Dienstag, der 02.04.2013
Hartmut öffnete missvergnügt die Mini-Golf-Anlage. Der Job machte ihm keinen Spaß und von den paar Kröten, die er hier verdiente, kam er gerade so über die Runden. Manchmal beim Reinigen der Bahnen fand er Dinge, die die Besucher verloren hatten. Wenn das Ausweise oder gar Kreditkarten waren, gab er diese natürlich ab. Doch gelegentlich fand er auch etwas, dass niemand wieder abholen würde. So auch an diesem Tage. An Bahn 8, dem Looping, sah er etwas silbrig Glänzendes. Es war ein Hufeisen. Hartmut schüttelte den Kopf. Wie kann so etwas nur beim Mini-Golf verlieren, dachte er sich. Er steckte den Glücksbringer ein und nahm ihn mit nach Hause.
Dort angekommen, hängte er es umgehend auf. Hartmut war zwar nicht besonders abergläubisch, aber ihm gefiel das Hufeisen und außerdem war der Wandschmuck in seiner Wohnung recht spärlich. Da gab es lediglich das Hochzeitsfoto seiner längst verstorbenen Eltern, ein gesticktes Bild von Tante Agathe mit einem Vogelmotiv und ein kleines Gemälde, das den Rügener Kreidefelsen zeigte.
Einer spontanen Idee folgend ging Hartmut zu Alis Lotto-Annahme-Stelle an der Ecke und füllte einen Schein aus. Die Zahlen wählte er willkürlich aus: 3, 8, 11, 26, 32 und 40.
Mittwoch, der 03.04.2013
Es war einer jener Tage, an denen man bereute, am Morgen aufgestanden zu sein. Fast den ganzen Vormittag hatte es geregnet und als dann gegen Mittag doch noch die Sonne herauskam, war Hartmut zwei Stunden beschäftigt die Bahnen trocken zu wischen. Kaum war er fertig, setzte erneut ein Platzregen ein und machte die Arbeit zunichte. Das fängt ja gut an mit dem blöden Glücksbringer, dachte Hartmut missmutig.
Folglich hielten sich die Einnahmen in Grenzen und er ging verärgert nach Hause. Hartmut sah sich die Krimi-Serie auf dem Zweiten an und wollte danach schon auf das Erste umschalten, um den nächsten Krimi zu gucken, als ihm der Lottoschein wieder einfiel. Gespannt verfolgte er die Ziehung. Mit unglaublichem Staunen nahm Hartmut wahr, dass nach und nach alle seine Zahlen gezogen wurden. Er hatte einen Sechser! Der Jubel kannte keine Grenzen. Rasch trank er sein Bier aus und griff zum Telefon. Er rief Egon, seinen Chef an und sagte ihm richtig die Meinung. Hartmuts Spruch: „Du kannst mich mal, du Arschloch!“, hatte die umgehende Kündigung zur Folge, was ihm aber egal war.
Hartmut nahm seinen Mantel, ging zum Geldautomaten und hob die vierhundert Euro ab, die er noch auf seinem Konto hatte. Daraufhin führte ihm der Weg in seine Stammkneipe „bei Berti“. Dort erzählte er jedem von seinem großen Glück und gab eine Lokalrunde nach der anderen aus. Beseelt und geldmäßig deutlich erleichtert kehrte er danach in seine Wohnung zurück und legte sich gleich schlafen.
Donnerstag, der 04.04.2013
Als um sieben Uhr der Wecker klingelte, warf ihn Hartmut umgehend in die Ecke, drehte sich noch einmal um und schlief sich richtig aus. Vier Stunden später stand er auf, frühstückte gemütlich und ging gutgelaunt zu Alis Kiosk, um ihm eine gute Zigarre zu spendieren, denn schließlich hatte ja sein Glück dort den Anfang genommen. Jedoch erwartete Hartmut eine große Überraschung, die keineswegs angenehm war. In großen Lettern titelte die BLOCK-Zeitung: „Ziehungspanne beim ZDF schockt Deutschlands Lottospieler“. Hartmut riss die Gazette aus dem Ständer und las den Artikel durch. Er erfuhr, dass die Ziehung für ungültig erklärt worden war, weil zwei Kugeln im Gerät stecken geblieben waren. Der Ziehungsleiter ordnete eine Wiederholung an, die natürlich ein ganz anderes Ergebnis brachte. Hartmut hatte nichts gewonnen, gar nichts. Wütend ging er nach Hause.
Kleinlaut rief er bei Egon an, um sich für den gestrigen Anruf zu entschuldigen. Doch dieser zeigte ihm die kalte Schulter und war keineswegs bereit, die Kündigung zurückzunehmen. „Hol deine Scheißsachen in der Anlage ab, aber sofort!“, schnauzte er Hartmut an. Viel war das nicht: ein altes Kofferradio, eine Kaffeemaschine und ein Ventilator. Er nahm sein Fahrrad und radelte zum Mini-Golf-Platz, holte die Dinge ab und kehrte anschließend in seine Kneipe ein. Berti, der Wirt, hatte auch Zeitung gelesen und klopfte Hartmut erst einmal auf die Schulter und sagte: „Mensch, Alter, da hast du aber echt Pech gehabt. Ich kann verstehen, wie es dir jetzt geht. Darf ich dir einen Korn spendieren auf den Ärger?“ Natürlich hatte Hartmut nichts dagegen einzuwenden.
Bei dem kostenlosen Freigetränk blieb es keineswegs, ihm ließ er etliche „Rezepte“ folgen. Vier Stunden später konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Die anschließende Heimfahrt war folglich mit leichten Koordinationsschwierigkeiten verbunden. An der Ecke Bäckerstraße / Fleischergasse am türkischen Obst- und Gemüsegeschäft geriet Hartmut ins Straucheln und fiel kopfüber in die Tomaten.
Die herbeigerufene Polizei stellte bei ihm nach dem Pusten einen Blutalkoholgehalt von 2,6 Promille fest, was eindeutig viel zu viel war. „Das wird teuer für Sie, Herr Sievers“, bemerkte einer der Polizisten. Griesgrämig trottete Hartmut nach Hause.
Freitag, der 05.04.2013
Die miese Laune von Hartmut wuchs. Die letzten drei Tage waren wirklich unschön für ihn verlaufen, um es vorsichtig auszudrücken. Ein Blick ins Portemonnaie erheiterte ihn keineswegs, sondern deprimierte ihn noch mehr. Schweren Herzens entschloss er sich, Tante Agathe anzurufen. Das machte Hartmut nur im äußersten Notfall. Die alte Schabracke nervte ihn, aber sie hatte Geld, viel Geld. Und das hatte er jetzt bitternötig.
Sie meldete sich so, wie sie das immer tat, nämlich nie mit ihrem Namen oder „Hallo“ sondern mit einem langgezogenen „Ja, bitte?“. Hartmut kannte niemand anderen, der so etwas tat. Als Agathe vernahm, wer sie da anrief, folgte als Erstes: „Na, du hast dich ja lange nicht mehr gemeldet!“, und danach die Frage: „Brauchst du mal wieder Geld?“. Um nicht mit gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, erzählte Hartmut die ganze Geschichte in allen Einzelheiten – unterbrochen von zahlreichem Aufstöhnen und Seufzern seiner Tante. Als er fertig war, folgte ein zehnminütiges Gezeter von Agathe. Danach sagte sie: „Junge, ich habe ja immer gesagt, aus dir wird nie etwas Vernünftiges. Aber sag mal, wie herum hast du das Hufeisen aufgehängt?“
„Was meinst du?“
„Na, zeigt die Öffnung nach oben oder unten?“
„Nach unten. Ist das wichtig?“
„Und ob! Wenn man es so aufhängt, wie du das getan hast, fällt das Glück heraus. Kein Wunder, dass dir das alles passiert ist. Und du weißt, was mein Herbert immer gesagt hat: Man erntet, was man sät!“
Bildmaterialien: www.zumschottenpreis.de
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2013
Alle Rechte vorbehalten