Als ich achtzehn Jahre alt wurde, hatte ich keinerlei Ambitionen, den Führerschein zu machen. Wozu auch? Ich erreichte meinen Ausbildungsplatz und meine Berufsschule bequem mit der Straßenbahn oder dem Fahrrad. Das Geld dafür wäre zwar vorhanden gewesen, aber ich wollte einfach nicht. Da war ich trotzig.
Doch dann kam ich 1982 zur Bundeswehr, stationiert war ich in Munster in der Lüneburger Heide. Drei deutsche, eine belgische und zwei britische Kasernen – sonst war da nichts los. Die Fahrten in den Zügen der Bundesbahn zum und von meinem Dienstort waren wenig erbaulich: saufende und grölende Kameraden, die sich so peinlich benahmen, dass ich mich fremdschämte. Ganz besonders schlimm war es in dem Soldaten-Sonder-IC, der sonntagabends direkt von Hannover nach Munster fuhr. Ansonsten musste man in Uelzen umsteigen.
So geschah es, dass ich mich im Oktober dieses Jahres, doch entschloss, den „Lappen“ zu erwerben. In Munster gab es seinerzeit etwa fünf Fahrschulen, ich wollte die preiswerteste aussuchen. Doch als ich bei der allerersten vorm Schaufenster stand und die Preise notierte, kam freudestrahlend ein Mann heraus, der eine frappierende Ähnlichkeit mit Robin Williams hatte (nein Mädels: Robin!!! Nicht Robbie!). Er sprach mich an: „Nun, möchte der junge Mann einen Führerschein machen?“. Das wollte ich bekanntermaßen. Ehe ich mich versah, hatte ich den Vertrag unterschrieben, der Herr war recht eloquent.
Kurze Zeit später hatte ich meine erste Fahrstunde. Ich war sehr aufgeregt! Da stand er nun: der rote Golf. Klopfenden Herzens stieg ich ein. Das Anschnallen funktionierte noch perfekt, doch dann begann der schwierigere Teil des Unternehmens. „So, Herr März, ein wenig Gas geben und die Kupplung gaaaaanzzz langsam kommen lassen.“ Das hörte sich einfacher an, als es war. Nach fünfmaligem Abwürgen hatte ich es geschafft – der Motor lief. Herr Weber, mein Fahrlehrer, war zufrieden. „Sooooo, nun Blinker raus, und dann ganz vorsichtig herausfahren, nachdem wir uns davon überzeugt haben, dass die Fahrbahn frei ist.“ Puhh, so viele Dinge auf einmal beachten. Und welche der vielen Hebel war noch einmal der Blinker? Doch dann gelang es mir, der Wagen rollte – ich fuhr. Nun war Munster nicht gerade ein Verkehrsknotenpunkt, aber dennoch waren einige andere Fahrzeuge unterwegs. Mir stand der Schweiß auf der Stirn. Dann näherten wir uns der ersten Ampel, zum Glück war sie grün. Auch die zweite kurz vorm Kino zeigte freie Fahrt, doch gleich darauf war es soweit: Rotlicht! „Langsam bremsen, langsam bremsen!“, rief Herr Weber. Das gelang mir nicht besonders gut, ich würgte den Motor ab. Immerhin stand das Auto.
So ging die Zeit dahin. Der erste Schnee fiel, der Winter kam recht früh. Meine „Spezialität“, das Einparken, war nun noch komplizierter geworden. Es gab ja noch keine Servolenkungen. Und dieses „Hinten auf das kleine Klappfenster gucken“ wollte in Verbindung mit Lenken, Gasgeben und Bremsen nur recht selten ein erfreuliches Ergebnis bringen. Wie liebte ich dagegen Parktaschen, in man von vorne direkt hineinfahren konnte. Aber auch da meinte Herr Weber, dass ich rückwärts einparken sollte. Grrrrr!!!
Ach, wie schön, waren dagegen die Fahrten auf der Landstraße nach Soltau, kein Stress, wenig Verkehr, meistens schnurgerader Straßenverlauf. „Das mögen Sie, nicht wahr, Herr März?“, bemerkte der Fahrlehrer trocken. Mit seinem Grinsen ähnelte er seinem prominenten Ebenbild umso mehr. „Möchten Sie einen Bonbon?“ Er reichte mir einen Campino, natürlich verpackt. Das war gleichzeitig ein Test. Würde ich ihn einstecken oder ihn auswickeln? Ich versuchte Letzteres, was mir auch gelang. „Hätten Sie jetzt Ihre Prüfung, wären Sie durchgefallen! Nicht ablenken lassen. So, jetzt überholen wir mal diesen Trecker da vorne.“ Todesmutig näherte ich mich dem landwirtschaftlichen Nutzfahrzeug. Immerhin war schon meine fünfundzwanzigste Fahrstunde. Andere hatte da schon längst ihren Führerschein. Bei mir war daran noch nicht zu denken, was allmählich zum Gespött meiner Kameraden, meiner Freunde und auch der anderen Fahrschüler führte. Jedenfalls hatte ich aufmerksam den Gegenverkehr beobachtet, meine Geschwindigkeit beschleunigt, und gerade den Blinker gesetzt, als der Traktor rechts in einem Feldweg abbog. Glück gehabt! Aber irgendwann lernte ich auch das.
Anfahren am Berg. Wie gut, dass Norddeutschland so flach ist. So blieb mir das erspart. Aber nein, Herr Weber war pfiffig und erfahren. Es gab doch tatsächlich nahe Soltau einen Baumarkt, der einen tiefergelegten Parkplatz hatte. Nun, die Ausfahrt, war wahrlich kein Berg, nicht einmal ein Hügel. Immerhin gab es eine circa 20%ige Steigerung. Es reichte, um mich ins Schwitzen zu bringen. Ich schwor, sollte ich irgendwann doch den Führerschein erworben haben, niemals mit meinem Auto die Norddeutsche Tiefebene zu verlassen. Südlich von Hannover (Deister und Vorharz) befinden sich nämlich schon wahre Serpentinen!
Jeden zweiten Donnerstag im Monat verkündete Herr Weber nach dem theoretischen Unterricht, welche Schüler er zur Prüfung anmelden wollte. Niemals fiel mein Name, nicht nach der dreißigsten, nach der vierzigsten, nach der fünfzigsten Stunde. Die ganzen Sonderfahrten (Überlandfahrt, Autobahnfahrt, Nachtfahrt) hatte ich längst hinter mir. Ich malte mir aus, dass mein Fahrlehrer von all dem Geld, welches er schon an mir verdient hatte, den Ausbau seines Hauses sowie einen mehrwöchigen Urlaub auf die Seychellen plante.
Ach, ja, die Theorie, das war überhaupt kein Problem für mich, auch wenn mich der Mann mit dem Handkarren, der sich an einer nicht durch Verkehrszeichen geregelten Kreuzung näherte immer amüsierte. So etwas war doch völlig unrealistisch.
Fahrstunde fünfundsechzig. Heute lief alles optimal. Sogar das Einparken klappte. Herr Weber war begeistert. Knapp fünf Monate war ich nun schon dabei. Meine Ersparnisse waren zusammengeschmolzen. So war ich hocherfreut, als ich einer derjenigen war, dessen Name als Prüfling benannt wurde.
Zwei Wochen später. Der große Tag – meine Fahrprüfung! Der Prüfer erwies sich als echter Stinkstiefel, einer jener Menschen, die zum Lachen in den Keller gehen. Das war kein gutes Omen. So kam es dann auch, dass ich ziemlich nervös war. Es kam zum „Rückwärts in die Lücke Einparken“. Doch der Prüfer schien nicht zufrieden. Er öffnete seine Tür. „Schauen Sie mal, wir stehen einen halben Meter vom Bürgersteig entfernt. Das Ganze noch mal bitte!“, sagte er forsch. Ich fuhr heraus – und vergaß das Blinken. Zack, das war es! Durchgefallen.
Frustriert und zähneknirschend musste ich allen Kameraden und Freunden von dem Ergebnis berichten. War das peinlich…
Doch die Wiederholung vier Wochen später verlief viel besser, der diesmalige Prüfer war viel netter. So konnte ich am 29.03.1983 endlich den begehrten grauen Lappen in den Händen halten. Übrigens ist mir bei der zweiten Prüfung kurz vor Schluss auch noch der Mann mit dem Handkarren an einer nicht bevorrechtigten Kreuzung begegnet. Was haben wir gelacht.
Fast dreißig Jahre sind seitdem vergangen. Entgegen allen Prognosen fahre ich seitdem unfallfrei. Manche Dinge brauchen halt länger.
Bildmaterialien: www.alleszumbacken.de
Tag der Veröffentlichung: 29.01.2013
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