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Kaarkaar sucht das Zauberkreuz

 

Kaarkaar war schlecht gelaunt, als er hörte, dass er zu Laarmurr, dem Obersten aller Zauberer gerufen wurde. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Als er ihn das letzte Mal aufgesucht hatte, war dieses auch unangenehm gewesen. Das weckte keine guten Erinnerungen.

 

Kaarkaar betrat schweren Herzens die Höhle von Laarmurr. Es war stickig, der Raum war nur von wenigen Fackeln erhellt. „Mein lieber Kaarkaar, ich freue mich, deiner ansichtig zu sein. Setz dich doch“, forderte ihn der mächtige Zauberer freundlich, aber bestimmt auf. Neben ihm stand ein alter, wackliger Schemel. Ein unangenehmer Geruch drang von Laarmurr in Kaarkaars Nase.

 

„Kaarkaar, vor vielen Monden hattest du den Auftrag, in das Reich der verlorenen Magie zu reisen. Leider warst du nicht erfolgreich. Dennoch meine ich, dass du es erneut versuchen solltest.“

„Laarmurr, ich möchte Euer nicht widersprechen, aber meint Ihr wirklich, dass ich das letzte Ohnhorn diesmal finde? Diese Welt ist gefährlich, beängstigend und unheimlich.“

„Schweig, ich kenne deinen Bericht. Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Keiner kennt sich in dieser Welt besser aus als du. Außerdem sollst du diesmal nicht alleine reisen. Paartirr wird dich begleiten.“

 

Kaarkaar seufzte leise, ohne dass es der schwerhörige Zauberer hörte. Nicht nur, dass er wieder in dieses Reich zurückkehren musste, das ihm soviel Ärger bereitet hatte. Nun würde ausgerechnet dieser vorwitzige Kobold sein Weggefährte sein. Er wagte aber nicht zu widersprechen, sondern sagte: „Hochverehrter Laarmurr, was ist es, was ich suchen soll?“

„Kaarkaar, wir begehren das Zauberkreuz. Es soll mächtige Magie haben. Jedoch weiß keiner wie es aussieht. Du wirst dich durchfragen müssen.“

 

Paartirr hüpfte aufgeregt von einem Bein auf den anderen, als er mit Kaarkaar vor dem Portal stand, das beide in das Reich der verlorenen Magie befördern sollte. „Ich bin so aufgeregt, ich bin so aufgeregt“, sang er vor sich her. Sein Gefährte versuchte, ihn zu beruhigen. „Paartirr, es ist nicht gefährlich, dieses Portal zu durchschreiten. Uns wird schon nichts passieren.“ Paartirr entgegnete: „Deswegen bin ich nicht aufgeregt, Kaarkaar. Ich bin gespannt, all das kennenzulernen, was du so anschaulich beschrieben hast. Diese seltsamen Getränke, die müde machen und diese Weiber, die sich in den dunklen Räumen ausziehen…“

„Paartirr, ich kann dir nicht versprechen, dass du das sehen wirst. Außerdem haben wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.“

 

Die beiden durchschritten das Portal und wurden von glitzernden Sternen umringt. Wenige Sekunden später materialisierten sie sich an einem seltsamen Ort.

 

„Wo sind wir jetzt?“, wollte der neugierige Kobold wissen, als sich die Sterne verflüchtigt hatten. Sie sahen steinerne Wege, auf denen blechernen Ungetüme entlang fuhren. „Ist das Sankt Pauli? Sehen wir jetzt die leicht bekleideten Frauen?“ Paartirr war immer noch aufgeregt. Kaarkaar antwortete: „Es sieht irgendwie anders aus… Warte, da drüber kommt jemand. Der sieht aus, wie die die ich in dem Oval traf“, antwortete Kaarkaar. Ein junger Bursche trat ihnen entgegen, offenbar ging es ihm nicht gut. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sein Atem roch nach dem gelbbraunen Getränk, das Kaarkaar schon kennengelernt hatte. „Das ist nicht Sankt Pauli. Wir müssen in Schalke sein“, folgerte er.

 

„Schaaaalke, Schaaaalke, Schaaaalke“, rief Kaarkaar begeistert aus. Er hatte das System der Farben verstanden: Rot-weiß waren die Bayern, braun-weiß die von Sankt Pauli und schwarz-gelb, das waren die Feinde der blau-weißen aus Schalke. Der Mann reagierte nicht wie erwartet und rief: „Eh, biste bescheuert? Weeste nicht wo de bist, Männecken? Du bist hier in Kreuzberg, mitten in Berlin. Schalke ist doch Scheiße. Hertha! Hertha!“.

 

Kaarkaar war verwirrt. So einfach, war das offenbar doch nicht mit den Farben in dieser Welt. Und warum wollte es dieser Mann härter haben? Sehr seltsam. „Junger Mann, verzeiht. Wir sind nicht von hier. Könnt Ihr mir sagen, wo ich das Zauberkreuz finde?“

„Also biste keen Schalker? Dett ist jut. Die hassen wir nämlich. Wir sind die Hertha-Frösche und haben den Bayern heute die Lederhosen ausgezogen.“

„Das kenne ich. Damit habe ich aber schlechte Erfahrungen gemacht“, erklärte Kaarkaar und erzählte von seinem Besuch am dritten Ort seiner ersten Reise in diese Welt. Dem jungen Mann gefiel die Geschichte.

 

Er hob schwerfällig seinen Arm und sagte: „Lass uns noch eenen heben, dort drüben ist meene Stammkneipe.“ Das ließen sie sich die beiden nicht zweimal sagen und folgten ihm in das Gebäude. Dort saßen Männer auf Schemeln vor einem langgezogenen Tisch und tranken das wohlbekannte gelbbraune Gebräu. „Peter, mach ma drei Mollen klar für mich und meene Freunde. Hertha! Hertha!“

 

Wieder dieser seltsame Ruf, den Kaarkaar nicht deuten konnte. Er hatte aber gelernt, nicht alles zu hinterfragen. Doch Paartirr war wieder vorwitzig und wollte wissen, was damit gemeint war, aber Kaarkaar hielt ihm den Mund zu und flüsterte ihm zu: „Schweig. Wir werden schon herausbekommen, was dahinter steckt.“

 

„Hilf den Kleenen doch ma uff dem Hocker, der kommt da jar nich druff“, rief einer der Männer, die am langen Tisch saßen. Paartirr blickte böse, aber sagte nichts. Kurz darauf standen gläserne Becher vor ihnen, gefüllt mit dem Gebräu. „Prost, meene Lieben. Ich heiße übrigens Kevin. Der da am Tresen ist der Peter, und dett sind Atze, Timpe und Kurt. Und wie heißt ihr?“

„Ich bin Kaarkaar und das ist Paartirr.“ Alles lachte und Kevin bemerkte: „Kacker, hi hi, was für ein Name.“

 

Der Angesprochene verstand nicht, warum in dieser Welt auf seinen Namen immer so seltsam reagiert wurde. Es war aber wohl besser, nichts zu sagen. Paartirr nahm seinen Becher gierig in die Hand und trank ihn in einem Zuge aus. „Na, dem schmeckt es aber. Noch eeens?“, wollte Peter, der Mann hinter dem Tisch wissen. „Aber klar doch. Das ist großartig“, antwortete Paartirr.

 

Kaarkaar war vorsichtiger. Er kannte die Folgen, die diese Getränke hatten, und dachte wieder an die Aufgabe, die ihm Laarmurr gestellt hatte. Er wandte sich an Kevin: „Wir suchen, wie ich schon sagte, das Zauberkreuz. Wo können wir es finden?“ Einer der Männer, den Kevin als Atze vorgestellt hatte, bemerkte: „Dett muss de neue Pinte am Potsdamer Platz sein.“ Peter entgegnete: „Nee, nee, dett Lokal heißt Zauberwald, Atze!“

 

Paartirr hatte schon seinen dritten Becher geleert, als er merkte, dass ihn etwas bedrückte. „Ich muss mal, ich muss mal“, rief er lauthals. „Einfach nur da die Treppe runter“, erklärte Peter. Paartirr sprang vom Hocker, ging ein paar Schritte und öffnete am Treppenabsatz sein Beinkleid. Er ließ seinen Strahl dort hinunterfließen. Peter sprang auf. „Dett jippt es doch wohl nicht. Dett ist de jrößte Sauerei, die mir jemals unterjekommen ist. Macht bloß ne Fliege, bevor ich de Bullen rufe.“

 

Kaarkaar nahm seinen Kumpanen am Schlafittchen, als sie die Herberge verlassen hatten. Vorwurfsvoll sprach er: „Ich habe dir doch gesagt, dass es hier gefährlich für unser einen ist! Aber du kannst dich ja nicht zusammenreißen. Lass uns verschwinden.“

 

Als sich die glitzernden Sterne verflüchtigt hatten, tauchten sie an einem völlig anderen Ort auf. Sie sahen wieder einen steinernen Weg, der sich diesmal kurvig wand. Er bildet aber keine glatte Fläche. Vielmehr waren es kleinere, einzelne Steine, die sorgsam aneinandergefügt waren. Vor ihnen war ein mächtiges, hohes Gebäude. Eine Gruppe von Leuten näherte sich und blieb stehen. Einer von ihnen im höheren Alter hob seinen Arm und erklärte: „Und hier sehen Sie die Kreuzkirche, die älteste Kirche Hannovers. Sie wurde im 14. Jahrhundert erbaut und ist das älteste Gebäude unserer Stadt. Im zweiten Weltkrieg…“

„Darf ich mal unterbrechen?“, warf Kaarkaar ein. „Wir sind auf der Suche nach dem Zauberkreuz.“ Der alte Mann lachte und sagte: „Das werden Sie hier kaum finden. Sie sollten nach drüben zum Steintor gehen. Einfach nur den Weg lang, Sie kommen direkt darauf zu.“

 

Kaarkaar bedankte sich und ging mit Paartirr in die beschriebene Richtung. Der Kobold hatte Schwierigkeiten zu folgen. Vorwurfsvoll sagte Kaarkaar: „Du hat zu viel von diesem Gebräu getrunken. Jetzt siehst du, welche Folgen das hat. Ich wüsste zu gerne, wie das nun heißt. Überall, wo ich in dieser Welt war, haben sie es anders genannt. Aber egal, lass uns zum steinernen Tor gehen.“

 

Dort angekommen stellte Kaarkaar fest: „Hier ist kein Tor, aber es ähnelt Sankt Pauli. Und auch die Mädchen dahinten sehen so aus.“

„Ggggehen wir jetzt innn ddddennn dddunklen Raum?“, lallte Paartirr. Einer der Frauen näherte sich und sprach zu ihnen: „Na, Ihr beiden. Habt Ihr Zeit für mich? Für Euch beide zusammen wird es aber teurer.“

„Wir suchen das Zauberkreuz“, erklärte Kaarkaar. „Na, das doch wohl eher etwas für die älteren Semester. Roswitha, komm mal her“, sagte die Dame und kniff ein Auge zu. Die Angesprochene kam zu ihnen und sagte, nachdem die erste der Frauen, ihr alles erklärt hatte: „Ein Fuffi für jeden von Euch, ist das in Ordnung?“ Wieder dieser eigenartige Ausdruck, dachte Kaarkaar und antwortete: „Ja, das ist gut so. Und Sie haben ein Zauberkreuz?“

„So ist es, mein Süßer. Kommt mit.“

 

Sie gingen in ein Gebäude und betraten dort, nachdem sie eine Treppe einen dunklen, rot beleuchteten Raum. „Das sieht tatsächlich aus wie in Sankt Pauli“, stellte Kaarkaar fest. Die Dame lachte. „Na, aber hier in Hannover ist es doch auch nicht schlecht. Ihr werdet sehen.“ Vom Nachbarraum drangen knallende Geräusche. Ein Mann rief: „Härter, Härter!“. Kaarkaar stürmte hinaus, und riss die Tür des anderen Raumes auf. Ein Mann lag dort nackt auf einem Bett, neben ihn eine Frau in Leder, mit einer Peitsche in der Hand. Beide glotzten ihn an. Empört rief die Frau: „Ehh, mach dass du wegkommst. Das ist nichts für Spanner.“

„Oh, Entschuldigung, das war eine Verwechselung!“, erklärte Kaarkaar und ging in Roswithas Zimmer zurück.

 

„Benimm dich! Sonst fliegst du hier raus“, tadelte sie ihn. „Das ist übrigens mein Zauberkreuz.“ Sie deutete auf einen kleinen schwarzen Gegenstand aus Stoff. Er hatte zwei Wölbungen. „So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Aber egal. Wir haben, was wir wollen“, murmelte Kaarkaar und griff sich das Zauberkreuz. Er nahm Paartirr in die Hand und beide verschwanden im nächsten Augenblick.

 

Nach der Rückkehr in das Reich der weißen Magie begab sich Kaarkaar unverzüglich zu Laarmurrs Höhle, das Erbeutete in der Hand. Stolz sprach er zu dem mächtigen Zauberer: „Diesmal war ich erfolgreich, hochverehrter Laarmurr. Hier ist das Zauberkreuz aus dem Reich der verlorenen Magie.“

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Tag der Veröffentlichung: 20.07.2011

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