13. Juni 2009
Ein Traum wurde wahr. Ich hatte mir ein Wohnmobil gemietet und war damit durch quer durch die U. S. A. gedüst. Besonders der Süden hatte es mir angetan, vor allem Texas. Da gab es selbst in den winzigsten Ortschaften eine Country-Bar. Ich liebe diese Musik, auch wenn ich selber weder singen kann, noch ein Instrument spiele.
Als ich an dem Abend dieses Tages auf der Route 10 auf der Fahrt von Houston nach San Antonia in Forpertown, einem richtigen Kaff, ein Zimmer in einem schäbigen, heruntergekommenen Motel mietete, erblickte ich nur wenige Meter daneben das „Old Texas“, das mich mit seiner blau-rot-weißen Leuchtreklame lockte. „Cold Beer only 2 $“ – das war recht günstig. Ich trat ein. Musik von den Eagles war zu hören. Das war schon einmal sehr gut. Als die ersten Takte von „New Kid in Town“ erklangen, setzte ich mich an die Bar und orderte ein großes Bier, das natürlich mit Eiswürfeln serviert wurde. Ein paar Hocker weiter erblickte ich eine hübsche, junge Frau mit langen, schwarzen Haaren. Sie trug dunkelbraune Lederkleidung.
„High, Cowboy“, rief sie mir zu. Sie lächelte. „Bist du neu in dieser Stadt?“, wollte sie wissen, wohl in Anspielung auf den Song. Du schaust ihr in die Augen, die Musik setzt ein. Hoffnungslose Romantiker – alles läuft noch Plan – so heißt es in der Übersetzung. Das passte hundertprozentig. Ihre Augen waren bernsteinfarben, und ich schaute tief hinein. „Nun, Kater, der du neu in der Stadt bist, lass uns noch einen Drink nehmen“, sagte sie. Die junge Dame stellte sich als Mandy vor. Sie kam aus Luling, der Ort lag gut zwei Autostunden entfernt von Forpertown. Als sie hörte, dass ich aus Deutschland kam, und hier Urlaub machte, wurde sie neugierig. Ich erzählte ihr mehr von meiner Heimat, meinem Beruf und meiner Familie. Sie wollte alles wissen.
Etliche Drinks folgten. Ich trank sogar Bourbon, obwohl ich diesen eigentlich verabscheute.
14. Juni 2009
Ich erwachte mit einem tierischen Brummschädel in meinem Motelzimmer. War das eine Nacht! Ich streckte meine Hand aus und spürte neben mir etwas Nacktes. Es fühlte sich kalt an. Da war noch etwas – es war feucht. Entsetzt riss ich die Augen auf. Neben mir lag Mandy – blutüberströmt und offensichtlich mausetot. Panik überfiel mich. Was war geschehen? Es klopfte. Eine laute Stimme forderte mich auf, die Tür zu öffnen. Ich folgte. Ein Mann in einer Sheriffs-Uniform stürmte hinein, erblickte die Leiche und warf mich augenblicklich zu Boden. Handschellen klickten.
28. Juni 2009
Zwei Wochen saß ich nun schon in Untersuchungshaft. Ich wusste nicht, was passiert war. Ein totaler Black-out. Tatsache war, dass Mandy tot war. Sie war mit mehreren Messerstichen ermordet worden. Ich war der einzige Tatverdächtige. Hatte ich den Mord tatsächlich begangen? Wenn ja, warum? Es gab doch keinerlei Grund dafür.
04. Januar 2010
Ich war überzeugt davon, dass ich nicht der Täter war, trotz der fehlenden Erinnerungen. Das nützte mir nichts. In dem Indizienprozess hatten mehrere Zeugen ausgesagt, dass ich an dem Abend intensiv mit Mandy geflirtet hatte und sie danach mit auf mein Zimmer nahm. So weit, so gut. Der Motelbesitzer, ein schmieriger, dickbäuchiger Mann von Ende fünfzig, erklärte, des Nachts seltsame Schreie aus meinem Zimmer gehört zu haben. Er hatte sich jedoch nichts dabei gedacht und nicht eingegriffen. Alle Geschworenen waren sich daraufhin einig, dass ich der Mörder war. Das Gericht verurteilte mich zum Tode.
24. August 2010
Mein Fall wurde in Deutschland bekannt, in der Presse und im Fernsehen wurde darüber berichtet. Nicht jeder war mir wohlgesonnen. Auch in meiner Heimat hielten mich viele für einen Mörder. Aber immerhin hat sich Amnesty International eingeschaltet. Mir bleibt etwas Hoffnung. Sie haben mir gesagt, dass ich nächste Woche nach Huntsville Unit verlegt werden soll. Das ist der einzige Ort, an dem in Texas Todesurteile vollstreckt werden.
24. Dezember 2010
Weihnachten. Ich habe ein Paket von meiner Mutter bekommen mit Lebkuchen, Stollen und anderen deutschen Spezialitäten. Barney, der leicht schwachsinnige Insasse aus der Nachbarzelle, mit dem ich mich angefreundet habe, hat einen Großteil abbekommen. Er hat ansonsten niemanden, der sich um ihn kümmert. Angeblich soll er ein kleines Mädchen getötet haben. Ich habe meine Zweifel. Barney hat einen IQ von 78, schätze ich. Er sitzt schon vier Jahre ein.
03. Mai 2011
Barney hat die ganze Nacht geweint. Seine Begnadigung wurde abgelehnt. Nächsten Monat ist es für ihn so weit, dann hat er seinen Termin. Er spürt schon den Geruch des Todes.
03. Juni 2011
Gestern haben sie ihn hingerichtet. Er hat geschrien, als er in dem Raum mit der Todesspritze verbracht wurde. Wir haben es alle gehört. Fast zwei Jahre bin ich schon inhaftiert. Verdammte Scheiße.
14. Juni 2012
Drei Jahre hinter Gittern. Immer wieder muss ich an Filme denken, die ich früher sah, z.B. „The Green Mile“ oder „Die Verurteilten“. Die Wirklichkeit ist noch viel schlimmer. Morgen soll ein junger, engagierter Anwalt sich meinem Fall annehmen. Das bringt doch alles nichts.
18. Juni 2012
Mr. Barker, der Anwalt, ist wirklich gut. Er will eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Ihm ist aufgefallen, dass ich Linkshänder bin, der Mord wurde jedoch von einem Rechtshänder begangen. Niemand hat das zuvor bemerkt.
24. Dezember 2012
Mein drittes Weihnachten hier. Der Gouverneur hat die Wiederaufnahme abgelehnt, warum auch immer. Ich bin verzweifelt. Mein Hinrichtungstermin ist der 21. Januar 2013.
14. Januar 2013
Ich zittere vor Angst. Mir bleibt nur noch eine Woche. Die Bundesrepublik Deutschland interveniert in meinem Fall. Sollte auch dieser Versuch scheitern, soll dieses Dokument belegen, dass in diesem Land, das sich die Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat, ein Unschuldiger für eine Tat büßen musste, die er nicht begangen hat. Ich werde es Barker übergeben.
21. Januar 2013, 15.30 Uhr
Meine Henkersmahlzeit wird gleich serviert, ich habe mir rheinischen Sauerbraten mit Knödel gewünscht. In vier Stunden ist es soweit. Dann werde ich hingerichtet. Ich spüre den Geruch des Todes.
21. Januar 2013, 17.30 Uhr
Das ist mein letzter Eintrag in diesem Dokument. Das Essen hat überraschend gut geschmeckt. Wäre es anders gewesen, wäre es mir auch egal gewesen.
--------------------------------------------------------------------------------
21. Januar 2013, 19.29 Uhr
Dreißig Sekunden vor der geplanten Hinrichtung des deutschen Michael R. wurde diese durch einen Anruf des Gouverneurs gestoppt. In Forpertown hatte es letzte Woche in dem Motel einen weiteren Mord gegeben. Er ähnelte dem von vor dreieinhalb Jahren frappierend.
25. Januar 2013
Der Motelbesitzer hatte beide Morde sowie drei weitere in den letzten zwölf Jahren gestanden. Michael R. wurde freigelassen. Ihn erwartet eine Haftentschädigung in Millionenhöhe.
Bildmaterialien: www.adpic.de
Tag der Veröffentlichung: 21.01.2013
Alle Rechte vorbehalten