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Mutterliebe

 

 

An jenem Sonntagmorgen saß Wolfgang Wehmann – wie immer am Wochenende – mit seiner Mutter Helene am Frühstückstisch. Sie hatte ihm gerade Kaffee eingegossen, als Wolfgang zunächst seufzte und sich dann räusperte. Danach sagte er: „Mutti, ich muss dir etwas erzählen.“

„Was ist dann, mein Kleiner?“ Mein Kleiner! Er hasste es, wenn sie ihn so nannte. Immerhin war er schon achtunddreißig Jahre alt und alles andere als klein. Wolfgang war ein stattlicher Mann von fast zwei Meter und kräftig gebaut. Er hatte einen gut bezahlten Job als Leiter einer Sparkassen-Filiale in Münster. Alles könnte wunderbar in seinem Leben sein, wenn er da nicht zwei Probleme hätte. Das eine war seine mangelnde Affinität zu Frauen. Er war nicht homosexuell, aber er hatte Angst vor ihnen. Dieses hing unmittelbar mit dem zweiten Problem zusammen – seiner Mutter. Er hatte das Hotel Mama nie verlassen, und das war ihm ungeheuer peinlich. All seine Kollegen und Kolleginnen wussten davon und machten sich hinter seinem Rücken lustig über ihn.

 

Erneutes Räuspern. Dann fuhr er fort: „Mutti, ich habe da jemand kennen gelernt.“ Helene wurde blass, dann sprach sie leicht verärgert: „Ist das diese Schlampe aus deiner Sparkasse? Wie hieß sie noch gleich – Martina?“

„Nein. Zunächst einmal ist sie keine Schlampe und sie heißt auch nicht Martina sondern Michaela.“ Vorletzte Woche hatte ihn Mutti auf der Arbeit besucht. Michaela hatte ihm gerade umarmt, als Helene den Schalterraum betrat. Das war jedoch keineswegs eine Liebeserklärung, sondern eine spontane Reaktion auf die gute Nachricht, die er ihr zuvor überbracht hatte. Michaela sollte befördert werden. In ihrer unbekümmerten, natürlichen Art hatte sie sich nichts dabei gedacht, ihren Chef zu umarmen. Tagelang danach hatte ihn seine Mutter danach ausgefragt. Einerseits wollte sie schon, dass ihr Sohn endlich eine Partnerin fand. Andererseits war da ihre übertriebene Mutterliebe.

 

Wolfgang fuhr fort: „Nein, ich habe eine Frau kennen gelernt, die nichts mit der Sparkasse zu tun hat. Sie ist aber noch sehr jung, fast noch ein Mädchen. Sie heißt Sylvia und ...“

„Jung? Wie jung dann? Schlepp mir nur keine Tussi von der Straße hier an. Du hast eine gute Arbeit und du hast es nicht nötig, dich mit diesen jungen Dingern abzugeben. Die wollen doch nur dein Geld. Du brauchst eine anständige Frau, die standesgemäß ist.“

„Mutti, unterbrich mich bitte nicht! Also Sylvia ist anständig. Sie studiert Musik, Fachrichtung Gitarre. Außerdem spielt sie in einer Band, die...“

„Einer Band! Und dann noch eine Studentin! Das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes. Nun sag schon endlich wie alt diese Schlampe ist.“

„Wenn du mich mal ausreden lassen würdest, hättest du das längst erfahren. Sie ist zweiundzwanzig.“

„Sechzehn Jahre Unterschied. Die dreht dir bestimmt bald ein Kind an, dann haut sie ab und du hast die Kosten.“

„Mutti, ich bin alt genug um selbst entscheiden zu können, was ich tue. Im Übrigen kannst du dir nachher selber ein Bild von ihr machen. Sie kommt nachher zum Kaffee.“

„Du lädst dieses Weib einfach in meine Wohnung ein? Ohne mich um Erlaubnis zu fragen? Was fällt dir ein?“

„Immerhin ist das auch meine Wohnung, Mutter. Ich zahle fast die ganze Miete. Du kannst froh sein, dass ich nicht schon längst ausgezogen bin. Dann müsstest du zusehen, wie du zurecht kommst mit deiner kleinen Rente. Du kannst dir das doch gar nicht leisten...“

„Und wer hat dich ein Leben lang durchgefüttert? Ist das die Art einer Mutter zu danken? Du bist ein schlechter Sohn – das warst du immer. Das werde ich dieser Sylvia nachher zu verstehen geben. Die kann dahin gehen, wo der Pfeffer wächst.“

„Mutter reiz mich nicht. Du hast bislang jede Frau verprellt, die ich dir vorgestellt habe.“

„Ach ja? Das waren aber auch alles widerwärtige Schlampen, eine schlimmer als die andere. Ich sage dir doch: die wollten nur dein Geld.“

„Das ist doch Quatsch. Warum wohl habe ich in meinem Alter immer noch keine Frau gefunden? Du hast sie alle vertrieben: Barbara, Cornelia, Petra...“

„Mit Recht, mit Recht. Ich will doch nur dein Bestes.“ Helene begann zu weinen. Das machte sie immer, wenn sie die Gefahr witterte, ihren Sohn zu verlieren.

 

Wolfgang wurde noch ärgerlicher und rief: „Nun fang nur nicht wieder diese Heulnummer an. Diesmal verdirbst du mir das nicht. Wenn hier jemand eine Schlampe ist, dann bist du das, du alte Schachtel...“ Weiter kam er nicht. Seine Mutter holte aus und gab ihm eine kräftige Ohrfeige und schimpfte los: „So etwas sagt man einer Mutter nicht, du undankbarer Bengel. Ich hätte dich damals abtreiben lassen sollen. Was hätte ich für eine Karriere machen können. Ich war eine begabte Schauspielerin. Dann hat mich dieser Dreckskerl geschwängert und mich sitzen lassen. Du hast mir mein ganzes Leben verdorben.“

Das war zuviel für Wolfgang. Er nahm die schwere Kaffeekanne und schlug sie seiner Mutter auf dem Kopf. Helene war augenblicklich tot.

 

 

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Bildmaterialien: www.porzellan-sammlung.de
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2013

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