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Es wird sich schon alles richten

 

 

Elfriede Mosbach war hocherfreut, als sie das Schreiben der Firma Gerber in den Händen hielt. In großen Buchstaben stand dort: „Vervierfachen Sie Ihren Lottogewinn“.

 

Elfriede war zeit ihres Lebens leichtgläubig. Für sie war es einfach unvorstellbar, dass sie belogen wurde. Das hatte ihr zwar oft geschadet, aber nie zu einer Besserung geführt. Versicherungs- und Staubsaugervertreter hatten bei ihr ein leichtes Spiel. Simone und Torsten, ihre beiden Kinder, hatten sie deswegen oft getadelt, und schon erwogen, ihr einen Betreuer zuzuweisen. Doch Elfriede hatte sich dagegen immer gesträubt. „Ich komme noch sehr gut alleine zurecht“, sagte sie stets.

 

Begeistert füllte Elfriede daher das Antragsformular aus. Es war alles ganz einfach. Man musste einen monatlichen Betrag von zehn Euro an die Firma überweisen und erhielt dafür – im Falle eines Lottogewinns – die vierfache Summe ausgezahlt. Gegenüber ihrer Freundin, Frau Irmgard Holthausen, konnte sie das nicht für sich behalten.

 

„Noch ein Tässchen Kaffee, Irmchen?“, fragte Elfriede. „Liebend gern. Aber sag mal, Elfie, du strahlst ja so. Ist etwas passiert? Wirst du endlich Großmutter?“

„Ach, nein, du weißt doch, der Torsten interessiert sich nicht für Frauen. Und die Simone studiert doch noch – und einen Freund hat sie auch nicht. Aber nein, es ist etwas ganz Anderes“, antwortete Elfriede und lächelte verschmitzt. Irmgard war im Gegensatz zu ihrer Freundin stets misstrauisch und ahnte bereits, was hier im Busche stand. Doch sie wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und sagte stattdessen: „Na, da bin ich aber mal gespannt.“

 

Elfriede kramte in der Schublade des alten Stubenschrankes und holte das Werbeschreiben hervor. „Hier sieh mal. Das hatte ich vorgestern in der Post. Ist das nicht großartig?“ Entsetzt blickte Irmgard auf den Brief und schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, du hast nicht wieder eine Dummheit gemacht und darauf geantwortet“, sprach sie, nachdem sie alles durchgelesen hatte. „Das ist doch Betrug!“

„Nein, nein, Irmgard. Bestimmt nicht. Außerdem haben sie das schon oft im Fernsehen gezeigt.“

„Da verwechselt du etwas. Aber nun mal heraus mit der Sprache, Elfriede: Hast du schon an die Firma geschrieben?“ Ihre Freundin druckste herum und stammelte schließlich ein leises „Ja“, heraus. „Du wirst dich nie ändern, Elfriede. Denk an vorletzten Monat, als du die Lexikonreihe bestellt hast. Die hast du auch nicht gebraucht, und dazu war es viel zu teuer.“

 

Als Irmgard gegangen war, dachte Elfriede kurzzeitig daran, ob sie nicht doch einen Fehler gemacht hätte, aber die Bedenken zerstreute sie rasch. „Es wird sich schon alles richten“, das hatte ihr Mann immer gesagt, der vor vielen Jahren verstarb. Dieses Motto hatte sie für sich übernommen. Es passte sehr gut zu ihrer Lebenseinstellung.

 

Eine Woche später ging Elfriede zu ihrer Bank, um ihre Rente abzuheben. Herr Meyer, der freundliche Mitarbeiter drückte ihr dabei noch gleich die Kontoauszüge in die Hand. Das machte er immer so, wenn Elfriede einmal im Monat kam, da die alte Dame mit der modernen Technik nicht zurechtkam. Zu Hause legte Elfriede die Auszüge auf die Kommode im Flur, als es klingelte.

 

Irmgard stand mit einem großen Kuchenpaket vor der Tür. „Na, willst du mich nicht herein lassen oder hast du unseren wöchentlichen Kaffeeklatsch vergessen?“

„Nein, natürlich nicht, Irmchen. Ich wollte gerade den Tisch decken.“ Das war glatt gelogen, aber Elfriede ließ sich nichts anmerken. Irmgard betrat die Wohnung und warf einen flüchtigen Blick auf die Kommode. Sie erblickte die Kontoauszüge und sprach: „Ach, Elfie, ich sehe, du warst heute bei der Bank. Übrigens, hat sich die Firma Gerber schon gemeldet?“

 

Elfriede blätterte die Auszüge durch und sagte: „Gemeldet nicht, aber ich sehe gerade, sie haben die Gebühr schon abgebucht. Aber ich verstehe nicht, warum es einhundertundzehn Euro sind. Das muss ein Irrtum sein.“ Irmgard entgegnete: „Zeig mir bitte noch mal den Werbebrief. Ich möchte das Kleingedruckte lesen.“

 

Nachdem Irmgard damit fertig war, erklärte sie ihrer Freundin, dass das leider doch korrekt war. Nicht nur, dass die monatliche Bearbeitungsgebühr für sechs Monate im Voraus zu entrichten war, es wurde zusätzlich ein einmaliges Entgelt von fünfzig Euro fällig. „Das habe ich doch gleich gesagt. Die ziehen dich über den Tisch, diese Betrüger. Sieh nur zu, dass du da wieder heraus kommst, liebe Elfie“, schloss sie ihre Rede. Diese erwiderte: „Ach, Irmchen. Das ist schon so in Ordnung. Du weißt doch, was Hubert immer gesagt hat: Es wird sich schon alles richten.“

 

Vier Wochen später, als Irmgard wieder bei Elfriede zu Gast war, lagen auf dem Kaffeetisch zwei Zwanzig-Euro-Scheine. „Siehst du, Irmchen, ich hatte doch Recht. Das ist mein Gewinn von letzter Woche. Ich hatte doch einen Dreier. Es gab knapp zehn Euro, doch dank dem lieben Herrn Gerber sind daraus vierzig geworden.“

„Nein, ich will ja nicht unken, Elfie. Aber ich bin immer noch misstrauisch. Bis jetzt hast du doch noch Verlust gemacht.“

„Irmchen, Irmchen, es wird sich schon alles richten.“

 

Drei Monate gingen ins Land, ohne dass Elfriede einen weiteren Gewinn erzielte. Es war Samstagabend, kurz vor der Tagesschau. Gespannt verfolgte sie die Lottoziehung. „Und die erste Gewinnzahl ist die 28“, verkündete die nette Dame aus dem Fernsehen. „Die zweite Gewinnzahl ist die 10.“ Elfriede war aufgeregt, die ersten beiden Zahlen stimmten. Als die Ziehung zu Ende war, brach bei ihr großer Jubel aus. Sie hatte tatsächlich alle sechs Zahlen richtig: 3, 6, 10, 18, 21, 28. Diese Zahlen tippte sie seit Jahren. Jetzt hatte es endlich geklappt, und dank der Firma Gerber würde es noch viel mehr Geld werden. Elfriede verkniff sich jedoch, ihre Freundin und ihre Kinder gleich anzurufen. „Das wird nächsten Mittwoch eine schöne Überraschung für alle. Ich wusste es doch. Es wird sich schon alles richten.“

 

Am nächsten Mittwoch klingelte Irmgard wie jede Woche bei Elfriede. Als Elfriede die Tür öffnete, war Irmgard überrascht, als sie sie sah. „Na, du hast dich aber herausgeputzt, Elfie. Ist etwas passiert?“

„Ja, so ist es, aber ich verrate noch nichts. Warte, bis Simone und Torsten da sind.“

„Deine Kinder kommen auch zum Kaffee. Das gab es ja noch nie.“

„Es gibt nicht nur Kaffee. Schau mal!“, antwortete Elfriede. Im Esszimmer war festlich gedeckt. Ein fürstliches Mahl war aufgetischt, und sie hatte das gute Porzellan hervorgeholt. Blumen und Kerzen schmückten den Tisch zusätzlich.

 

Es klingelte. „Ach, Simone, schön dass du schon da bist. Meine Freundin ist auch schon da, Torsten wird bestimmt auch gleich kommen.“

„Mutti, tu nicht so geheimnisvoll. Was ist denn? Du warst so aufgeregt am Telefon.“ „Simonchen, setz dich doch. Noch ein klein wenig Geduld. Ich hole schon einmal den Sekt.“

 

Als kurz darauf auch ihr Sohn eingetroffen war, und alle Platz genommen hatten, öffnete Elfriede den Sekt und goss allen ein. „So meine Lieben. Nun werde ich das Geheimnis lüften. Hier bitte: Das ist die Überraschung“, sprach sie und legte einen Zettel und die gestrige Tageszeitung auf den Tisch. „Und? Was ist das?“, wollte Torsten wissen. „Na, dann schau mal richtig.“ Simone kreischte: „Muuuuttttiiii , das ist ja Wahnsinn, du hast einen Sechser. Und es gibt fast eine Million!“

„Nein, Simonchen. Nicht eine Million! Vier Millionen!“ Irmgard stand der Schreck im Gesicht geschrieben, sie ahnte, was kommen würde. „Ich habe doch diesen netten Brief von der Firma Gerber. Die vervierfachen meinen Gewinn“, ergänzte Elfriede. „Das glaube ich jetzt nicht!“, sagte Torsten und ließ das Sektglas fallen. „Das kannst du ruhig glauben, ich habe das schriftlich.“

„So meinte ich das nicht, Mutti. Glaubst du wirklich, dass die dir vier Millionen auszahlen? Das Geld siehst du nie. Na immerhin hast du ja noch den Gewinn der Lottogesellschaft.“ Elfriede druckste herum. „Mutti, Mutti, sag die Wahrheit, was ist los?“, forderte Simone sie auf. „Na, den Originalbeleg habe ich doch abschicken müssen, an die Firma Gerber. Ich habe auch gleich da angerufen. Der nette Herr, sagte mir zu, dass sie das Geld unverzüglich überweisen würden, sobald mein Lottoschein dort eingegangen ist. Keine Angst, es wird sich schon alles richten.“

 

Sechs Wochen vergingen, ohne dass Elfriede etwas von ihrem Geld sah. Irmgard war wieder zu Gast, zur allwöchentlichen Kaffeerunde. „Elfie, sei ehrlich. Was ist jetzt mit deinem Gewinn?“, wollte sie wissen. „Ich muss zugeben, dass ich es noch nicht habe. Ich verstehe das nicht.“

„Hast du dann da mal wieder angerufen, bei der Firma?“

„Da geht keiner ans Telefon. Es läuft immer nur ein Tonband.“

„Das wundert mich nicht. Komm, wir gehen sofort zur Polizei.“

 

Widerwillig fügte sich Elfriede und erstattete Anzeige. Wie sich herausstellte, existierte die Firma Gerber nur als Briefkastenfirma. In Düsseldorf, dem angeblichen Sitz des Unternehmens, war sie nicht ins Handelsregister eingetragen. Michael Gerber, der Besitzer der Firma, war nicht auffindbar.

 

Vier Jahre später nahm Elfriede ihre Tageszeitung aus dem Briefkasten. Auf Seite zwölf las sie einen kleinen Artikel:

 

„Millionen-Betrüger endlich gefasst. Der 43jährige Michael G. konnte heute bei seiner Ankunft auf dem Frankfurter Flughafen festgenommen werden. Er wird der Unterschlagung und des Betruges verdächtigt, in dem er Dutzende von vorwiegend älteren Lottospielern, um ihren Gewinn gebracht hatte.“

 

Zufrieden nickte Elfriede und sprach: „Es wird sich schon alles richten.“

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: www.suretybondauthority.de
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2011

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