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Das Meer der Geborgenheit

 

 

 

Man riet mir, im Meer der Geborgenheit zu baden, als ich mal wieder verzweifelt war. Es war jedoch nicht einfach, diesen Ort zu finden. Demjenigen jedoch, dem es gelang, würde ein Bad in den Fluten unendliches Glücksgefühl und Wohlbefinden bringen.

 

Nach einer endlosen Wanderung erreichte ich das Meer. Ich wusste sofort, dass ich hier richtig war, denn hier gab es nur glückliche Menschen. Ich zog mich aus, und stürzte mich hinein. Schon nach den ersten Metern strömte eine Flut angenehmer Erinnerungen auf mich zu. Ich dachte zurück an meine Kindheit, als meine Großmutter meinen Lieblingskuchen gebacken hatte, weil ich so traurig und verängstigt war, als meine Mutter mich wieder geschlagen hatte. Von meinem Vater konnte ich keine Hilfe erwarten, da er ständig betrunken war. Meine alte Katze, die vor langer Zeit verstarb, kam mir wieder in den Sinn. Sie fühlte sich bei mir geborgen und ich mich bei ihr, wenn sie auf meinen Schoss saß. Ich erinnerte mich an das Baumhaus, das ich mit meinen Spielkameraden gebaut hatte, als wir etwa zehn Jahre alt waren. Als wir endlich damit fertig waren, hatten wir einen Ort geschaffen, an dem wir uns sicher und geborgen fühlten.

 

Ich schwamm weiter hinaus, da ich einfach nicht genug bekommen konnte. Als ich das Ufer schon nicht mehr sah, wurde die Flut der schönen Gedanken noch größer. Sie verdrängten all die unangenehmen Ereignisse der letzten Monate in meiner Erinnerung. Meine Verzweiflung wich und ich war glücklich wie noch nie in meinem Leben. Nun dachte ich an meinen ersten Urlaub, den ich mit meiner damaligen Freundin in Dänemark verbracht hatte. Wir hatten ein Ferienhaus gemietet, es war Anfang April und eisig kalt, doch wir hatten Holz gesammelt, und wärmten wir uns am lodernden Feuer des Kamins.

 

Niemals wieder wollte ich das Meer der Geborgenheit verlassen. Doch dann erwachte ich, und ich erkannte, dass ich alles nur geträumt hatte. Der Alltag hatte mich wieder. Doch es machte mir nichts mehr aus, einen miesen Job und wenig Geld zu haben. Mich störte auch weder meine armselige Behausung noch die trostlose Gegend, in der ich wohnte.

Aber auch das war nur ein Traum. Ich wachte in meiner normalen Umgebung auf – eine schöne Wohnung in einer gutbürgerlichen Gegend. Der Traum war mir in jedem Teil in Erinnerung. Von diesem Tag änderte ich mein Verhalten und wann immer es mir schlecht ging, schloss ich die Augen und kehrte zum Meer der Geborgenheit zurück.

 

Wer einmal diesen Ort gefunden hat, kann jederzeit in seinen Gedanken dorthin zurückkehren. Die schlechten Dinge lassen sich nicht völlig aus der Welt schaffen, aber man kann sie zur Seite drängen. Man muss es nur wollen. Manche finden Geborgenheit durch Religion, das ist aber nicht unbedingt nötig. Auch ein Agnostiker oder ein Atheist kann sich geborgen fühlen. Wer jedoch keine Geborgenheit spürt oder jemals in seinem Leben gespürt hat, wird darüber verzweifeln und unglücklich bleiben.

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Bildmaterialien: © toller.pics
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2011

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