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Der Vampir im Sonnenstudio

 

 

Sehr geehrter Finanzbeamter,

 

ich erhielt letzte Woche Ihren Nachforderungsbescheid. Es stimmt ja, ich habe lange keine Steuern gezahlt, genauer gesagt jahrhundertelang nicht. Aber diese Forderung ist dann doch überzogen, finde ich.

 

Es ist mir allerdings unangenehm, dass ich dem Steuerprüfer meine wahre Identität preisgeben musste, nachdem über die angekaufte CD die Daten meiner Gefährten und auch von mir bekannt wurden. Aber an die Konsequenzen dachte ich nicht. Als die Bundesregierung beschloss, dass angesichts der Hilfe für Griechenland die Steuergesetze verschärft werden sollten, hätte ich niemals gedacht, dass es uns treffen könnte. Wir Vampire sind doch eigentlich ganz harmlos, na ja, meistens.

 

Ich würde ja gerne meine Angelegenheit mit Ihnen persönlich erörtern, aber leider kommen mir Ihre Öffnungszeiten nicht entgegen, zumindest nicht zu dieser Jahreszeit. Möchten Sie vielleicht einmal bei mir vorbeischauen? Ich würde Ihnen auch ein kleines Dinner mit Blutwurst und Blutorangen reichen, dazu gäbe es gratis eine Bloody Mary, extra für Sie gemischt.

 

Wir sollten dann auch die besonderen Belastungen besprechen, die Sie abgelehnt haben. Der Tod von Onkel Kunibert hat mich wirklich belastet. Dieser war äußerst tragisch. Ein Vampir in einem Sonnenstudio ist nun einmal deplatziert, aber mein Onkel hatte am Abend zuvor seinen Durst an einer Gruppe Fußballfans gestillt, die leider nicht mehr ganz nüchtern waren. Entsprechend angeheitert hatte sich Onkel Kunibert in der Tür geirrt und war statt in seiner Behausung im oben erwähnten Sonnenstudio gelandet. Der vermeintliche Sarg entpuppte sich als Sonnenbank. Pech für Onkel Kunibert, dass dann jemand auf dem Knopf gedrückt hat.

 

Wo wir gerade bei den besonderen Belastungen sind: ja, auch Vampire müssen gelegentlich zum Zahnarzt, dann auch wir leiden unter Karies. Das ist nicht zuletzt diesen süßen Mixgetränken geschuldet, die die Jugend heutzutage so bevorzugt. Das hat böse Folgen für uns und unsere Zähne. Stellen Sie sich vor, sie würden uns ausfallen. Das wäre so, als ob man Ihnen Ihr Stempelkissen und Ihren Kugelschreiber wegnehmen würde, da hätte sie auch Probleme. Darum müssen Sie die Rechnungen des Zahnarztes unbedingt anerkennen.

 

Meine Einnahmen werden von Ihnen auch bei Weitem überschätzt, das von uns entnommene Blut dient ausschließlich unserer Ernährung und nicht der Kapitalmehrung. Wenn Sie beim Roten Kreuz (welch böses Wort) Blut spenden wird Ihnen auch nur eine Mahlzeit gereicht und kein Geld gezahlt. Blutspenden ist eine gute Tat! Sie als tüchtiger Beamter sollten hier nicht zurückstehen. Auch Beamte müssen bluten. Ich stehe Ihnen hierfür gnädigst zur Verfügung.

 

Ach, ich hätte noch eine Bitte: Verzehren Sie doch bitte keine Speisen mit Knoblauch, wenn Sie mich besuchen. Wesen meiner Art habe wenig Affinität mit dieser Würze, auch wenn sie diese vielleicht als pikant empfinden mögen. Auch sollten Sie kein Kruzifix mit sich führen. Dieser Anblick bekommt unsererseits gar nicht. Hingegen haben wir nichts gegen Silber in jeglicher Form. Sie sollten uns nicht mit Werwölfen verwechseln.

 

Ich bitte Sie Vernunft anzunehmen, auch wenn ich weiß, dass Beamte – insbesondere im Finanzwesen – nichts annehmen dürfen. Werten Sie bitte mein oben erwähntes Speiseangebot keineswegs als Bestechung.

 

Und – im Vertrauen – wir sind doch Kollegen! Die wahren Blutsauger sitzen doch im Finanzamt, nicht wahr? Ein vertrautes Gespräch unter vier Augen wäre für uns beide sicher förderlich, als Erfahrungsaustausch sozusagen.

 

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen und hoffe schon bald Ihre nähere Bekanntschaft zu machen.

 

Ihr ergebener und hungriger Graf Dracula

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Bildmaterialien: www.wunderweib.de
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2013

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