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Das Energieproblem

 

 

Am 25. Juni 2098 beschloss der Rat der Weltregierung in New York den Bau einer Flotte von Parallelweltschiffen. Trotz einiger Widerstände starteten am 1. Januar 2100, dem 25. Jahrestag der Gründung der Weltunion, acht Schiffe, die in die verschiedenen Welten reisen sollten. Niemand wusste genau, was dort zu erwarten war. Es konnten Paradiese sein oder Erden, die zerstört waren. Deshalb sollten die Worldonauten nur landen, wenn im Orbit beobachtet worden war, dass dort keine Gefahr drohte. An Bord der Parallelweltschiffe waren jeweils vier Wissenschaftler und ein Pilot. Der Weltpräsident Johann van Dyken hatten ihnen die Hände geschüttelt und eine imposante Rede gehalten:

 

„Meine Damen und Herren. Am Ende des 21. Jahrhunderts waren die letzten Erdgas- und Erdölvorkommen auf der Erde verbraucht, selbst unter den Meeren und unter dem Südpolar war alles ausgebeutet. Braun- und Steinkohle war bereits sechzig Jahre zuvor restlos aufgebraucht worden. Nach dem Super-Gau im KKW Grohnde in Deutschland, der ganz Norddeutschland sowie die Niederlande und Belgien unbewohnbar machte, war die Atomkraft weltweit verpönt. Alternativen gab es kaum, durch die Klimaveränderung waren Starkwinde an der Tagesordnung, so dass auch die einst verheißungsvoll ausgebauten Windenergie-Anlagen nicht mehr nutzbar waren. Ähnliches galt für die Solarenergie, weil kaum noch die Sonne schien. Es blieben nur noch die Erdwärme- und Wasserkraftwerke. Doch diese konnten den ungeheuren Bedarf an Energie bei Weitem nicht decken.

 

Die ehemaligen Staaten der so genannten dritten Welt hatten technologisch in den letzten vierzig Jahren die Industrieländer eingeholt, so dass weltweit ein fast einheitlicher Lebensstandard herrschte. Das war einerseits wunderbar, hatten aber andererseits fatale Folgen auf die Umwelt, was wiederum zu den vorab genannten Problemen führte.

 

Es gab noch eine Lösung: Energie-Gewinnung durch Antimaterie. Theoretisch war dieses seit langer Zeit erforscht, doch auf Grund der hohen Risiken immer zurückgestellt worden. Zudem kam künstlich erzeugte Antimaterie für die Nutzung nicht in Frage, da die Erzeugung ebenso viel Energie verbrauchte wie das, was dabei herauskam. Im natürlichen Zustand kam sie auf der Erde aber kaum vor. Doch es gab Welten, die daraus bestanden, aber leider nicht in dem terrestrischen Sonnensystem und nicht einmal in der eigenen Galaxis.

 

Dann kam die Idee auf, Parallelwelten auszubeuten, also Erden die zeit – und ortsgleich neben dieser Welt existierten, nur eben in einer anderen Dimension. Dank einer grandiosen Erfindung eines Physikers aus dem ehemaligen Frankreich war eine Maschine geschaffen worden, die eine Reise in diese Welten ermöglichte. Die Kosten für das Projekt waren immens, aber da es um den Erhalt des Wohlstandes der Menschheit ging, waren sich fast alle einig, dass das gerechtfertigt war. Diese tapferen Männer und Frauen werden nun zu einer gefährlichen Reise aufbrechen. Möge diese erfolgreich sein und uns das erbringen, was wir erhoffen.“

 

An Bord von „Hope 7“ befanden sich: Der Physiker Alexandro Rodriguez, die Chemikerin Li Nguyen, der Biologe Martin Wollscheid und der Geschichtsforscher Malcolm Steward, gesteuert wurde das Schiff von Nancy Scott. Sie waren sich der möglichen Risiken bewusst. Alle hatten sich freiwillig gemeldet. Ihnen war klar, dass dieses die letzte Chance war, den Lebensstandard der Menschheit zu erhalten. Die allerletzten Energiereserven wurden für den Antrieb der Fähren geopfert.

 

„So, jetzt geht es los, meine Herrschaften“, sagte Malcolm, der das Kommando inne hatte, zu seinen Kameraden und fuhr fort: „Es wird keine leichte Aufgabe. Ich kann auch nicht dafür garantieren, dass wir alle lebend zurückkehren. Wenn wir jedoch Erfolg haben, werden unsere Namen in den Geschichtsbüchern auftauchen. Nancy, lass uns starten.“

 

Mit einem leisen Surren erhoben sich die acht Raumschiffe und begaben sich in den Orbit des verseuchten Planeten. Schon nach wenigen Minuten war die Stratosphäre erreicht, die Fähren trennten sich. Allgemeines Raunen, die meisten der Worldonauten hatten noch nie einen Sternenhimmel gesehen. „Das ist wunderschön!“, rief Li begeistert, die Anderen nickten. „Mein Vater hat mir oft davon erzählt“, ergänzte Martin.

 

„Und nun, Nancy, drück nun den Portalknopf. Gleich werden wir die erste Parallelwelt erleben. Wir werden sehen, was passiert“, sprach der Kommandant. Er ließ sich nicht anmerken, dass er große Angst verspürte. Das hätte die Anderen unnötig beunruhigt. Man hatte die Order erhalten, jeweils fünf Welten zu erkunden. Das ergab insgesamt vierzig Möglichkeiten für alle Teams.

 

Nachdem Nancy dem Befehl gefolgt war, verschwand die Erde für einen Bruchteil einer Sekunde. Als sie wieder auftauchte, erblickten die Fünf eine riesige Eisfläche unter sich. „Nun, wir überfliegen gerade die Nordpolarregion. Kein Grund zur Beunruhigung“, erklärte die Pilotin und sagte weiter: „Fliegen wir Richtung Äquator.“

 

Enttäuschung machte sich breit. Bis auf einem schmalen Streifen war der ganze Planet ein einziger Schneeball. „Das war wohl ein Griff ins Klo!“, rief Alexandro aus. „Tja, so ist das wohl. Was auch immer bei dieser Erde dazu geführt hat: das lohnt sich hier nicht mit dem Rohstoffabbau“, stimmte Martin zu. „Na, ja, vier Chancen haben wir ja noch. Nancy, wir transferieren erneut“, befahl Malcolm.

 

Die nächste Welt erschien. Sie überflogen Südamerika. „Wow. Das sieht schon viel besser aus. Eine einzige Grünfläche!“, rief Nancy erfreut aus. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Nur noch wenige Bäume gab es in ihrer Welt. „Zoom mal näher ran, Nancy. Wir wollen doch sehen, was sich da unten so tummelt“, sagte der Geschichtsforscher. „Nur Wald, nur Wald, keine Siedlungen“, stellte Nancy fest, nachdem sie den Befehl ausgeführt hatte. „Die Menschheit scheint hier ausgestorben zu sein – oder es hat sie nie gegeben“, sagte Malcolm.

 

Sie überflogen weitere Teile dieser Erde. Nordamerika, Europa, Asien, Afrika, Australien – überall das gleiche Bild. Fast endlose Wälder bedeckten diesen Planeten, es gab kaum Wüsten. Alle waren hocherfreut, nur Martin hielt sich zurück mit seiner Freude. Er räusperte sich und sagte: „Ich will Eure Euphorie ja nicht bremsen, aber ist Euch nichts aufgefallen?“ Der Physiker antwortete: „Eine prachtvolle Flora, das müsste dir doch zusagen.“

„Ja, Alexandro. Das ist auch so. Aber – was ist mit der Fauna? Ich habe noch kein einziges Tier erblickt, nicht einmal Vögel. Lasst uns mal die Atmosphäre messen, ich habe da einen Verdacht.“

 

Die Pilotin drückte auf einen Knopf. Binnen Sekunden erschienen die Werte auf ihrem Bildschirm. „Sauerstoffgehalt fast 80 %, Stickstoff etwas über 18 %“, las sie vor. „Das ist viel zu hoch, das ist giftig für Menschen!“, stellte Li fest. „Und es ist gefährlich. Bei diesem Anteil an Sauerstoff breiten sich Brände explosionsartig aus.“

„Richtig, Li. Wir werden das mal austesten. Nancy, flieg bitte mal Richtung Ozeanien und guck dir eine kleine Insel aus.“

 

Ein Archipel erschien im Fenster, umgeben von azurblauem Wasser. Malcolm befahl, dass die Insel mit einem Laserstrahl beschossen werden sollte. Die Pilotin gehorchte. Der Strahl traf einen Baum und setzte diesen umgehend in Brand. Die darauf folgende heftige Explosion setzte binnen weniger Minuten die gesamte Insel in Brand. „Quod erat demonstrandum“, rief Li aus. Martin nickte und sagte: „Das ist zu riskant für den Abbau von Rohstoffen. Wir müssen wohl wieder transferieren.“

 

„Alle guten Dinge sind drei“, bemerkte der Kommandant nach dem erfolgten Transfer. Diesmal sahen sie keine Schneelandschaft und keine durchgehende Grünfläche, stattdessen einen wolkenverhangenen Himmel. „Willkommen zu Hause“, sagte Martin lakonisch. Malcolm warf ihm einen missbilligenden Blick zu und befahl den Sinkflug. Nach dem Durchstoßen der Wolkendecke erblickten sie einen riesigen Krater, darum herum einzelnen Ruinen, umgeben von dschungelartigem Bewuchs. „Das ist die Ostküste Nordamerikas“, erklärte Nancy. „Vermutlich New York, oder das was davon übrig geblieben ist“, ergänzte Malcolm. Die Pilotin führte eine Messung der radioaktiven Strahlung durch. Als der Kommandant die Werte studiert hatte, sprach er: „Nun, es dürfte klar sein, was hier passiert ist. Dieser Atomkrieg hat vor circa fünfundzwanzig Jahren stattgefunden, also als bei uns der Friedensvertrag mit China und Nordkorea geschlossen wurde und danach die Weltregierung und die Weltunion entstand. Das ist in dieser Welt offenbar schief gegangen. Verdammte Scheiße!“. Ein Überflug des restlichen Planeten bestätigte die Vermutung von Malcolm. Alle großen Städte waren zerstört, auf sämtlichen Kontinenten. Nur wenige Siedlungen gab es. Die Überlebenden waren nicht zu beneiden.

 

Unruhe breitete sich unter der Besatzung aus. Trotzdem wagten sie den vierten Transfer. Diesmal schien alles in Ordnung zu sein, kein Eisplanet, keine grüne Hölle, keine atomare Verseuchung. „Das sieht gut aus!“, rief Nancy aus, nachdem sie verschiedenste Messungen durchgeführt hatte. Sie ergänzte: „Saubere Luft, keinerlei Verseuchung, alles optimal.“

„Aber auch keine großen Städte, keine Industrie. Insofern wirklich ideal. Diese Welt ist der unsrigen um Jahrhunderte zurück“, frohlockte der Kommandant nach Auswertung der Bilder.

 

Auf dieser Erde hatte es niemals eine industrielle Entwicklung gegeben, die Menschen lebten wie im Mittelalter. Rohstoffe waren folglich reichlich vorhanden. Die Ausbeutung konnte beginnen.

 

Einst hatte die Schauspielerin Jane Fonda gesagt: „Wir gehen mit dieser Welt um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum.“ Nun war der Kofferraum geöffnet worden.

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Bildmaterialien: www.blog.gruuna.com
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2013

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