig die Post abgeht. Ich heiße übrigens Tanja und komme aus Göttingen. Ihr seid ja richtig toll verkleidet. Als Nutte zum Karneval zu gehen – das hat doch etwas.“ Grace antwortete: „Wir sind nicht verkleidet, wir...“ Tanja lachte. „Humor habt Ihr auch. Das ist wirklich lustig. Aber kommt mit, da drüben ist eine prima Kneipe. Wir sollten ein paar Kölsch trinken.“

 

Grace hatte im Laufe des Jahres relativ gut Deutsch gelernt, während Sophia nur Englisch sprach. Tanja wiederum sprach diese Sprache schlecht, so dass die Unterhaltung recht einseitig zwischen ihr und Grace verlief.

 

In der Kneipe saßen merkwürdige Gestalten, einige hatten bunte Gewänder an und seltsame rote Nasen, andere trugen gestreifte Kleidung mit einer Kugel am Bein. An dem langen Tisch waren drei Schemel frei. Sie setzten sich. Tanja hob drei Finger in die Höhe und winkte den Mann hinter dem Tisch herbei. Umgehend brachte dieser drei Gläser, jedoch waren diese winzig klein. Grace sagte: „Ich trinke eigentlich nur Champagner, niemals Bier, bei uns…“. Erneut brach Tanja in schallendes Gelächter aus. „Ach, Mädels, Ihr seid klasse! Aber sagt mal, nun sagt mal, was macht Ihr nun wirklich? Ihr spielt Eure Rollen richtig gut, aber mir könnt ihr ja die Wahrheit sagen.“

 

Grace schilderte in bewegenden Worten das Schicksal von ihr und von Sophia. Tanja sagte zunächst gar nichts und hörte mit versteinerter Miene zu. Danach brach sie in Tränen aus und rief wütend: „Gegen diesen Mistkerl muss man etwas unternehmen. Wehrt Euch!“

„Gegen den Voodoo-Zauber kann man nichts machen. Den kann man nicht brechen“, antwortete Grace. Kurz darauf ergänzte sie: „Das gelingt uns nur in unseren Träumen.“

„Das ist es! Das ist es! Schaut mal, was ich hier habe“, rief Tanja. Sie holte ein kleines Fläschchen mit einer farblosen Flüssigkeit aus Ihrer Handtasche hervor. Tanja erklärte: „Das sind K.O.- Tropfen. Eigentlich für Jungs gedacht, die ich abschleppen will. Aber jetzt hilft es Euch im Land der Träume zu landen.“ Sie schüttete etwas von den Tropfen in die Biergläser von Grace und Sophia.

 

Sie tranken und zehn Minuten später wurden ihnen übel und schwindelig, außerdem wurden sie urplötzlich hundemüde und schliefen kurz darauf ein. Der Barkeeper hatte die Situation nicht beobachtet, ebenso wenig wie die anderen Gäste. Er griff aber ein, als Grace und Sophia zusammensackten, und rief umgehend den Notarztwagen.

 

Als sie erwachten fanden sie sich im Krankenhaus wieder. Auch dort konnten sie sich nur Frauen gegenüber offenbaren, bei Männern verhinderte das der Voodoo-Zauber. Durch ihre Aussagen flog der Ring der Zwangsprostitution und der Verschlepperbanden auf. Frank und seine Hintermänner wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Grace, Sophia und Hunderte von westafrikanischen Mädchen wurden befreit und konnten in ihre Heimatländer zurückkehren.

 

In Ghana verurteilte das dortige Gericht Onkel Opoku und den Voodoo-Zauberer zu lebenslänglicher Haft, doch zuvor wurde der Zauberer gezwungen den Bann wieder aufzuheben.

 

Grace lebt heute wieder glücklich in ihrer Heimat und gründete dort eine Familie. Zu Sophia und zu Tanja, ihrer Befreierin hielt sie einen regen Kontakt per Post und Internet.

 

 

 

Auch wenn diese Geschichte frei erfunden ist, so hat sie doch einen realen Hintergrund. In Westafrika werden tatsächlich junge Mädchen mittels Voodoo-Zaubers gefügig gemacht, und nach Westeuropa verschleppt, ganz speziell nach Nordrhein-Westfalen.

 

Weihnachten in Afrika

 

Bruno war glücklich. Seit über zehn Monaten lebte er jetzt mit seinem Kater Mäxchen in diesem kleinen Dorf im Norden von Ghana. Bruno war dort bei einem Projekt für den Bau von Brunnen und Bewässerungsanlagen engagiert, um die hiesige Bevölkerung mit sauberen Trinkwasser zu versorgen und somit die Ernährungslage zu verbessern. Das machte ihm sehr viel Spaß und er war stolz darauf, helfen zu können.

 

Heute war Heiligabend. Bruno dachte daran, wie es ihm vor genau einem Jahr ergangen war. Damals ging es ihm wesentlich schlechter, er war arbeitslos und er hatte wenig Geld. Spontan war er in die Kirche gegangen und einen wunderschönen Gottesdienst erlebt. Vor allem die Orgelmusik hatte es ihm angetan. Es wurde das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach gespielt. Als die Kollekte herumging, fielen zwanzig Euro heraus, die Bruno heimlich einsteckte. Nachdem ihn zu Hause das schlechte Gewissen überkam und er deswegen nicht schlafen konnte, wollte Bruno das Geld am nächsten Morgen zurückbringen. Dabei wurde er vom Pastor ertappt. Nachdem Bruno diesem seine Situation erörtert hatte, bot ihm der Pastor an, bei diesem Projekt mitzumachen, für das auch die Kollekte bestimmt war. Bruno sagte zu, uns so gelangte er hierher, samt seinem Kater Mäxchen.

 

Bruno hatte sich hier gut eingelebt und hatte ein sehr gutes Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung. Ganz besonders zu Grace, einer jungen Frau die hier als Übersetzerin fungierte. Grace sprach fast fehlerfrei Deutsch, obwohl sie nur eineinhalb Jahre in Deutschland gelebt hatte. Grace war nicht freiwillig nach Europa gekommen, sie wurde von ihrem Onkel zu einem Voodoo-Hexer gebracht und mit einem Voodoo-Zauber gefügig gemacht. Sie musste in Köln als Prostituierte arbeiten, und das, obwohl sie damals noch minderjährig war. Nachdem sie sich offenbaren konnte, flog alles auf und sie konnte in ihre Heimat zurückkehren. Hier heiratete sie und bekam zwei Kinder. Ihr Onkel und der Voodoo-Zauberer wurden von einem hiesigen Gericht zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

 

Für den Nachmittag hatte Grace ihren Besuch bei Bruno angekündigt. Sie wollten zusammen ein deutsch-ghanaisches Weihnachtsfest feiern. Der Pastor hatte vor einer Woche ein großes Paket geschickt, mit lauter Spezialitäten, die man hier nicht bekam, unter anderem Zimtsterne, ein Stollen, Spekulatius, Marzipan und Lebkuchen. Auch ein kleiner, fertig geschmückter Plastikweihnachtsbaum war dabei. Ein echter hätte den Transport kaum überstanden. Außerdem hatte der Pastor ein kleines Buch mit deutschen Weihnachtsliedern beigelegt.

 

Grace wollte ein selbst gekochtes, ghanaisches Gericht mitbringen. Welches das sein würde, hatte sie nicht verraten. Bruno war gespannt. Er ging zum CD-Player und legte die CD mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Die ersten Töne erklangen. Bruno war immer noch angetan davon. Er erinnerte sich an letztes Jahr und war immer noch begeistert davon. Das würde Grace sicherlich gut gefallen, denn sie war sehr gläubig. „Grace“ bedeutete übersetzt „Anmut“. Das passte sehr gut zu ihr, denn sie war sehr hübsch.

 

Bruno setzte sich in seinen Sessel und hörte der wunderbaren Musik zu. Mäxchen schien das auch zu gefallen. Der Kater schnurrte, strich Bruno um die Beine und sprang ihm auf den Schoß. „Na, Mäxchen, das ist schön, nicht wahr?“, sagte Bruno und streichelte Mäxchen.

 

Um 15 Uhr hörte Bruno eine wohlbekannte Stimme. Sie gehörte Grace. Die junge Frau war einfach so in Brunos Unterkunft hineingegangen. Niemand klopfte hier an die Tür, soweit überhaupt eine vorhanden war. Daran hatte sich Bruno mittlerweile gewöhnt. „Hallo, Bruno“, sagte Grace und lächelte. Dieser entgegnete: „Hallo, Grace. Ich freue, dass du da bist!“

 

Grace hatte einen Topf und zwei kleine Päckchen dabei. „Erst essen wir, denn ist Bescherung“, sagte Grace und stellte den Topf auf den Tisch. Sie öffnete den Deckel. Es war eine Gemüsesuppe mit Reisbällchen. „Das nennt sich Omo Tuwe. Das wird in Ghana gerne gegessen. Bei uns im Norden zum Abend, im Süden des Landes zum Frühstück“, erklärte Grace. Es duftete wundervoll.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Angela Yuriko Smith/ Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2013
ISBN: 978-3-7309-5004-3

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