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Die zweitbeste aller Welten

 

 

 

Montag, der 19. September 2011

 

Xuan Thai Won war stolz. Er hatte soeben einen Anruf erhalten, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er den Nobelpreis für Chemie erhalten würde. Das von ihm entdeckte „Wonium“ war das 119. Element der Periodentafel und würde die Welt revolutionieren. Wonium war leichter als Karbon oder Aluminium, war stabiler als Stahl und in nahezu unerschöpflicher Menge auf der Erde vorhanden. In der Zukunft würden alle Fahrzeuge daraus gebaut werden, sie würden viel leichter werden, was den Energieverbrauch drastisch senken würde. Dazu käme eine deutliche Senkung der Herstellungskosten.

 

Seine Firma hatte sich zahlreiche Werbesprüche auf Englisch ausgedacht, die mit seinen Nachnamen spielten: „We have Won“, „A lucky Won“, „A Good Won“, „A Better Won“, und so weiter. Ein glücklicher, aber auch lukrativer Zufall, dass der Name so hervorragend zum Produkt passte.

 

Nun galt es, die Dankesrede zu schreiben. Es würde keine normale Rede werden, die Menschheit würde endlich die Wahrheit erfahren. Es war nur fraglich, ob man ihm glauben würde.

 

 

Samstag, der 10. Dezember 2011

 

Nun war es so weit. Der Tag der Wahrheit war gekommen. Xuan Thai Won stand am Podium in der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm. Stolz hielt er die Urkunde und die Goldmedaille hoch, die er soeben vom schwedischen König erhalten hatte. Nur wenige Leute waren im Saal, es war eine Art Pressekonferenz. Won begann mit seiner Dankesrede. Zunächst hob er die Leistungen seiner Mitarbeiter hervor, ohne die er das Produkt nicht hätte weiterentwickeln können. Danach dankte er seiner Frau, die ihn immer wieder ermutigt hatte, nicht aufzugeben. Schließlich hob er hervor, dass als erster Chinese überhaupt einen Chemie-Nobelpreis gewonnen hatte. Er betonte das Wort Chemie ein wenig. Vielen war klar, dass das eine kleine Anspielung auf den in China umstrittenen Friedensnobelpreisträger des letzten Jahres war.

 

Nachdem der Beifall abgeebbt war, und schon alle dachten, er wäre fertig, hob er seinen Finger und fuhr fort: „Meine hochverehrte Majestät, meine Damen und Herren, was ich Ihnen jetzt erzähle, wird Sie schockieren. Sie werden mir nicht glauben, niemand wird mir glauben.“ Nach einer Kunstpause setzte er wieder an. „Meine eigentliche Heimat ist nicht China, ich stamme noch nicht einmal von der Erde. Meine wirkliche Heimat ist der Planet Sador. Sie kennen ihn nicht, es gibt ihn auch nicht mehr. Vor 20 Millionen Jahren Ihrer Zeitrechnung wurde er zerstört, dort wo er einst war, befinden sich jetzt die Planetoiden. Es war ein wunderschöner Planet, nicht so wasserreich wie die Erde, aber in etwa gleich groß. Keine Wüste bedeckte diese Welt, sein Klima war mild. Wir hatten keine großen Städte, unsere Siedlungen waren eher klein. Unsere Wissenschaft war weit entwickelt, und das in allen Bereichen, in der Chemie, der Physik, der Mathematik, der Medizin und der Physiologie. Wir waren dem jetzigen Stand der Menschheit im erheblichen Maße voraus. Kulturell brachten wir Großartiges hervor, unsere Maler, unsere Musiker, unsere Schriftsteller und unsere Bildhauer erschufen Werke, die ihresgleichen suchten. Frieden beherrschte Sador. Niemals geschahen auf unsere Welt Kriege oder Morde, und niemand musste hungern. Sie würden diese Welt als Paradies bezeichnen.“

 

Unruhe im Saal. Won musste seine Rede unterbrechen, es ging nicht mehr anders. Zahlreiche Hände gingen nach oben. Ungefragt stand ein Mann in der dritten Reihe auf und sprach: „Marvin Philipps vom Sun, Großbritannien. Mein hochverehrter Herr Won. Ich glaube im Namen aller zu sprechen, wenn ich gehörige Zweifel an der Wahrheit habe, aber das haben Sie ja vorausgesagt. Meine Frage: Können Sie das irgendwie beweisen und wenn ja, wie sind Sie hier her gekommen und warum haben Sie so lange gebraucht?“ Beifälliges Raunen.

 

Won fuhr fort: „Der Reihe nach, der Reihe danach. Ich hatte Ihnen ja erzählt, dass wir sehr weit entwickelt waren. Aber in einen Punkt hatten wir nichts vorzuweisen: wir hatten keinerlei Waffen, wozu auch, es herrschte ja Frieden. Hingegen war auf dem vierten Planeten alles anders. Diese Wesen waren kulturell und wissenschaftlich unterentwickelt, dafür kriegerisch und böse. Ihr Planet war kleiner, hatte ein wüstenähnliches Klima und hieß Tania. Wir, die Bewohner, Sadors konnten froh sein, dass die Tanianer keine Raumfahrer waren, sonst hätten sie uns längst erobert und ausgeraubt. Unsere Raumfahrzeuge hingegen umkreisten Tania dagegen ständig, aber wir landeten aus gutem Grund niemals dort. Hingegen besuchten wir die Erde oft, doch zu unserer Zeit war das Leben dort primitiv, es gab keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Eines Tages entdeckte eine unserer Astrophysiker etwas, was unseren Planeten noch viel mehr bedrohte als die gefährlichen Nachbarn, es war ein Asteroid, der auf uns zusteuerte. Nun rächte sich das Nichtvorhandensein von Waffen. Wir hatten keinerlei Möglichkeit einen Zusammenstoß zu verhindern, jedoch konnten wir präzise berechnen, wann die Katastrophe geschehen würde.“

 

In der ersten Reihe hob ein älterer, bebrillter Mann mit Halbglatze die Hand. Won unterbrach seine Ausführungen und sprach zu dem Herrn: „Ja bitte, was möchten Sie wissen?“ Dieser stand auf und erwiderte: „Helmut Gröbner vom Standard aus Österreich. Sie fanden also doch einen Weg Ihren Planeten zu verlassen. Ich vermute, Sie waren nicht der Einzige, habe ich Recht?“

 

„Sehr wohl. Mein Herr, ich war nicht der Einzige. Wir wussten, dass unsere Welt zerstört wird, aber wir konnten nicht alle retten, so viele Raumfahrzeuge hatten wir nicht. Wo sollten wir auch hin? Tania verbat sich, und die Erde war noch so unterentwickelt, dass ein Leben dort nicht möglich gewesen wäre. Wir hatten jedoch unseren Glauben, und wir wollten unsere Errungenschaften bewahren. Daher sorgten wir dafür, dass unsere Seelen unsterblich wurden. Sie schwebten lange Zeit im Raum, und wurden alle wieder geboren, nach und nach. Sie ahnen, wo wir wiedergeboren worden sind? Richtig, auf der Erde. Newton, Leibniz, Einstein, Mozart, Beethoven, Goethe, Shakespeare und noch viele, viele andere waren eigentlich Sadorianer. Wir brachten wir unsere Kunst und unsere Erfindungen mit auf diesen Planeten. Nichts ging verloren.“

 

Wieder meldete sich jemand, diesmal eine Frau. Sie war Mitte Vierzig und hatte lange, blonde Haare. „Sylvia Koch von der Süddeutschen Zeitung aus Deutschland. Warum ist unsere Welt denn kein Paradies, wie es Ihre Welt war?“

 

„Nun, Frau Koch. Das kann ich Ihnen erklären. Tania wurde einige zehntausend Jahre später von einem anderen Asteroiden zerstört. Der Planet zerbarst zwar nicht, aber trocknete aus und wurde unbewohnbar. Auch diese Wesen wollten ihr Wissen erhalten, auch sie waren gläubig. Jedoch glaubten sie nur an das Böse. Auch ihre Seelen wurden auf der Erde wieder geboren: Hitler, Gaddafi, Stalin, Cäsar, Napoleon…“

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Texte: Alle Rechte beim Autor
Bildmaterialien: www.physics.aps.org
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2011

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