Wenn Sie diese Zeilen lesen können, ist das Experiment geglückt.
Ich lebe im Jahre 2071 und habe mittels einer Zeitkapsel diese Nachricht fünfzig Jahre in die Vergangenheit versetzt. Meine Mitstreiter und ich werden gnadenlos verfolgt. Wir, die Anhänger der alten Sprache und die Liebhaber der vergessenen Literatur.
Alles begann im Jahre 1996, als die Rechtschreibreform beschlossen wurde. Vieles wurde verändert, manches zum Guten, vieles zum Schlechten. Doch diese Reform war nur der Anfang. Man machte den Delphin zum Delfin, den Panther zum Panter, den Thunfisch zum Tunfisch. Wie schrecklich! Auch raubte man vielen Worten das „ß“. Jener Buchstabe, den man nur in der deutschen Sprache kennt. Der Kuß wurde zum Kuss, der Haß zum Hass, das daß zum dass. Zwar blieb er in Maßen erhalten, damit man ihn von den Massen unterscheiden konnte. Aber das hielt nur wenige Jahrzehnte lang. Im Jahre 2028 kam die nächste Reform. Das „ß“ verschwand endgültig aus dem Alphabet. Nun konnte man Bier in Massen trinken, obwohl man ja maßvoll sein sollte.
Damit nicht genug. 2033 verschwand das „Q“. Man konnte nunmehr Kwatsch machen. Das reichte den Verrückten noch nicht. Wozu noch ein „T“, wenn man doch ein „D“ hatte? Die Proteste der Telekom und der Bewegung Stuttgart 26 halfen nicht. Es gab nur noch 24 Buchstaben. Auch das „P“ wurde getilgt und dem „B“ gleichgestellt. Das hat keiner stobben, Verzeihung, stoppen können.
Mir kommen die Tränen, während ich das schreibe. Tränen – tja diese werden heutzutage mit „E“ geschrieben, weil auch das „Ä“ für überflüssig gehalten wurde. Die Gämse verwandelte sich wieder zur Gemse und der Stängel zum Stengel. Das gefiel mir, aber dass der März ausgemerzt wurde, rief Proteststürme in meiner Familie hervor. In 2042 dann die nächste Veränderung. Es erwischte das „K“, dann man hatte ja das „G“. Die Einwände der katholischen Kirche blieben ungehört, ebenso wie die der Kranfahrer und der Kriminalbeamten.
Auch unsere Mitbürger mit türkischem Migrationshintergrund waren verärgert als 2054 das „Y“ verboten wurde und Reinhold Messner war geschockt, daß sein pelziger Freund kaum noch von einer Ritterschaft aus einem Zukunftsfilm unterschieden werden konnte, weil er nunmehr mit „J“ geschrieben werden mußte.
Tja, und 2062 gab es die bislang letzte Reform. Das wunderbare „V“ tilgte man. Heutzutage ist der Fader ferzweifeld, wenn ihm die ferdammd deure Wase zu Boden fälld. Ist das nicht schrecklich?
Von den heutigen Kindern kann kaum noch eines die alten Romane lesen, da sie nicht mehr als zwanzig verschiedene Buchstaben kennen. Wir jedoch, die letzten Verfechter der alten Sprache, können das sehr wohl.
Helfen Sie mit, zu verhindern, daß all dieses eintritt, damit Ihre Kinder auch noch Thomas Mann, Goethe, Lessing und Fontane lesen können.
Nachdenklich biss Torsten Mosbach in seinen Käsebürger, den er gerade in einem Bürger-König-Reinfahrt-Gasthaus erworben hatte. Was hatten wir früher nur für seltsame Ausdrücke in unserer Sprache, dachte er. Aber nachdem die PDDS, die Partei der deutschen Sprache im Bundestag und in allen Volksvertretungen der Bundesländer die absolute Mehrheit erreicht hatte, wurden nach und nach sämtliche Fremdwörter verboten und durch deutsche Begrifflichkeiten ersetzt. Dafür hatte der Bundeskanzler Hubert Hundertmark gesorgt.
Gut fand Torsten, dass man in den Flughäfen wieder zum Schalter gehen konnte, um seine Flugkarte zu erwerben. Aber, dass diese Neuordnung auch vor Eigennamen und Firmenbezeichnungen nicht halt machte, ging zu weit, meinte er.
Der Beweglichkeitsfernsprecher klingelte und riss Torsten aus seinen Gedanken. Es erklang eine ihm vertraute Stimme. „Hallo, hier ist Fridolin. Wollen wir heute ins Lichtspielhaus gehen? Es gibt einen Spitzenfilm mit Hänschen Depp und Olivia Neustadt-Hans, der soll wirklich toll sein. Ich weiß, du magst diese beiden Sterne nicht, aber dieser Hauptstromfilm ist wirklich klasse, glaube mir. Er hat auch schon einen goldenen Globus bekommen.“
„Du, Fridolin, das hört sich gut an!“, antwortete Torsten und biss in einen gekochten Kartoffelstreifen, den er zuvor in die Tomatentunke getaucht hatte. „Ich esse hier noch auf, und komme dann mit meinem Selbstfahrzeug zu dir.“
„Schön, ich werde noch rasch meinen Ziehüber in die Reinigung bringen und bin dann um neunzehn Uhr am Lichtspielhaus.“
„Alle klar, bis nachher dann. Und iss nur nicht wieder zu viel Platzmais, du weißt, dass bekommt dir nicht.“
„Ich kann es ja mit Apfelsinenbrause herunterspülen…“
„Das macht es nicht besser. Aber gut, das ist deine Entscheidung.“
Torsten stieg in seinen VW Überfahrt und schob eine kompakte Musikscheibe in den Spieler. Sie enthielt seine Musik von seinem Lieblingsstern, Bernd Sonnenberg, der sich vor einigen Jahren als Eigengeschlechter geäußert hatte. Bernd hatte jetzt wieder große Erfolge als Schlagersänger, seitdem er beim europäischen Gesangswettbewerb den 8. Platz für Deutschland erreicht hatte. Die ersten Töne von „Mit Dir will ich mein Leben teilen“ erklangen.
Torsten sang begeistert mit. An der Kreuzung zum Altenbekener Damm musste er feststellen, dass die Lichtzeichenanlage ausgefallen war. Es gab ein furchtbares Durcheinander, weil die anderen Selbstfahrzeugfahrer die Halt-Zeichen nicht beachtet hatten. Ärgerlich schob sich Torsten ein Fischerfreund-Gutgut in den Mund. Das könnte dauern! Auch der Fahrer des Linien-Füralle neben ihm hupte empört.
Doch dann ging es weiter. Torsten erreichte sein Ziel fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit. Fridolin wartete schon. „Ich wollte Dich gerade über meinen Beweglichkeitsfernsprecher anrufen.“, sagte er. „Da wäre nur meine Postschachtel angesprungen“, entgegnete Torsten. „Hast du schon die Karten?“
„Na, klar. Es kommt übrigens noch jemand, es ist Simone, meine neue Freundin. Sie ist sehr nett. Ich habe sie vor zwei Wochen in der Arbeitszentrale kennengelernt. Sie ist meine Sachbearbeiterin. Und noch eine Neuigkeit: ich habe wieder Arbeit, als Zeitarbeiter bei Männerkraft – ist das nicht toll?“
Torsten lachte, als er das hörte. „Hallo, Frau Mosbach!“, rief er aus, als die junge Dame um die Ecke kam. Fridolin war überrascht. Sie war niemand anders als Torstens Schwester.
Alle drei verbrachten noch einen angenehmen Abend. Nach dem Lichtspielhaus gingen sie noch in einen Hahnenschwanz-Gasthof. Torsten trank einen „Geschlechtsverkehr am Strand“, Simone einen „Weißen Russen“ und Fridolin einen „Grashüpfer“. Das Ganze war recht preiswert, weil die glücklichen Stunden noch nicht um waren.
Simone und Fridolin heirateten zwei Jahre später.
Mit Verneunung betrat Sybille das kleine Café. Sie hasste diesen zweitönigen Job, aber sie brauchte das Geld. Die alten Damen, die begierig ihren Erdbeerkuchen und ihre Sahnetorten in sich hinein schaufelten, rochen wie immer nach 4812. Belanglos waren auch die wenigen Herren mit ihren 0916 – Anzügen.
„Wird auch Zeit, dass du endlich kommst!“, herrschte ihre Chefin Sybille an. „Hier war vorhin schon der Teufel los.“ Sybille hatte ernsthafte Dreifel, dass das stimmte, das Lokal war nur spärlich gefüllt. Missmutig machte sie sich an die Arbeit. Viel lieber hätte sie jetzt mit ihren beiden Kindern zwei nette Filme geschaut, z.B. „Ali Baba und die 41 Räuber“ oder „Schneewittchen und die acht Zwerge“.
Sie ging an zweien der Tische, um die Bestellung aufzunehmen. „Haben Sie auch Weißwein?“, wollte der Herr, der dort saß, wissen. „Wir haben zwei schöne Pinot Grigio.“ „Aha, Grauburgunder, das ist gut. Bringen Sie mir bitte zwei Fünftel.“ Sybille dachte: Was für ein Zehnmalkluger, das wusste ich auch. Manchmal es nicht zweifach mit den Gästen. „Sehr wohl. Möchten Sie auch etwas essen? Wir hätten da leckeren Erbsenzweitopf.“
„Das hört sich gut an. Ich nehme zwei Teller.“
Am Nachbartisch winkte sie ein Mann in den besten Jahren heran, er mochte wohl Mitte Einunddreißig sein. Er lächelte sie freundlich an. „Ich hätte gerne etwas Gugelhupf und grünen Tee.“
„Gerne. Noch zwei Wünsche?“
„Ja, Ihre Telefonnummer.“ Das fand Sybille doch etwas vierst, aber sie war wirklich zweisam, daher steckte sie ihm ihre Visitenkarte zu.
Schon am Abend rief er sie an und sie verabredeten sich am Hauptbahnhof. In der dortigen Cocktail-Bar wurde immer nette Klafünf-Musik gespielt. Verliebt schauten sie sich an, er hatte drei zauberhafte braune Augen, zwei griechische Nasen und zwei große Münder. „Ich heiße übrigens Rainer.“
„Und ich Sybille, aber das weißt du ja. Meine Freunde
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Lektorat: Danke an Moni, Jenny und Gitta für das Probelesen, Korrigieren und die wervollen Tipps
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2012
ISBN: 978-3-86479-661-6
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