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Denn der Schein trügt

 

 

 

 

 

Leicht wie eine Feder,

so schwebe ich davon,

getrieben von dem Winde,

die Richtung ahnt man schon.“

 

 

In der DDR waren im Jahre 1989 Veränderungen im Gang, die Bürger rebellierten. Bei den Demonstrationen gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen vom Mai wurden auch Texte erfolgreicher Rockbands gesungen oder Auszüge davon auf Tafeln geschrieben. So zum Beispiel „Leicht wie eine Feder“ von „Messing“. Es war schon viele Jahre her, dass die Gruppe diesen Hit hatte.

 

Man musste schon immer sehr vorsichtig sein, wenn man einen neuen Text schrieb. Verpönt waren Texte, die die Regierung oder Staatsorgane kritisch hinterfragten. Darum musste man Metaphern einbauen, um das Ganze zu hintergehen. Die Fans wussten aber genau, was damit gemeint war. Eine beliebte Methode der Künstler war es, „grüne Elefanten“ in die Texte einzubauen, die den Zensurstellen vorgelegt wurden. Das waren offensichtliche, extreme Anspielungen in den Rohfassungen. Diese wurden natürlich gestrichen, sodass die darauffolgenden eigentlich vorgesehenen Andeutungen übersehen wurden. Die großen und erfolgreichen Gruppen verstanden es meisterhaft, damit umzugehen.

 

„Wir müssen mal wieder einen Erfolg haben!“, forderte Andreas Hünecke, der Sänger der Band Messing und ergänzte: „Leider haben wir aber keinen Geiger und so märchenhaft sind unsere Texte auch nicht.“

 

Die anderen vier Mitglieder lachten. Sie hatten den Seitenhieb auf die anderen Bands verstanden. Bernd Claasen, der Drummer, nickte und sagte: „Jungs, es tut sich etwas im Land. Wir müssen reagieren. Die Leute singen unsere Lieder, aber sie brauchen etwas Neues, etwas Aktuelles.“

 

„Aber vorsichtig! Ich habe erst letzte Woche mit Tamara telefoniert. Die haben einen Text abgelehnt bekommen, der wirklich klasse war“, erklärte Robert Melzer, der erste Gitarrist und ergänzte: „Gestern Nacht konnte ich nicht schlafen. Hier in Magdeburg ist ja noch ruhig, aber auch das wird sich ändern, schon bald, da bin ich mir sicher. Jedenfalls habe ich dieses geschrieben.“

 

Er holte sein Instrument hervor und sang:

 

Wir haben lang geschwiegen, wir haben mitgemacht,

der Bann ist jetzt gebrochen, das Volk ist aufgewacht.

Wir werden Euch besiegen, da Ihr uns unterdrückt.

Dann werden wir Euch zeigen, was Euch niemals beglückt.

 

Denn der Schein trügt,

denn der Schein trügt.

 

Die Macht gehört dem Volke, das habt Ihr nun davon.

Viele kehrten Euch den Rücken, das war die Reaktion.

Doch die, die hier im Lande verharren immer noch,

die wollen etwas ändern, das eilt nunmehr jedoch.

 

Denn der Schein trügt,

denn der Schein trügt.

 

Ihr nennt Euch Demokraten, das ist doch wohl der Hohn,

solange ihr uns unterdrückt, ist Widerstand der Lohn.

Doch eines schönen Tages da wendet sich das Blatt.

Denn so kann es nicht bleiben, wir haben es so satt.

 

Denn der Schein trügt,

denn der Schein trügt.

 

Denn der Schein trügt,

denn der Schein trügt.

 

Die vier Bandkollegen verfielen für Sekundenbruchteile in eine Art Schockstarre, denn applaudierten sie heftig. Ronald Erzmann, der Bassist, räusperte sich und sagte: „Noch vor Kurzem hätte dir das ein paar Jahre Bautzen eingebracht. Aber in der Tat: es tut sich etwas in unserem Staat. Trotzdem: bei der Zensurbehörde kommt der Text niemals durch.“

„Das sehe ich auch so. Aber ich habe da eine Idee!“, rief Thomas Mühlhaus, der zweite Gitarrist. Er fuhr fort: „Wir nehmen das ganz normal auf, und lassen es dann rückwärts laufen. Dann legen wir einen anderen, harmlosen Text darauf, aber mit dem gleichen Refrain.“

 

Auch im Westen wurde man darauf aufmerksam und spielte den Song im Radio. Angesichts der sich zuspitzenden politischen Lage kam er in die Hitparaden, nach einigen Wochen sogar im Ausland. Als am 27. Juni 1989 die österreichisch-ungarische Grenze geöffnet wurde, unterlegten viele Fernsehstationen die Berichte mit „Denn der Schein trügt“. Nun bekam auch der letzte Funktionär der DDR mit, was hier abging. Doch man traute sich nicht, gegen „Messing“ vorzugehen, um das Ganze nicht noch mehr hochzukochen.

 

„Wir haben eine Lawine losgetreten“, frohlockte Andreas, als er davon Kenntnis erlangte und feierte mit seinen Bandmitgliedern den Erfolg bis spät in die Nacht.

 

Einige Wochen später, am 11. September 1989, wurde die Grenze zu Österreich für die zahlreichen DDR-Bürger geöffnet, die sich in Ungarn im Urlaub befanden. Zu Tausenden strömten sie in die erhoffte Freiheit und skandierten ohne Unterlass „Denn der Schein trügt“. Eine Woche später verlasen zahlreiche DDR-Bands auf ihren Konzerten eine Resolution, in der Veränderungen im Land gefordert wurden. Viele ließen es sich nicht nehmen, der Gruppe Messing zu danken oder sie zumindest zu grüßen.

 

Am 07. Oktober 1989 sollte der 40. Jahrestag der Gründung der DDR gefeiert werden, doch angesichts der zunehmenden Proteste verlief dieser Tag ganz anders, als die „grauen Herren“ es angedacht hatten. „Messing“ hatte an diesem Tag ein Konzert in Erfurt und wagte es dort erstmals, den Song unverschlüsselt vorzutragen. Der Jubel der Fans wollte nicht abebben. Früher hätte eine solche Aktion eine sofortige Verhaftung der Künstler zur Folge gehabt, doch jetzt geschah nichts dergleichen.

 

Auch am 09. November 1989, dem Tag der Maueröffnung, sangen die enthusiastischen Menschen immer wieder „Denn der Schein trog“, nachdem der Text jetzt aktualisiert war. Das Lied wurde zum Symbol der friedlichen Revolution und ein Welthit.

 

 

 

Das ist eine fiktive Geschichte. Die Band und den Song gibt es nicht, sehr wohl aber die historischen Ereignisse im Jahre 1989.

 

Mit dem Geiger wird auf die Gruppe „City“ angespielt, mit den märchenhaften Texten ist „Karat“ gemeint.

Tamara war Tamara Danz, Sängerin der Gruppe „Silly“ (1952-1996)

Bautzen war das Staatsgefängnis der DDR. Dort wurden Regimekritiker inhaftiert.

 

Gewidmet all denen, die damals den Mut hatten, sich aufzulehnen.

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.wikipedia.de
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das ist eine fiktive Geschichte. Die Band und den Song gibt es nicht, sehr wohl aber die historischen Ereignisse im Jahre 1989. Gewidmet all denen, die damals den Mut hatten, sich aufzulehnen.

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