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Das Käsebrot

 

„Liebster, es war ein wundervoller Abend.“ Bettina blickte verliebt in die Augen ihres Freundes und ergänzte: „Manfred, ich würde gerne noch Stunden mit dir verbringen, aber du weißt ja, ich muss nach Hause, mein Mann wird sonst misstrauisch.“

„Ach, Bettina. Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.

„Bitte?“

„Das war ein Zitat von Gustav Heinemann.“

„Aha. Und weiter?“

„Du musst dich entscheiden!“

„Das habe ich doch längst.“

„Ich meine, du musst dich RICHTIG entscheiden. Mit allen Konsequenzen.“

Bettina seufzte. Natürlich liebte sie Manfred. Mit ihrem Ehemann Helmut lief es schon lange nicht mehr. Sie hatte ihn im Alter von 18 Jahren geheiratet. Helmut war erheblich älter – er konnte fast ihr Vater sein. Jetzt mit Mitte dreißig war sie seiner schon lange überdrüssig. Im Bett war ein Versager – das war bei Manfred ganz anders. „Liebling, ich würde mich gerne von Helmut trennen, aber du weißt ja, ich darf nicht.“ Vorwurfsvoll warf Manfred ein: „Du und deine verfluchte Kirche. Ist dir das wichtiger als unsere Liebe? Denke darüber nach. Mach es gut.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging. Verzweifelt blickte ihn Bettina hinterher. Sie ging langsamen Schrittes durch den Park nach Hause.

 

Auf den Weg heimwärts hatte Bettina viel Zeit zum Nachdenken. Die Nacht war sternenklar und mondlos. Es war ein warmer Abend, eine Nacht zum Heldenzeugen. Mit Helmut aber bestimmt nicht, dachte sie. Es musste einen Weg geben, um zu Manfred zu finden. Mit seinem Zitat hatte er angedeutet, dass er es auch unbedingt wollte. Da war diese unterschwellige Drohung, dass er sie verlassen würde, wenn sie sich nicht von ihrem Mann trennen würde. Eine Scheidung konnte es aber nicht geben, da das als überzeugte Anhängerin ihrer Sekte für sie nicht in Frage kam. Ein teuflischer Gedanke ging ihr durch den Kopf. Da war heute Morgen der kleine Bericht in der Zeitung, von der Frau, die ihren Mann vergiftet hatte, über Jahre hinweg. Sie hatte das Gift in den Käse getan, den er als einziger in der Familie aß. Er starb dann auch und sie kassierte das Geld aus der Lebensversicherung. Allerdings wurde sie recht bald erwischt. So weit wollte es Bettina nicht kommen lassen, außerdem musste es schnell gehen. Manfred würde nicht länger geduldig sein.

 

Als Bettina zu Hause ankam, ging sie gleich ins Schlafzimmer. Helmut schlief schon. Er schnarchte – wie immer. Ekel überkam sie. Wie hatte sie es nur so lange mit diesem Kerl ausgehalten? Aufgewühlt wie sie war, konnte sie nicht schlafen. Sie ging zum Bücherschrank und griff zum nächstbesten Buch. Es war „Die Apothekerin“ von Ingrid Noll. Welch ein Zufall, dachte Bettina. Sie erinnerte sich an die Verfilmung des Romans, die ihr sehr gut gefallen hatte. Das erste Opfer starb durch Gift. Durch Gift! Da war er wieder, dieser teuflische Gedanke. Aber nein, das durfte nicht sein. Du sollst nicht töten, so sagte es die Bibel. Aber Manfred verlieren? Das wollte sie auch nicht.

 

Bettina legte sich ins Bett, aber an Schlaf war nicht zu denken. Gegen drei Uhr stand sie auf, und schaltete den Computer an. Sie gab „Schnell wirkendes Gift“ in die Suchmaschine ein. Es sollte außerdem geschmacksneutral sein. Nach kurzer Suche wurde sie fündig. Mit Thallium müsste es klappen. Es war hochgiftig, zudem wurde es gut über den Magen aufgenommen. Befriedigt schaltete Bettina den Rechner aus und legte sich schlafen. Wilde Träume folgten. Sie kämpfte sich im ersten Traum durch Berge von Käse. Am Ende des Weges sah sie Manfred. Sie fiel ihm glücklich in die Arme. Im zweiten Traum erschien ihr ein Engel. Er flüsterte abwechselnd „Tu es, Tu es!“, und „Gift, Gift!“ Um sieben Uhr klingelte der Wecker – wie an jedem Tag.

 

Bettina sprang auf und ging ins Bad. Rasch duschte sie und ging dann in die Küche. Die Ereignisse von gestern und die Träume kamen ihr wieder in den Sinn, als sie das Brot für Helmut schmierte. Sie tat Käse drauf, wie immer. Nicht einmal beim Essen war dieses Schwein flexibel. Käse, immer nur Käse. Heuchlerisch lächelte sie ihm zu, als er die Küche betrat, nur mit Puschen und Unterhose bekleidet. Das war alles so ekelhaft. Aber es würde sich ändern. Schon bald. Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.

 

Nachdem er sich angezogen hatte, verabschiedete sich Helmut mit einem kurzen Kuss und ging – wie immer. Es MUSSTE sich ändern, es musste. Gleich nach seinem Abschied rief Bettina ihre Freundin Daniela an, die in Hameln in einer Glasbläserei arbeitete. Im Internet hatte Bettina gelesen, dass Thallium für das Färben von Gläsern benutzt wird. Das war die Chance, denn ein Erwerb in der Apotheke wäre wohl möglich, aber zu gefährlich. Jede Apotheke führt ein Giftbuch.

 

Bettina machte sich auf den Weg nach Hameln, es war nicht allzu weit von Bad Münder nach dort. Mit Daniela, die sie schon seit ihrer Schulzeit kannte, hatte sie sich in einem kleinen Café verabredet. Es lag unweit von der Glasbläserei.

 

„Hallo, Kleine, wie schön dich wieder mal zu sehen. Du hast dich aber rar gemacht.“, begrüßte sie Daniela und fiel ihr um den Hals. „Erzähl doch, bist du immer noch mit diesem alten Sack zusammen?“ Daniela und Bettina hatten seit jeher keinerlei Geheimnisse. „Ach, Süße, es ist alles nicht so einfach. Diesen Scheißkerl werde ich einfach nicht los. Aber da ist noch jemand in mein Leben getreten.“ Sie holte Manfreds Foto hervor, das sie immer in ihrer Handtasche trug. Anerkennend pfiff Daniela und sagte: „Na, das ist doch eine ganz andere Hausnummer. Der sieht doch richtig schnuckelig aus. Und wie ist er so im Bett?“ Bettina lief rot an, Daniela war immer so direkt. „Auf jeden Fall viel besser als Helmut, dieser Versager. Aber ich habe ja wenige Erfahrungen. Das ist bei dir ja anders.“ Daniela lächelte und sprach: „Sag mal, hast du nicht Lust dir meinen Arbeitsplatz anzugucken? Es ist wirklich interessant.“ Das war genau das, was Bettina erhofft hatte. In einem unbeobachteten Augenblick griff sie in der Glasbläserei zu und steckte das Fläschchen mit dem Thallium in ihre Handtasche ein.

 

Zu Hause präparierte Bettina sofort den Käse, sorgsam darauf bedacht, dass sie das Gift nicht einatmete oder berührte. Danach schrieb sie eine SMS an Manfred. „Liebling, alles wird gut. Ich habe eine Lösung gefunden.“

 

Als sie sich am Abend mit ihrem Geliebten traf, war sie bester Laune. „Willst du mir nicht verraten, was die Lösung ist?“, wollte Manfred wissen. Verschmitzt antwortete sie: „Nein, ich verrate es nicht. Warte ab. Morgen ist der entscheidende Tag.“

 

Helmut wurde mit großem Hallo von seinen Kollegen empfangen, als er tags drauf auf seiner Arbeit ankam. Alle waren bester Stimmung. Die kleine Grafikfirma hatte einen großen Auftrag ans Land gezogen, damit war das Überleben auf längere Zeit gesichert. Der Chef hatte ein Büfett kommen lassen – es war außerordentlich üppig, so üppig, dass Helmut entgegen seiner Gewohnheit sein mitgebrachtes Brot nicht aß.

 

Auf dem Weg nach Hause hatte er es immer noch bei sich. Zum Wegwerfen war es aber zu schade. Helmut hatte von seiner Mutter gelernt, dass man Essen nicht umkommen ließ. Er legte das Brot daher ins Handschuhfach, um es morgen zu verspeisen. Die Brotdose hingegen steckte er in seine Aktentasche zurück.

 

Bettina war sichtlich überrascht, als er die Tür aufschloss. Den ganzen Tag über hatte sie auf den erlösenden Anruf gewartet, der jedoch nicht kam. Ein plötzlicher Tod wäre bei der Herzerkrankung ihres Mannes keine Überraschung gewesen. Sollte das Gift doch nicht so schnell wirken?, dachte sie. Na, ja, spätestens heute Abend dürfte er hinüber sein.

 

Sie hatte sich mit Manfred verabredet und einen Tisch in einem teuren Nobelrestaurant in Hannover reserviert. Jetzt drängte die Zeit. „Helmut, ich habe doch heute meinen Canasta-Abend. Lass dir etwas vom Pizzaservice kommen, ich hatte heute keine Lust gehabt zu kochen.“, erklärte sie ihm. Helmut war verwundert. In den siebzehn Jahren, die sie jetzt verheiratet waren, war es noch nie vorgekommen, dass Bettina nicht mit einem leckeren Essen auf ihn wartete. „Gut“, murmelte er nur.

 

Bettina ging zu ihrem Wagen und drehte den Zündschlüssel herum. Nichts tat sich. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie vorhin nach dem kräftigen Regen vergessen hatte, das Fahrlicht auszuschalten. Jetzt war die Batterie leer. Sie ging ins Haus zurück. Verärgert über sich selbst fragte sie ihren Mann: „Darf ich deinen Wagen nehmen? Meiner springt nicht an.“ „Klar. Kein Problem. Und viel Spaß noch.“, antwortete dieser.

 

Mit Helmuts Wagen fuhr Bettina aufgebracht nach Manfred, um ihn abzuholen. Seine Wohnung lag nur ein paar Kilometer entfernt, dennoch kam ihr der Weg dahin endlos vor. Er erwartete sie schon sehnsüchtig. „Na, mein Schatz. Darf ich jetzt wissen, was die Lösung für unser Problem ist?“, wollte Manfred wissen. „Noch nicht, aber schon sehr bald. Lass dich überraschen.“, entgegnete Bettina. Sie stiegen ins Auto und fuhren los.

 

Zum „Au Camembert“ in Hannover war es noch weit. Kurz vor Wennigsen überkam Bettina ein menschliches Bedürfnis. Weit und breit war keine Toilettenanlage. „Süßer, ich muss mal kurz anhalten. Ich muss mal für kleine Mädchen.“ Sie fuhr rechts heran und schlug sich in die Büsche. Manfred hatte einen Bärenhunger. In diesen Nobelschuppen werde ich bestimmt nicht satt, dachte er. Er suchte nach etwas Essbaren, vielleicht Kekse oder eine Mini-Salami. Manfred öffnete hoffnungsvoll das Handschuhfach. Erfreut fand er das Käsebrot und biss genussvoll hinein. Das Gift wirkte augenblicklich.

 

„So, Liebling, da bin ich wieder. Liebling? Liebling?“ Bettina schrie vor Entsetzen, als sie ihren Freund fand – tot, mit weit aufgerissenen Augen und Schaum vor dem Mund. Das Käsebrot hielt er noch in der Hand.

 

Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte. Manchmal ist es jedoch auch andersherum.

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Bildmaterialien: www.tuzz.de
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2011

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