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Die Geschäftsidee

 

 

Aufgeregt betrat Walter die Gaststätte „Zur Sonne“ in Bad Lauterberg. „Kurt, komm mal schnell nach draußen!“, rief er und gestikulierte wild.

 

Gemächlich folgte der Wirt seinem Stammgast. „Siehst du, Kurt, da oben!“ Er deutete auf das Firmenschild der Kneipe. Es sah aus wie immer, aber in der Mitte fehlte etwas – die goldene Sonne. „Die war gestern noch da“, stellte der Gastronom fest und runzelte die Stirn. „Dann muss die jemand über Nacht heimlich abmontiert haben, Kurt!“

„Das ist eine große Sauerei, Walter. Seit zweihundert Jahren hängt dieses Ding da oben, es ist unser Firmenzeichen. Ich werde gleich zur Polizei gehen.“

 

Am nächsten Tag berichtete der „Harzexpress“, die größte Zeitung im Südharz ausführlich mit vielen Fotos von der Geschichte. Kurt kopfschüttelnd, Kurt mit Tränen in den Augen, Kurt mit wütendem Blick. „Die Sonne war zwar nicht wertvoll, aber sie war ein Symbol. Der ideelle Wert ist ungleich höher“, wurde er zitiert.

 

Zwei Tage später rückte das Fernsehen an. So wurde der Fall bundesweit bekannt. Dem Umsatz von Kurt tat die Sache gut, sehr gut sogar. So viel hatte er seit Jahren nicht mehr umgesetzt, auch nicht als vor Jahren in seinem Lokal ein Tatort gedreht worden war. Die Leute reisten von weit her an, man sah Autos aus Braunschweig, Hannover und Kassel.

 

Eine Woche ging ins Land. Dann ging beim Harzexpress ein Bekennerschreiben mit einem Foto des mutmaßlichen Täters ein. Er war maskiert und hielt in der einen Hand eine Bierflasche, in der anderen die Sonne. „Ich habe, was Ihr wollt. Wollt Ihr es wieder haben, müsst Ihr jedem Alkoholiker aus Südniedersachsen fünfzig Flaschen Bier spenden“, hieß es in dem Brief, der aus Zeitungsausschnitten zusammengeklebt war.

 

„Das ist kein Spaß, wir nehmen den Fall ernst“, verkündete die Polizei und Kurt betonte, dass er sich nicht erpressen lassen wolle. Doch schon am nächsten Tag erklärte er gegenüber der Presse, dass er jeweils vierzig Sets mit sechs regionalen Bierspezialiäten an dreißig soziale Einrichtungen stiften wollte. Das fand großen Beifall und steigerte seinen Umsatz noch mehr.

 

Zufrieden ging Kurt in seinen Keller und hob vorsichtig die Plane hoch, nachdem er sich davon überzeugte hatte, dass ihn keiner sah. Liebevoll streichelte er die Sonne. „Das war die beste Geschäftsidee, die ich je hatte“, sprach er zu sich. Allerdings ging die Berichterstattung manchem auf dem Keks.

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Bildmaterialien: www.savoirvivre.de
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2013

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