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Das Taxi des Schicksals

 

Es war sechs Uhr morgens New Yorker Zeit. Gerade war ich auf dem John F. Kennedy Flughafen gelandet. Gespannt erwartete ich die Ereignisse an diesem Tag. Ich hatte eine sensationelle Entdeckung gemacht, die die Zukunft der Menschheit verändern würde. Diese sollte ich heute Morgen um neun der Firma „Pandora“ vorstellen.

 

Nach dem problemlosen Auschecken, das ohne große Sicherheitskontrollen stattfand, stand ich schon eine halbe Stunde später am Taxistand. Der Taxifahrer namens José erwies sich als ausgesprochen redselig und neugierig. Vor drei Jahren war er aus Mexiko eingewandert. Die Mexikaner bezeichneten aber ihre Hauptstadt als México oder el D.F., während das Land selbst La República genannt wurde, berichtete José eifrig. Ich hatte das wirklich nicht gewusst, das war jedoch eine eher belanglose Information für mich. „Stört Sie die dicke Luft?“, wollte José wissen. „Nein, Sie können ruhig weiter rauchen“, antwortete ich prompt. „Das meinte ich nicht. Ich meinte diesen – wie sagt man noch – Smog.“

 

„Ach, so. Ja, das ist ehrlich gesagt schlimmer als erwartet. Ich war schon in Rom und in Athen, aber so arg wie hier war es dort nie. Aber ansonsten ist die Stadt wunderschön“, erklärte ich gelangweilt, aber höflich. Es war jetzt Viertel vor sieben, ich hatte noch reichlich Zeit.

 

Gerade als José zum nächsten Redeschwall ansetze, gab es einen großen Knall, der Wagen brach nach rechts aus. Mit Mühe konnte José das Fahrzeug abfangen. Er hielt an und stieg aus. Ich hörte ihn laut fluchen. Offenbar war ein Reifen geplatzt. Um die Fahrtkosten musste ich mir keine Sorgen machen, da es in New York üblich ist, dass die Taxis zu einem Festpreis vom Flughafen nach Manhattan fahren. Wohl aber sorgte ich mich um die Zeit und um meinen Termin. Ich wollte keinesfalls zu spät kommen. Aber ich konnte meinem Fahrer nicht helfen, dann ich wollte mich nicht schmutzig machen.

 

In Rekordtempo wechselte der Mexikaner den Reifen, um 7.30 Uhr konnten wir weiterfahren. Eine viertel Stunde später war Manhattan in Sichtweite, wir passierten den Holland-Tunnel. Plötzlich ging nichts mehr. Vor uns hatte es einen Unfall gegeben. Es gab einen Riesenstau. José fluchte erneut wie ein Rohrspatz, diesmal allerdings auf Spanisch.

 

Fast vierzig Minuten vergingen, ohne dass wir einen Zentimeter vorankamen. Der Mexikaner hatte mir unterdessen seine halbe Lebensgeschichte erzählt und mit zahlreichen Fotos seine Großfamilie vorgestellt. Um 8.25 Uhr ging es dann endlich weiter. Nun hatte ich noch fünfunddreißig Minuten Zeit, mein Ziel zu erreichen.

 

Die beiden Zwillingstürme waren schon von weitem zu sehen gewesen, nun stand ich um 8.44 Uhr erleichtert davor. Doch schon zwei Minuten später wich die Erleichterung purem Entsetzen, als das entführte Flugzeug in den Nordturm des WTC einschlug, ziemlich genau an der Stelle, wo „Pandora“ ihren Sitz hatte und eine viertel Stunde vor meinem Termin.

 

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Fast elf Jahre sind seitdem vergangen. Ich stehe ich am Ground Zero, wo nunmehr das neue World Trade Center gebaut wird. Es wird schöner und größer als sein Vorgänger. Tränen treten mir in die Augen, als ich an die Polizisten und Feuerwehrleute und an die zivilen Opfer in den Flugzeugen und den Bürotürmen denke, die bei dem Terrorangriff am 11.09.2001 ums Leben gekommen sind.

 

Das Schicksal wollte es, dass mir das erspart blieb. Meine Entdeckung, ist jetzt das 119. Element der Periodentafel und wird die Welt revolutionieren. Es ist leichter als Karbon oder Aluminium, ist stabiler als Stahl und in nahezu unerschöpflicher Menge auf der Erde vorhanden. In der Zukunft werden alle Fahrzeuge daraus gebaut werden, sie werden viel leichter werden, was den Energieverbrauch drastisch senken wird. Dazu kommt eine deutliche Senkung der Herstellungskosten.

 

Ein Taxi neben mir hupt. Ich erkenne den Fahrer. Es ist José. Er ist keinen Tag älter geworden. Um seinen Kopf erkenne ich einen Heiligenschein. Oder spiegelt sich da nur die Sonne?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 01.07.2012

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