Als ich nach langer, anstrengender Tätigkeit im Finanzamt Emden meine wohl verdiente Pension antrat, beschloss ich, mir ein Haustier anzuschaffen. Fische kamen nicht in Frage, da ich etwas zum Anfassen brauchte. Aus dem gleichen Grunde kamen auch Schlangen und Giftspinnen nicht in Betracht. Vögel waren mir zu laut und Goldhamster zu wenig werthaltig. Letztere sind zwar pflegeleicht und possierlich, aber eben recht kurzlebig, besonders, wenn man mit ihnen spielt und gleichzeitig staubsaugt.
Somit sollte es dann eine Katze oder ein Hund sein, denn Pferde oder Nashörner durfte ich laut meiner Hausordnung nicht halten, und hätten auch einen recht hohen Ressourcen-Verbrauch gehabt. Finanzbeamte achten auf so etwas! So kam es, dass ich mich bei einem Besuch auf einem Markt in Polen spontan für „Purzel“ entschied. Der Kleine wurde mir als Dackel verkauft, sah allerdings etwas merkwürdig aus. Dafür war er sehr preiswert.
Ich hegte keinerlei Zweifel, bis dieser nach etwa einer Woche dann doch hochkam. Purzel hatte bis dato nicht ein einziges Mal gebellt und auch nicht geknurrt. Stattdessen hörte ich ein leises Fauchen. Als mich Kollege Niedermeier bei seinem Besuch darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Purzel Schuppen hätte und dieses nicht zu knapp, sah ich mir meinen treuen Freund dann genauer an. Dabei fiel mir auf, dass Purzels Fell nicht etwa ockerfarben, sondern einen eher leicht grünlich war. Darüber hinaus konnte man es nicht einmal als Fell bezeichnen, es fühlte sich recht rau an.
Der Tierarzt, den ich daraufhin aufsuchte, klärte mich dann auf, dass ich keineswegs einen Hund, sondern einen Drachen erworben hatte. Einerseits freute ich mich, weil mir das die Hundesteuer sparte, aber andererseits befürchtete ich, dass das Gassi-Gehen und das Mitführen von Purzel in öffentlichen Verkehrsmitteln ein wenig Aufsehen erregen würde. Daher rief ich vorsorglich beim örtlichen Busunternehmen an, um mich zu erkundigen, ob dort der Transport von Drachen genehm oder verboten sei. „Solange sie ihn in einer Tüte transportieren, ist das kein Problem“, antwortete der freundliche Herr am Telefon. Ich bräuchte für ihn nicht einmal eine Fahrkarte für ihn, erklärte der Mann weiter.
Doch leider schien hier ein Missverständnis aufgekommen zu sein, denn als ich mit Purzel mit der Linie 9 von meiner Wohnung zum hiesigen Stadtpark fahren wollte, endete das in einem Fiasko. Purzel hatte nur einmal kurz aufgestoßen. Er stieß dabei eine kleine Flamme aus, was für Wesen seiner Art nicht ungewöhnlich ist. Infolgedessen wurden sowohl das Blümchenkleid und die Haartracht der jungen Dame versengt, die mir gegenüber saß. Daraufhin stoppte der Fahrer und warf mich und Purzel nach dieser Panne kurzerhand aus dem Bus.
Da stand ich nun mit meinem kleinen Drachen und ein wenig Handgepäck, in dem sich das Futter für die Enten befand, an der Stresemannallee, noch kilometerweit vom Park entfernt. Ich war wirklich sauer und Purzel schien auch nicht bester Stimmung zu sein. Mehrere Taxifahrer hatten nicht den Mut und verweigerten uns den Transport, und so mussten wir wohl oder übel zu Fuß gehen.
Im Park gab es dann den nächsten Ärger. Purzel hatte sich am Teich sogleich auf die Enten gestürzt und vier von ihnen verschlungen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er so etwas tun würde, dann ich hatte ihn noch zu Hause gefüttert, aber das Hundefutter schien für Purzel nicht ausreichend nahrhaft zu sein. Jedenfalls rief der herbeigeeilte Parkwächter unverzüglich die Polizei. Ich versprach, dass ich meinen Drachen künftig nur noch angeleint mitführen würde. Leider musste ich trotzdem eine gehörige Geldstrafe bezahlen, dazu kam eine saftige Schadensersatzforderung der Stadtverwaltung für die Enten.
Acht Wochen nachdem Purzel zu mir gekommen war, war er enorm gewachsen und hatte die Größe eines Schäferhundes erreicht. Entsprechend stiegen sein Appetit und meine Kosten. Da er aber so lieb war und einen treuen Blick hatte, machte mir das nicht viel aus. Allerdings hatte es negative Auswirkungen auf meinen Freundeskreis. Und auch Fräulein Hildegard, meine langjährige Zugehfrau, kündigte alsbald, so dass ich meine Wohnung selber reinigen musste.
An einem wunderschönen, sonnigen Tag lag ich auf dem Balkon in meiner Relaxliege, neben mir ein Glas eiskalte Fassbrause mit Apfelgeschmack. Ich war vertieft in einem spannenden Buch, nämlich „Die Entwicklung des Ansehens der Finanzbeamten vom Frühmittelalter bis zur Neuzeit in Südbaden und Mittelfranken“, als ich einen Ruf von unten vernahm. Es war mein Postbote, der mir mitteilte, dass er ein wichtiges Einschreiben für mich hätte. Ich ging zur Tür, um ihm zu öffnen, und legte mich zurück auf dem Balkon. Postbote Heimann war ziemlich übergewichtig. Entsprechend lange brauchte er, um meine Wohnung im zweiten Stock zu erreichen. Plötzlich ertönte ein Schrei. Mit dem Anblick meines treuen Gefährten hatte der Postzusteller nicht gerechnet. Voll Panik lief er davon, ohne zuvor das Poststück ordnungsgemäß zuzustellen. Das entsprach nun gar nicht dem Verhalten eines pflichtbewussten Beamten im mittleren Dienst!
Unsere alljährlichen Matjes-Tage in Emden standen bevor und ich hatte vor, dieses Fest zu besuchen. Trotz intensivster Bemühungen fand sich kein Drachen-Sitter, was zur Folge hatte, dass Purzel mitkommen musste, der unterdessen so groß wie eine Kuh war. Ich appellierte an ihn, dass er sich benehmen möge, und erklärte ihn, dass Matjes einst als „Arme-Leute-Essen“ galt und er das bitte nicht wörtlich nehmen soll. Drei Tage zuvor war Frieda, meine neue Reinigungskraft spurlos verschwunden, und ich wurde den Verdacht nicht los, dass mein Drache irgendetwas damit zu tun hatte, zumal er danach seine Mahlzeiten ablehnte.
„Nicht lang snacken, Kopp in'n Nacken“, so sagt bei uns in Ostfriesland. Das gilt auch für den Verzehr des Matjes. Man packt den Fisch am Schwanz und lässt ihn dann komplett kopfwärts in seinen Mund gleiten. So zeigte ich es Purzel, der jedoch wenig Interesse daran zeigte. Auch war er nicht sehr begeistert von den Shanty-Chören und deren Gesang. Purzel war offenbar ein reiner Landdrache. Das bestätigte sich, als ich mir die Fregatten ansehen wollte, die in großer Zahl am Hafen festgemacht hatten. Gelangweilt trottete er neben mir her.
Ich hatte mittlerweile ein halbes Dutzend Heringe verspeist und war nun recht durstig. Der Ostfriese im Allgemeinen trinkt ja sehr gerne Tee, doch zu Fisch ist dieses nicht gerade die richtige Wahl. Viel besser eignet sich dafür das herbe Bier aus der Nachbarstadt, das in grünen Flaschen verkauft wird. Ich gönnte mir drei Becher dieses kühlen Nasses und meine Laune besserte sich. Als ich dort so auf der Bank saß – neben mir der ordnungsgemäß angeleinte Purzel – tippte mich jemand auf die Schulter. Der Mann stellte sich als Chef der Werbeagentur der besagten Brauerei vor. Von Purzel war er schlichtweg überwältigt und bot mir an, meinen Drachen für die neue Werbung des Bieres zu engagieren. Ich sollte das nicht bereuen.
So geschah, dass die innovative Geschmacksrichtung „Grapefruit/Bergamotte“ mit dem Spruch „Wie das Land, so der Purzel“ beworben wurde. Mein Drache wurde berühmt und ich verdiente damit eine Menge Geld. Deshalb: Wenn Ihnen auf einem Markt in Polen ein merkwürdig aussehender Dackel angeboten wird: Greifen zu ruhig zu! Die Verluste, die dieser einbringt, werden alsbald ausgeglichen, auch wenn Enten, Briefzusteller und Putzfrauen meine Meinung in Frage stellen. Dafür gebe ich Ihnen Wort als Finanzbeamter.
Bildmaterialien: www.posterlounge.de
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2013
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