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Olga geht es gut

 

 

Meine Großtante Olga wuchs wie ihre Geschwister in dem Ort „Grocholinger Forst“ (heute Gromaden) in Westpreußen auf. Das liegt in der Nähe von Lietzmannstadt, dem heutigen Lodz, also jetzt in Polen. Die Familie musste fliehen. Ein Teil der Geschwister kam nach Westfalen, wo meine Großmutter Margarethe schon in den zwanziger Jahren hingezogen war. Die anderen blieben im Osten hängen, hauptsächlich im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt.

 

So auch Großtante Olga. Sie verschlug es nach Halberstadt. Als Rentnerin besuchte sie uns regelmäßig, mindestens einmal im Jahr. Die DDR war ihre Heimat geworden, wie auch die ihrer Töchter und Söhne. Dieser Teil unserer Familie hatte es nicht geschafft, wie meine Großmutter Margarethe, Olgas Schwester, immer betonte. Die beiden waren sich nicht gerade freundlich zugetan. Meine Oma machte aus ihrer rechten Gesinnung keinen Hehl. Olga war hingegen umerzogen vom Arbeiter – und Bauernstaat. Mir selbst fiel das erstmals im Jahre 1974 auf, als wir gemeinsam fernsahen. Das berühmte Fußballspiel der beiden deutschen Staaten während der WM! Was keiner erwarten konnte, trat ein. Die DDR gewann mit 2:1. Der Kleine besiegte den Großen. Olga war außer sich vor Freude.

 

Als ich zwei Tage später meine Großmutter besuchte, musste ich mir gehässige Sprüche von ihr anhören. „Ist es Euch nie aufgefallen, dass sie schon zweimal auf Parteikosten in Moskau war? Auch dass sie Euch immer Baumkuchen, Figuren aus dem Erzgebirge und Halloren-Kugeln schickt ist merkwürdig. Das sind nämlich drüben Bückwaren. Und schon gar nicht verschickt man das einfach so nach dem Westen. Nur die, die diesem Scheißstaat dienen, kommen da problemlos ran“, echauffierte sie sich. Ich wusste nicht, was sie meinte. Den Baumkuchen liebte ich, und jedes Mal, wenn von Großtante Olga ein Paket kam, freute ich mich. „Sie hat doch überall rumgeschnüffelt, egal ob es Verwandte, Nachbarn oder Kunden waren!“, ergänzte meine Großmutter. Ihre Schwester hatte früher im Halberstädter Hauptbahnhof belegte Brötchen verkauft, das wusste ich. Alles andere verwirrte mich.

 

Wie konnte ich auch mit zwölf Jahren wissen, wie es in der DDR zuging? In der Schule lernten wir so etwas zu dieser Zeit nicht. Im Geschichtsunterricht hielten wir uns mit den alten Römern und Grichen auf. Und in unserem Fernsehen wurde das auch nicht gezeigt. Schon gar nicht im Fernsehfunk der DDR. Pittiplatsch, Schnatterinchen, Herr Fuchs und Frau Elster erzählten im Sandmännchen nichts davon. Die Bücher, die mir Großtante Olga schickte schon. Aber war das die Wahrheit? In einem dieser „Kinderbücher“ waren zwei Teddybären die Hauptpersonen. Sie besuchten Fischer an der Ostsee, Straßenbahnfahrerinnen in Ost-Berlin und auch Grenzsoldaten. Geschickt wurde dort Propaganda mit harmlosen Geschichten vermischt. Viel später wurde mir bewusst, was da ablief. Als ich in der 9. Klasse darüber ein Referat hielt, bekam ich dafür eine Eins.

 

Olga ging es gut in der DDR. Sie bekam alles, fast alles. Es waren eben ihre besonderen Beziehungen, die das ermöglichten. Die Grenzöffnung im Jahre 1989 erlebte sie nicht mehr, sie starb drei Jahre zuvor. Als das Gebäude der STASI von der Bevölkerung gestürmt wurde, wurden viele Akten vernichtet. So konnte dieses Familiengeheimnis nie wirklich gelüftet werden, obwohl alles, wirklich dafür sprach, dass es einen guten Grund gab, warum es Großtante Olga so gut ging.

Impressum

Bildmaterialien: www.wikipedia.org
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet denjenigen, denen es in der DDR nicht so gut ging wie meiner Großtante

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