Ramona war wütend und traurig zugleich. Gerade hatte sie erfahren, dass ihre Suppenküche zum Ende des Jahres endgültig schließen musste. Der Rat der Stadt hatte das beschlossen. Das Geld war knapp, das war ihr klar. Aber warum musste ausgerechnet hier gespart werden? An anderer Stelle wurde so viel verschwendet. Da war die alte, historische Brücke, deren Geländer für eine sechsstellige Summe von einer Spezialfirma saniert wurde. Wenige Jahre später überlegte man sich, dass der Fluss aufgrund von Hochwasserschutzmaßnahmen verbreitert werden musste. Die Brücke war zu kurz und wurde abgerissen.
Solche Dinge regten Ramona auf. Hier in dem Neubaugebiet lebten viele Kinder, deren Eltern ihnen keine warme Mahlzeit bieten konnten. Doch in der „Suppenküche“ bekamen sie das. Der Name hatte sich so eingebürgert, obwohl er nicht ganz korrekt war. Es gab dort nicht nur Suppe, sondern komplette Hauptgerichte, und sogar manchmal Nachtisch. Oft servierte sie Nudeln mit Tomatensoße, das liebten die Kleinen. Die Lebensmittel waren Spenden von Supermärkten. Die Haltbarkeitsdaten waren immer kurz vor dem Ablaufen, aber das machte nichts. Das war alles noch essbar und viel zu schade zum Wegwerfen. Aber die Miete für den Raum und Ramonas Gehalt musste von der Stadt bezahlt werden. Das war denen jetzt zu teuer.
„Mach doch eine Protestaktion!“, hatten ihr die Eltern geraten. Man wollte mit Plakaten und ein paar Kindern vor das Rathaus ziehen und auf die Sache aufmerksam machen. Auch die Presse sollte eingeschaltet werden, vielleicht sogar das Fernsehen. Möglicherweise half das ja. Ein halbes Jahr verblieb noch.
Fünf Monate später. Überall in Deutschland öffneten die Weihnachtsmärkte. Ramona war aber nicht weihnachtlich zu Mute. Die Berichte über die Schließung ihrer Tafel hatten zwar große Aufmerksamkeit gefunden, aber letztendlich hatte das doch nichts genutzt. Ende Dezember wurde die Suppenküche dicht gemacht. Doch am ersten Weihnachtstag sollte es noch einmal ein Festmahl für die armen Kinder geben. Dank weiterer Spenden wohlhabender Bürger konnte Ente, Rotkohl und Klöße aufgetischt werden. Die zunächst vorgeschlagene Gans wurde verworfen, weil das den Kindern meistens eher nicht schmeckte. Auch das Problem der fehlenden Bratröhren konnte gelöst werden. Umliegende Gastronomen stellten diese zur Verfügung.
Es sollte noch einmal ein schönes Fest für alle werden. Jedes Kind sollte darüber hinaus ein kleines Päckchen mit Süßigkeiten und einem Spielzeug erhalten. Einige Prominente hatte sich gemeldet und wollten beim Servieren helfen. Ramona standen die Tränen in die Augen, der Abschied fiel ihr schwer. Achtzehn Jahre hatte sie hier gearbeitet, einige Kinder von früher hatten selbst schon Nachwuchs. Nur wenige von ihnen hatten den Absprung geschafft. Wer einmal in so eine Siedlung gezogen war, blieb dort für sein Leben. Das war überall auf der Welt so.
Den Heiligabend hatte Ramona geopfert, um den Raum festlich zu dekorieren. Es sah wunderschön aus. Als sie fast fertig war, nahm sie am Fenster einen Mann in einem roten Mantel wahr und sie hörte ein leises Glöckchen. Kurz darauf pochte es an der Tür. Verwundert öffnete Ramona. Niemand war dort. Aber zu ihren Füßen fand sie einen großen Umschlag. Er war nicht beschriftet. Die Verwunderung wurde zu einer Überraschung. In dem Brief fand sie 20.000 Euro und einen Zettel. Dort stand: „Für die Suppenküche. W.“
Dank dieser großzügigen Spende eines anonymen Bürgers blieb die Einrichtung erhalten. Oder war es doch der Weihnachtsmann?
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Tag der Veröffentlichung: 22.12.2012
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Widmung:
Gewidmet all denen, denen es nicht so gut geht und denjenigen, die noch an Wunder glauben