Mein Freund Christian zog vor vielen Jahren nach Berlin. So freute ich mich sehr, als wir uns im Jahre 1985 wieder trafen, auch wenn der Anlass recht traurig war, denn Christians Vater war gestorben. Am Tag nach der Beerdigung verabredeten wir uns gemeinsam mit unserem Spezi Uwe und ein paar anderen Schulkameraden in einer Kleefelder Eckkneipe.
„Ach ja, wo sind die Jahre nur geblieben“, sinnierte Christian und nahm einen Schluck aus seinem Bierglas. „Nun sind wir schon Mitte zwanzig“.
„Du warst immer schon ein alter Sack!“, antwortete Uwe lachend. Gewissermaßen hatte er recht. Die Bezeichnung „Spaßbremse“ hätte allerdings besser gepasst. Ich lachte und ergänzte: „Uwe hat Recht. Aber wisst Ihr, was mir gerade so einfällt? Schaut mal auf dieses Schild.“ An der Wand hatte der Wirt eine alte Emailletafel angebracht. Sie stellte einen Mann vor einer Gartenpumpe da, der seine Hosentaschen herausgezogen hatte. Darunter stand „Hier wird nicht gepumpt“.
Uwe wusste sofort Bescheid, Christian offenbar nicht. Der Wirt guckte leicht irritiert, ebenso die anderen. Ich erzählte die Geschichte: „Nun, es war 1969, Uwe, Christian und ich waren alle sieben Jahre alt. Wir hatten uns zum Spielen im Wald verabredet. Damals gab es ja noch viele Wohnungen mit Kohleöfen und daher auch noch viele Händler dafür. Als wir bei Meyers Kohlenhandlung hier um die Ecke in der Kapellenstraße vorbei kamen, entdeckte wir etwas ganz Neues, was letzte Woche noch nicht dort stand. Es war eine Pumpe für Heizöl mit Fass. Sie stand rechts, gleich neben der offenen Eingangspforte und lockte uns. Uwe stürzte sich sofort darauf und rief begeistert: ´Mensch, guckt mal. Heute spielen wir nicht Cowboy und Indianer. Ich habe hier etwas Besseres.` Er ergriff den Stängel mit rechts und mit der anderen Hand die Zapfpistole…“
„Und dann ging es los“, ergänzte Uwe. „Ja, das hat richtig Spaß gemacht, aber dann…“ Jetzt erinnerte sich auch Christian und grinste.
Ich fuhr fort: „Nun die Pumpe war nicht nur nicht abgeschlossen, sondern auch unbewacht. Wir ergriffen nacheinander die Zapfpistole und bespritzten uns gegenseitig und auch die Hauswand. Das ging kinderleicht. Gespannt beobachteten wir den Verbrauch. Zehn Liter, zwanzig Liter, dreißig, vierzig. Als wir gerade kurz vor der fünfzig waren, ging gegenüber ein Fenster auf. Es war Frau Hubschmidt vom dritten Stock. Sie rief: ´Ihr Lausejungs! Was macht ihr da.` Wir lachten, aber liefen nicht weg. Die alte Frau hatte unterdessen bei Frau Meyer von der Kohlenhandlung angerufen. Nur wenig später stürzte diese hervor, laut schimpfend. Wir liefen alle davon.“
„Ja, erwischt hatte sie keinen von uns. Da waren wir doch schneller“, erklärte Christian. „Aber leider hatte sie uns alle erkannt und wusste auch wo unsere Eltern wohnten“, sagte ich. „Das gab dann doch richtig Ärger.“ Uwe fuhr fort: „Und auch eine mächtige Tracht Prügel. Teuer wurde es auch.“
„Richtig, zwanzig Mark mussten meine Alten löhnen. Dabei hätte es noch viel schlimmer kommen können, wenn das Zeug in den Gully gelaufen wäre“, pflichtete ich bei.
Jetzt grinste Christian über beide Ohren und hob die Hand. Er sprach: „Wir haben gar nichts bezahlt. Mein Vater wusste das besser. Zum einen waren wir viel zu klein, dass unsere Eltern haftbar gewesen wären. Zum anderen war die Meyer selber Schuld. Was lässt sie ihre Pumpe auch unbewacht und unabgeschlossen.“
„Auf deinen Vater, den Schlaufuchs. Siehst du, Uwe, wir waren zu doof!“, antwortete ich.
Vor ein paar Wochen habe ich mal wieder einen Rundgang durch meinen alten Stadtteil gemacht. Die Kohlenhandlung gibt es längst nicht mehr, aber auch die Eckkneipe ist seit Langem verschwunden. Die Zeiten ändern sich. Aber dieses Erlebnis hat sich eingeprägt und im BGB weiß ich heutzutage viel besser Bescheid. „Eltern haften für ihre Kinder“ – das gilt nur sehr bedingt.
Bildmaterialien: www.kiefer.de
Tag der Veröffentlichung: 29.10.2012
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