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Peter und der Wolf

 

 

 

Manche Orte spielen im Schicksal eines Menschen eine Rolle, die prägend sein können.

 

Bei mir ist es das Theater am Aegi, in Hannover. Dieses wurde, nachdem es im Kriege zerstört wurde, als Filmerstaufführungstheater mit Extra-Bühne für Theater-Veranstaltungen wieder aufgebaut. Am 30. Dezember 1964 erlebte ich dort, als Dreijähriger, meinen ersten Kinofilm, nämlich „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Daran habe ich allerdings nur noch eine Erinnerung, und zwar jene Szene, wo die böse Königin das Herz des vermeintlichen Schneewittchens verspeist. Tragischerweise ist das Theater nach dieser Vorstellung bis auf die Grundmauern abgebrannt und eingestürzt. Verletzt wurde niemand. 1967 wurde das Theater wieder eröffnet. Allerdings diente es nun nicht mehr als Kino, sondern nur noch als Bühne für Musikveranstaltungen.

 

Danach hat man mir immer von dieser Katastrophe erzählt. Ob dieses nun der Grund für ein weiteres Ereignis in meinem Leben war, weiß ich nicht. Jedenfalls war es im Jahre 1970, als meine Schulklasse zusammen mit vielen anderen Drittklässlern der anderen Grundschulen Hannovers in eben dieses Theater geführt wurde. Wir sollten uns die Aufführung von „Peter und der Wolf“ ansehen und anhören, jenem musikalischen Märchen von Sergei Prokofjew, dass die meisten von Euch sicherlich kennen.

 

Das Stück ist besetzt mit Querflöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Hörnern, Trompete, Posaune, Pauken, Triangel, Tamburin, Becken, Kastagnetten, Trommeln und Streichern. Die meisten Instrumente sind einer Figur zugeordnet, nämlich dem Vogel, der Ente, der Katze, dem Großvater, dem Wolf, dem Peter und dem Jäger. Wer also gut aufgepasst hatte und der Handlung folgte, konnte durchaus wissen, welches Instrument welches war, und wie es klang.

 

Genau darum ging es im Anschluss an der Vorstellung. Es wurden Zettel und Bleistifte ausgeteilt. Danach taten alle Musiker so, als ob sie spielen würden, tatsächlich spielte aber nur ein Instrument, z.B. das Fagott, das den Großvater darstellte. Wir mussten ankreuzen, was gerade zu hören war. Das taten auch alle Schüler fleißig und mit Bedacht.

 

Danach wurden alle Zettel eingesammelt, und es gab eine Pause. Nach der Auswertung wurden wir wieder in den Saal hineingebeten, und das Ergebnis verkündet. Diejenigen, die am besten getippt hatten, wurden nach vorne gebeten und bekamen kleine Preise. Auch ich musste zu meiner Überraschung nach vorne, allerdings war das recht unangenehm, wie sich herausstellen sollte.

 

Ich stand als Einziger noch auf der Bühne, neben dem Leiter der Veranstaltung. Er sprach laut und deutlich folgende Worte: „Liebe Kinder. Nun noch etwas, dass nicht so schön ist. Einer Eurer Mitschüler hat es tatsächlich geschafft, nicht ein einziges Instrument richtig zu benennen.“ Er zeigte auf mich. Alle lachten. Ich lief puterrot an. War das peinlich!

 

Diesen Tag werde ich nie im Leben vergessen, es war so ziemlich das Schlimmste, was mir je passiert ist, weil ich so bloßgestellt wurde.

 

Ich beschloss „solche Musik“ nicht mehr zu mögen, es sollten sehr viele Jahre vergehen, bis sich das wieder geändert hatte. Im Theater am Aegi, dessen Akustik mittlerweile ausgezeichnet ist, habe ich dann noch viele, sehr schöne Veranstaltung erlebt, z.B. ein Konzert mit Carolin Fortenbacher und eines mit dem Glenn Miller Orchestra (die gibt es wirklich noch).

 

Doch diese äußerst unpädagogische Leistung des Veranstaltungsleiters hatte einiges in mir angerichtet, da ich noch lange Zeit unter dem Gespött meiner Klassenkameraden leiden musste.

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Texte: Alle Rechte beim Autor
Bildmaterialien: www.hdf.deutsches-filminstitut.de
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2012

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