Einmal im Jahr ist der Tag des Engels. Dann dürfen wir Himmelsbewohner menschliche Gestalt annehmen und für vierundzwanzig Stunden auf der Erde weilen. Wir dürfen dann sündigen, aber – und das ist das Gemeine – es darf nur eine einzige Sünde sein, diese jedoch beliebig oft.
Der genaue Tag ist für jeden Engel vorgeschrieben, Ordnung muss sein. Es ist jener Tag, an dem man seine Flügel bekam. Bekanntlich erhält man sie nicht sofort, wenn man an der Himmelspforte klopft, man muss sie sich erst verdienen.
Mein Tag des Engels ist der 28. Februar, damit habe ich ausgesprochenes Glück. Jene Mitengel, die an Weihnachten auf die Erde dürfen, sind weniger glücklich damit. Man könnte zwar meinen, dass unsereiner an diesen Tagen höchst willkommen ist, aber der Haken an der Geschichte ist, dass wir uns nicht zu erkennen geben dürfen. Mitengel Balthasar ist jedes Jahr frustriert, als leidenschaftlicher Spieler muss er immer lange suchen, bis er am 25. Dezember eine offene Spielhalle findet. Aus Spaß verkleidet sich Balthasar in manchen Jahren dabei als Osterhase. Das nützt ihm aber wenig.
Da habe ich es mit meiner Vorliebe für alkoholische Getränke ungleich leichter, zumal wenn man als zugewiesenes Gebiet Schweden hat. Dort trinkt man gerne, trotz der exorbitanten Preise.
Ich begab mich in jenem schicksalhaften Jahr 1986 in die Hauptstadt Stockholm, und hatte dort rasch Freunde gefunden. Mit Björn, Mattis und Bert, die ich Hauptbahnhof kennen gelernt hatte, gab es eine Sauftour ohne Ende, die nicht gerade preiswert war. Aber ich hielt meine drei Freunde aus, Petrus ist mit der Zuteilung unserer Mittel immer recht großzügig. Immerhin müssen wir 364 Tage im Jahr darben, uns auf Manna beschränken und auf unserer Wolke herumsitzen. Es ist aber nicht so, dass wir faulenzen! Wir müssen immer einen wachsamen Blick auf die Menschen werfen.
Aber zurück zu meiner Geschichte: Es war schon lange dunkel, als Björn in einer Kneipe in der Stockholmer Innenstadt plötzlich einen Revolver aus seinem Rucksack hervorholte. Mattis, Bert und ich waren entsetzt. Meine Pflicht als Engel gebot es, ihm die Waffe aus den Händen zu nehmen. „Duuu, weisssssst jaaaaa gaaarrrrr nicht waaaaaasss duuuuuuuuuu daaaaaaamit aaaaaanrichten kannst!“, sagte ich mahnend. „Komm, laaaaaasssss uns noch einen Schnaaaaaaaps trinken!“
„Skål“ riefen wir alle und bissen dann herzhaft in die Salami-Brote.
Mit der Pistole in der Hand verließ ich mit meinen drei Begleitern das Lokal. An der Ecke Sveavägen / Tunnelgatan musste Bert einem menschlichen Bedürfnis nachkommen. Er schickte sich an, dieses direkt an einem Laternenpfahl zu erledigen. „Dddaaasss machst duuuuuu nicht!“, rief ich aus und zückte die Waffe. Bert bückte sich, ich stolperte über ihn. Zwei Schüsse lösten sich und einer traf einen Mann, der in weiblicher Begleitung neben uns stand.
Er starb nicht sofort, aber einige Stunden danach in einem Krankenhaus, seine Frau wurde durch den zweiten Schuss leicht verletzt. Tragischerweise war dieser Mann jedoch der schwedische Ministerpräsident, Olof Palme.
Seitens des Himmels wurde alles getan, um das Ganze zu vertuschen. Ein Engel als Attentäter auf einen der berühmtesten Politiker – das durfte nicht sein. Das hätte eine Welle der Empörung hervorgebracht! Schließlich war es schon schlimm genug, dass zwei meiner Mitengel zuvor John F. Kennedy und Martin Luther King erschossen hatten.
So wurde diese Tat nie aufgeklärt, doch ich bekam meine Strafe für diese Sünde. Nie wieder durfte ich den Himmel zurück. In unwürdiger Haltung wurde ich in eine steinerne Statue verwandelt und stehe fortan bis zum heutigen Tage in einem Stockholmer Park, unweit des Ortes des Geschehens. Zumindest wurde der Vorschlag verworfen, dass ich auch noch einen Badeanzug trage und eine Bananen-Staude in der Hand halte.
Bildmaterialien: Anja Ollmert
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2012
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