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Das Geheimnis ist der Teig

 

 

Giovanni war wütend. Wieder einmal war der Umsatz in seiner Pizzeria enttäuschend gering. Seit vor vier Monate um die Ecke „Bei Luigi“ eröffnet hatte, liefen ihm die Kunden weg. Dieser Luigi, der kein richtiger Italiener, sondern Sizilianer war, hatte ein dunkles Geheimnis, da war sich Giovanni sicher. Doch was war es? Das musste er unbedingt herausfinden.

 

Er beschloss, seinen guten Freund Martin, zu beauftragen, eine Pizza von seinem verhassten Konkurrenten zu holen. Martin war seit Jahren sein Stammkunde und einer der wenigen, die ihm treu geblieben war. Es konnte doch nicht sein, dass ihn ein Sizilianer ausstach! Die hingen doch nur alle mit der Mafia zusammen.

 

Als Martin mit der Pizza zurückkehrte, schnupperte Giovanni vorsichtig daran. Zugegebenermaßen roch sie gut, sehr gut sogar. Und sie schmeckte hervorragend. Es war die beste Pizza, die er je in seinem Leben gegessen hatte. Der Teig war dünn, aber nicht zu dünn und auf dem Punkt genau knusprig gebacken. Martin räusperte sich und sagte: „Also, Giovanni, ich muss sagen, ich weiß jetzt, warum Luigi so einen Erfolg hat. Dieser Teig ist einfach grandios. Da kannst du...“

„Ja, du hast ja Recht. Der Kerl hat es wirklich drauf. Ich dachte immer, dass nur Italiener gute Pizza backen können. Da habe ich mich wohl getäuscht.“

 

Verzweifelt versuchte Giovanni die Pizza zu kopieren. An dem Belag lag es nicht, Martin hatte Recht. Das Geheimnis war der Teig. Doch dieser bestand gewöhnlich nur aus Wasser, Mehl, Salz und Hefe. Aber auf die Mischung kam es an. Die von Luigi war perfekt.

 

Zwei Monate später. Giovanni stand kurz vor dem Ruin. Niemand suchte mehr seine Pizzeria auf, alle gingen nur noch zu Luigi. Es musste etwas geschehen. Doch was? Alle Versuche, Luigis Pizzateig nachzumachen, waren fehlgeschlagen. Um auf andere Gedanken zu kommen, entschied sich Giovanni dafür, sein Geschäft für heute zu schließen. Nicht einmal dreißig Euro hatte er eingenommen. Er nahm eine Flasche Lambrusco aus dem Regal, zog seinen Mantel an und ging in den Stadtpark.

 

Dort setzte er sich auf eine Bank, öffnete die Flasche und nahm einen tiefen Schluck. „Früher hättest du ein Glas genommen, Giovanni.“ Der Mann, der diese Worte sprach, saß neben ihm. Er war einfach so aus dem Nichts aufgetaucht. Ein Hüne mit schwarzen Haaren, sehr muskulös, seine Stimme war tief und hatte ein angenehmes Timbre. „Woher kennst du meinen Namen? Und wer bist du?“

„Ich weiß alles über dich – und ich kann dir vielleicht helfen. Es ist aber nicht umsonst.“ Der Fremde lachte. Er schnipste mit dem Finger. Eine Wolke tat sich über ihn auf, es roch eindeutig nach Schwefel. Als sie sich verflüchtigt hatte, sah Giovanni, dass der Mann eine Papierrolle in der rechten und einen Füller in der linken Hand hatte. „Unterzeichne diesen Vertrag und du bist deiner Sorgen ledig“, rief er aus. Wieder dieses Lachen. „Du erhältst dann das Rezept für den besten Pizzateig dieser Welt!“, ergänzte er. „Der Preis dafür ist nicht hoch, ich möchte lediglich eines dafür – deine Seele.“

„Dann bist du der Teufel?“

„Natürlich bin ich das. Ich habe viele Namen: Satan, Diabolo, Luzifer oder einfach nur: der Böse. Nenn mich wie du willst. Aber nun unterschreib endlich. Du willst doch das Rezept unbedingt haben, nicht wahr?“

 

Giovanni seufzte. Natürlich wollte er das. Aber seine Seele verkaufen? Der Preis war hoch, sehr hoch. Eventuell war das aber auch nur ein billiger Scherz, irgendwo war hier sicherlich eine versteckte Kamera. Giovanni gab sich einen Ruck und griff zum Füller. Er hielt jedoch kurz inne, hob einen Finger und sagte: „Gut, ich unterschreibe. Aber was geschieht, wenn ich den Vertrag nicht einhalte?“

„Das ist unmöglich. Ich habe immer bekommen, was ich wollte. Eher friert die Hölle zu, als dass mich jemand überlistet. Nun mach endlich! Ich habe nicht ewig Zeit. Der nächste Kunde wartet schon.“

 

Der Italiener nahm den Stift und unterzeichnete. Der Teufel lachte zufrieden und verschwand im nächsten Augenblick in einer Schwefelwolke. Giovanni schüttelte sich, nahm noch einen tiefen Schluck Wein und ging leicht verwirrt nach Hause. Als er am nächsten Morgen erwachte, war er davon überzeugt, alles nur geträumt zu haben. Aber am Backofen klebte ein kleiner, handgeschriebener Zettel. Es war das Rezept für einen Pizzateig. Sofort probierte er es aus. Das Ergebnis war überzeugend: Die Pizza schmeckte sehr gut, noch besser als die Luigi. Eifrig malte Giovanni ein großes Plakat und hängte es ins Schaufenster. „NEU. Probieren Sie unsere Pizza. Verbessertes Rezept. Heute alles kostenlos“, stand drauf.

 

Angelockt vom Duft näherten sich die ersten Leute. Nachdem sie gekostet hatten, waren sie begeistert. Die Pizza war köstlich, geradezu teuflisch köstlich. So geschah es, dass Giovanni binnen Kurzem nicht nur alle seine früheren Kunden zurückgewann. Er verzehnfachte seinen früheren Umsatz aus der Zeit, bevor Luigi seinen Laden eröffnet hatte. Aus der ganzen Stadt strömten nun die Gäste herbei, um Giovannis Pizza zu genießen. Besonders beliebt war die Pizza „Diabolo“ die mit Salami, Schinken, Paprika, Zwiebeln, Peperoni, Käse und Tomatensoße belegt war.

 

Zehn Jahre später. Giovanni war ein reicher Mann geworden. Er hatte fast einhundert Filialen im ganzen Land eröffnet. Giovanni stand seit langem nicht mehr selbst am Backofen, dafür hatte er seine Angestellten.

 

Zufrieden ging er, bekleidet mit einem teuren Maßanzug in den Park und setzte sich auf jene Bank, auf der damals gesessen hatte. Plötzlich nahm er einen Schwefelgeruch wahr. Wie aus dem Nichts war er aufgetaucht – der Teufel.

„Nun, Giovanni, so sieht man sich wieder. Es freut mich, dass du so einen Erfolg hast. Aber heute ist der Tag der Abrechnung gekommen. Du hast doch unseren Vertrag nicht vergessen?“ Giovanni schluckte. Er hatte das befürchtet. Jeden Tag in den letzten zehn Jahren dachte er an nichts Anderes. Daher hatte er sich eine List überlegt. „Nun, Teufel, ich möchte mich zunächst dafür bedanken, dass du mir geholfen hast, mir geht es in der Tat hervorragend. Ich möchte auch bezahlen, aber unter einer Bedingung. Du kannst meine Seele bekommen, wenn du mir eine Frage beantwortest.“ Der Teufel lachte und sagte: „Das ist doch lächerlich. Ich weiß alles, niemand kann mich austricksen. Du weißt doch – eher friert die Hölle zu, als dass das geschieht. Nun stelle deine Frage.“

„Nun, Teufel, wie lautet die letzte Ziffer der Kreiszahl Pi?“ Entsetzt schrie der Diabolische auf und schrie: „Du hast es geschafft. Du hast es geschafft.“ Eine Schwefelwolke erschien, der Boden öffnete sich und der Teufel verschwand darin.

 

So geschah es, dass die Hölle zufror. Sie war tiefgefroren – für alle Zeiten. Giovanni war jetzt der reichste Mann der Welt und wurde alsbald italienischer Ministerpräsident.

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Bildmaterialien: www.essen-und-trinken.de
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2013

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