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Die Zeit mit Chelsea

 

 

In Schweden feiert man gerne und nimmt auch bevorzugt alkoholische Getränke zu sich, trotz der exorbitanten Preise. Ganz besonders gilt das für die Zeit der Sommersonnenwende. Im Norden geht dann über Wochen die Sonne nicht unter, 24 Stunden Helligkeit am Tag. Schon lange plante ich, in diesem Zeitraum dorthin zu reisen.

 

In jenem Jahr war es endlich soweit. Ich hatte mir ein Wohnmobil gemietet und war über Dänemark angereist. Nichts war geplant, ich rollte einfach gegen Norden. Wo immer es mir gefiel, wollte ich anhalten. Endlose Wälder, traumhafte Seen – es sollte wunderschön werden. Nach der ersten Übernachtung in Göteborg steuerte ich den Vänernsee an. Er ist der größte des Landes und der drittgrößte Europas. In Lidköping machte ich halt. Leider ist von der mittelalterlichen Bebauung kaum noch etwas erhalten, beim großen Brand von 1849 wurde beinahe alles zerstört. Trotzdem gibt es im Stadtteil Gamla Staden noch ein paar Überreste der alten Häuser.

 

Dort entdeckte ich ein kleines Straßencafé und setzte mich nach draußen. Traumhaftes Wetter: es war sehr warm und der Himmel war strahlendblau. Ich genoss meinen Multbeerenkuchen und den Kaffee, der kräftig war. Was für ein Unterschied zu der Plörre, die man mir ein Jahr zuvor in den U. S. A. serviert hatte! Eine junge hübsche Frau mit feuerrotem Haar näherte sich. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen. Ich lächelte sie an. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte sie in Englisch. Eindeutig eine Muttersprachlerin – und sehr schwedisch sah sie auch nicht aus. Natürlich erlaubte ich das, gegen eine nette Unterhaltung hatte ich nichts einzuwenden. Wie es sich herausstellte, kam sie aus Liverpool und hieß Chelsea. „Ein wunderschöner Name“, bemerkte ich. „Ja, mein Dad ist ein Riesenfan von dem Team“, entgegnete sie. „Da hast du ja Glück, dass er sich nicht für Tottenham begeisterte.“ Sie lachte. Hotspur wäre wirklich ein blöder Name gewesen.

 

Chelsea war ganz alleine unterwegs – als Tramperin. „Hast du keine Angst, dass dir etwas passiert?“, wollte ich wissen. „Ich suche mir die Leute genau aus, mit denen ich mitfahre“, antwortete Chelsea und ergänzte: „Wenn sie so nett sind wie du, ist das optimal. Wo willst du eigentlich hin?“

 

„Nach Norden, immer nur nach Norden. Am 21. Juni will ich das Mittsommerfest feiern.“ „Nimmst du mich mit?“, hauchte sie und sah mir tief in die Augen. Die ihren waren grün und funkelten wie Sterne. Es hatte mich erwischt, was erfreulicherweise auf Gegenseitigkeit beruhte.

 

Natürlich durfte sie mitfahren, gegen so eine sympathische Reisebegleitung konnte ich schwerlich etwas einwenden. Wir begaben uns zu meinem Wohnmobil. Genügend Biervorräte hatte ich aus Deutschland mitgebracht, denn umgerechnet 12 Euro für eine Flasche Dünnbier zu bezahlen – das musste nicht sein. Chelsea hatte ebenfalls vorgesagt. In ihrem Rucksack waren Stout und Ale und so verbrachten wir einen lauschigen Sommerabend mit englischen und deutschen Bier. Dazu gab es Chips mit Essiggeschmack aus ihrer Heimat. Sie wunderte sich, dass ich das mochte und ich sagte ihr, dass ich durchaus die Küche ihres Landes schätzte, wenn auch nicht alles. „Porridge gibt es morgen früh nicht, ansonsten ist das Frühstück englisch: Ham and Eggs, gebackene Bohnen und Orangenmarmelade mit Toast“, erklärte ich. Wieder dieses bezaubernde Lachen von ihr. „Nee, diesen Haferschleim mag ich auch nicht, einfach widerlich“, rief sie und schüttelte sich.

 

Die Nacht mit ihr war bezaubernd und berauschend zugleich. Es hätte nicht schöner sein können. Wir entschieden uns, in Richtung Ostseeküste zu fahren und machten am Abend in der Nähe von Västerås halt, am Mälaren-See, an einer kleinen, fast menschenleeren Bucht. Möwen und Enten schwammen auf dem Wasser. „Ob das wohl kalt ist?“, fragte Chelsea. „Na, ja, wir sind ja nicht in der Karibik, und der See ist ziemlich tief, etwa zwölf Meter maximal. Dürfte zumindest recht erfrischend sein“, antwortete ich. Meine Mutmaßung traf zu, das Gewässer hatte alles andere als Badewannentemperatur. Dennoch vergnügten wir uns im Wasser. Ich umarmte sie und küsste sie leidenschaftlich. „Ich bin glücklich, dich gefunden zu haben, Robert“, flüsterte sie mir ins Ohr. Dabei bestand gar kein Grund, leise zu sein. Kein Mensch war weit und breit, außer uns beiden. Daher schrie ich: „Ich auch, ich auch“ und trug sie in meinen Armen ans Ufer. Obwohl es fast Mitternacht war, war es nicht richtig dunkel. Im fahlen Licht streifte ich ihr den Badeanzug vom Körper. Wir liebten uns am Strand, es war noch schöner als am Abend zuvor.

 

Eine Woche später. Wir hatten den Polarkreis erreicht. Nun war es auch nachts taghell. Es war Freitag, der 20. Juni, ein Tag vor der Mittsommernacht. Die alberne Polarkreistaufe mit vorgeblichem Rentierblut sparten wir uns, das war etwas für die üblichen Touris. In der Nähe von Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens, mitten in Lappland, entdeckten wir Pappschilder, die auf ein großes Fest hinwiesen. „Hier bleiben wir“, sagte ich und Chelsea nickte. Ein Einheimischer sprach uns an: „Ihr könnt gerne kommen, es wird eine lustige Feier. Wir Schweden haben gerne Gäste. Wollen wir einen Schnaps trinken?“ Mattis, so hieß der junge Mann, lud uns zu sich nach Hause ein. Das Zeug war offenbar selbstgebrannt. Zusammen mit dem Bier aus meinem Vorrat wurde es ein feuchtfröhlicher Abend.

 

Mittsommer. Tische und Bänke wurden aufgebaut. Es gab Kartoffeln, Hering, Sauerrahm, Knäckebrot und Käse. Das wird traditionell zu diesem Festtag gereicht. Die Männer und die Frauen trugen Trachten. Alle freuten sich auf die Nacht. Mattis hatte sein Selbstgebranntes mitgebracht. „Jetzt singen wir das Schnapslied“, kündigte er an.

 

Helan går

sjung hoppfaderallanlallanlej,

helan går

sjung hoppfaderallanlej.

Och den som inte helan tar

han heller inte halvan får.

Helan går

sjung hoppfaderallanlej!

 

Auch wenn wir kein Wort verstanden – wir stimmten in den Gesang mit ein. Danach wurde getanzt. Es war wunderschön, genau, wie ich es mir erhofft hatte. Noch viel schöner war die Liebe zu Chelsea. Genau um Mitternacht erfüllte sich mein Sommernachtstraum. „Willst du mich heiraten?“, fragte ich sie. „Ja, Robert, ich will.“

 

Das ist jetzt fünf Jahre her. Wir leben glücklich in Bremen, meiner Heimatstadt und haben zwei Kinder. Die Zeit mit Chelsea wird nie enden – hoffentlich.




 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 06.07.2013

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