Unruhig warf sich die junge Frau auf ihrem Bett von einer Seite zur Anderen. Die Augen hinter den geschlossenen Lidern schienen hin und her zu rollen. Verschwitzt klebte ihr das wunderschöne Tizian rote Haar am Kopf. Die Decken des Bettes waren schon ganz zerwühlt, als sie unvermittelt aufwachte und sich mit einem heftigen Ruck aufsetzte. Ihr Atem kam in keuchenden Stößen und ihr Herz raste und pfiff wie eine Dampflok in ihrer Brust. Panisch riss sie die smaragdgrünen Augen auf und schaute sich hektisch im Zimmer um. Panisch flog ihr Blick hin und her. Von den Bullaugen vor den Fenstern schweifte er zu den mit kleinen Segelbooten bedruckten Tapeten. Er wanderte über die mahagonifarbene Tür ihres Zimmers zurück zum Nachbarbett und blieb endlich an den dunklen Haarsträhnen hängen, die dort unter der Decke hervor lugten.
»Pffff. Beruhige dich, Svenja. Beruhige dich. Es war nur wieder einer dieser blöden Albträume. Du bist an Bord der Seenixe und daneben dir, nur einen Griff entfernt, schläft Marie. Also beruhige dich doch zum Donnerwetter. Es war nur wieder einer dieser bescheuerten Träume.«
Müde rieb sie sich mit den Fingern über die Augen, während ihr Atem sich langsam wieder beruhigte. Der Anblick ihrer besten Freundin, die dort friedlich schlafend im Bett lag und das sanfte Schaukeln des Schiffes, auf dem sie sich befand, beruhigten ihre gereizten Nerven zunehmend. Die Albträume hatte sie schon so lange, aber noch immer hatten sie die Macht, sie in Angst und Panik zu versetzen. Von der gegenüberliegenden Seite der Kabine hörte man das Scharren von Laken. Schnell blickte Svenja zu Marie hinüber, die sich im Nachbarbett verschlafen aufrichtete. Ihr hin und herwerfen hatte ihre beste Freundin im so verdienten Schlaf gestört. Sie kannte schon lange das Problem mit den immer wieder kehrenden schrecklichen Träumen von Feuer und Tod. Sie wusste, dass ihre Freundin von ihren Eltern von Psychologe zu Psychologe geschleift worden war, aber niemand hatte eine unvernünftige Erklärung für die Ursachen gefunden. Sicher. Spekulationen hatte es genug gegeben und ihre so muntere Freundin war oft nach solchen Sitzungen sehr deprimiert gewesen, weil wieder dieses oder jenes hineininterpretiert worden war.
Marie hatte es gar nicht verwundert, das keiner der ach so wichtigen Leute eine Lösung für das Problem finden konnte. Sie dagegen kam schon früh darauf, wie man Svenja wenigstens etwas helfen konnte. Mitleidig betrachtete sie ihre Freundin, kletterte schnell zu ihr ins Bett hinüber und nahm sie fest in den Arm.
»Hattest du schon wieder diesen Traum«, fragte sie kopfschüttelnd und richtete den besorgten Blick ihrer babyblauen Augen auf Svenja. »Schade, dass wir diese Kreuzfahrt nicht schon vor einem Jahr gewonnen haben. Da hätten wir sie beide genießen können. Jetzt sind wir seit einer Woche an Bord und jede Nacht machst du mich wach«, neckte die verschlafene Stimme der jungen Frau sie.
»Wenn ich nur wüsste, was diese Träume bedeuten.« Frustriert rieb sich Svenja die schmerzende Stirn. Wie immer kurz nach dem Erwachen aus diesen Träumen hatte sie dieses hämmern hinter den Schläfen. »Ich habe noch nie irgendein Problem mit Feuer gehabt. Es hat bei uns zu Hause nicht mal eine explodierende Silvesterrakete gegeben oder einen brennenden Kochtopf. Es macht mich so fertig, das ich im Traum diese Panik verspüre. Ich habe dann echte Todesangst.«
Marie-Anna stand von ihrem Bett auf und setzte sich neben ihre verzweifelte Freundin. Liebevoll legte sie ihr einen Arm um die Taille und drückte sie an sich. Wir können ja mal in der Schiffsbibliothek nach einem Buch über Traumdeutung suchen. Vielleicht haben diese Feuerbilder ja einen tieferen Sinn.
»Du mit deinem Fimmel für Psychologie und hintergründige Bedeutungen«, grinste Svenja. »Aber ich danke dir trotzdem«, frotzelte sie weiter. »Langsam hat sich mein Herzschlag wieder beruhigt und es geht mir etwas besser. Versuchen wir noch etwas zu schlafen.«
Marie-Anna nickte ihrer Freundin zu, schob sich das honigblonde Haar aus der Stirn und drückte den schlanken Körper ihrer Freundin noch einmal an sich. Dann ging sie wieder zu ihrem Bett zurück, schlüpfte unter die Laken und war schnell wieder eingeschlafen. Tief seufzend strich Svenja die zerwühlten Laken glatt und schüttelte die Bettdecke noch einmal auf, bevor auch sie wieder ins Bett kroch. Lange Zeit noch lag sie noch wach und starrte die Decke über sich an. Immer wieder überlegte sie, wieso diese schrecklichen Träume sie plagten. Es dauerte scheinbar eine gefühlte Ewigkeit, aber endlich wurden auch die Atemzüge der unruhigen jungen Frau regelmäßiger und leiser, die Bewegungen immer träger und endlich war auch sie wieder eingeschlafen.
Den Rest der Nacht verging ohne weitere Störungen. Am nächsten Morgen waren die Schrecken der Nacht schon wieder verflogen und die beiden jungen Frauen genossen den Tag an Bord dieses Traumschiffes sichtlich. Die beiden kannten sich schon seit dem Kindergarten und waren, wie sie immer wieder betonten, schon ewig befreundet. Marie–Anna war eine schlanke, wohlproportionierte junge Frau mit knabenhaftem Körperbau und einer unglaublichen Ausstrahlung von ätherischer Schönheit. Diesem blendenden Aussehen hatte sie schon in der Schulzeit die ersten Aufträge als Fotomodel zu verdanken ... Nachdem die beiden Freundinnen ihren Abschluss in der Tasche hatten, beschloss Marie, sich ganz auf ihre Karriere zu konzentrieren und jettete nun kreuz und quer über den Globus von Auftrag zu Auftrag.
Neben ihr kam sich Svenja oft wie ein hässliches Entlein vor. Sie war in ihren Augen einfach zu klein, um eine schlanke und ranke Figur zu haben. Dabei war sie war einmal dick. Nein. Das nun wirklich nicht. Aber ihr Körper schien der Meinung zu sein, unschöne Pölsterchen an den unmöglichsten Stellen anzulegen. Sie fand ihre Hüften zu dick und ihre Oberweite viel zu üppig. Neben ihrer Freundin mit deren Model Maßen kam sie sich oft klein und dicklich vor.
Die Blicke der anderen Kreuzfahrtgäste, die wohlwollend den beiden Frauen folgten, bemerkte sie nicht. Dabei ruhten mehr bewundernde Blicke auf ihren üppigen, sanft gerundeten Kurven als auf der knabenhaften Figur ihrer Freundin. Die beiden Frauen boten gemeinsam einen atemberaubenden Anblick. Die eine groß von kühler Schönheit, die andere klein und rassig mit üppig gerundeten Körperformen und einer enormen Ausstrahlung von Sexy peel. Aber Svenja hatte schon von jeher ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein. Sie fand ihr Haar zu rot, ihre Augen zu wässrig grün und ihr Lächeln zu breit. Hätte man Marie-Anna gefragt, hätte die junge Frau sofort von den unglaublich grünen strahlenden Augen ihrer Freundin erzählt und von ihren weichen, Tizian roten, seidigen langen Haaren geschwärmt, wie sie es oft bei Kollegen tat, wenn diese ihre Schönheit rühmten. Da lachte sie dann nur und sagte: »Ich und schön? Dann schaut euch mal meine Freundin Svenja an. Sie hat Augen, von einem wunderschönen leuchtenden grün, die sich je nach ihrer Stimmung verändern. Wenn sie gut gelaunt ist, dann sind sie so strahlend hell wie ein schimmernder Flusslauf in der Sonne. Ist sie aber wütend, dann nehmen sie das dunkle Grün von dunklen Wäldern an, kurz bevor sich die Bäume im Sturm schütteln und biegen. Ihre Haare glänzen in der Sonne wie rotes Gold und sind so weich, wie ich es mit dem besten Conditioner nicht hin bekomme. Ihre Figur sieht aus, wie bei den Filmschönheiten aus den 50er Jahren. Einfach nur sexy. Aber das Schönste an Svenja ist ihr Lächeln. Wenn sie lächelt, dann geht die Sonne auf.«
Als Svenja die Kreuzfahrt für zwei Personen in einem Kreuzworträtsel Wettbewerb gewann, war für sie keine Frage, als zweite Person Marie-Anna mitzunehmen. Zum Glück hatte diese gerade eine längere Pause zwischen zwei Aufträgen und sagte mit Freude zu. Sie fand die Idee wunderbar, endlich wieder einmal mehr Zeit mit Svenja zu verbringen. Die Beiden standen sich so nah wie Schwestern und es tat beiden unendlich weh, kaum noch Zeit miteinander verbringen zu können. Aber seit Marie-Anna so gut im Modellgeschäft Fuß gefasst hatte, hetzte sie leider von einem Termin zum anderen.
Svenja selbst hatte sich nach der Schule an der Universität eingeschrieben und ihr Medizinstudium in Rekordzeit absolviert. Leider ließ ihr das zeitaufwendige Lernen auch nicht sehr viel Zeit für Freizeitaktivitäten. Telefoniert hatten die Freundinnen jedoch immer und sehr fleißig, und wenn es nur möglich war auch stundenlang. So war Marie-Anna auch über die immer wiederkehrenden Albträume der letzten Zeit genau unterrichtet.
Wohlig rekelte sich Svenja in ihrem Liegestuhl. »Warum musste ich erst 25 Jahre alt werden, bevor ich so eine Kreuzfahrt mache«, seufzte sie. »Weil du solch ein Arbeitstier bist, das du vorher sowieso keine Zeit dafür hattest und nebenbei gesagt, meine kleine Träumerin, hast du auch erst recht kein Geld dafür übrig«, lachte Marie-Anna. »Wie wahr, wie wahr«, grinste Svenja. »Und so ein neues und originelles Argument«, schloss sie glucksend. Beide lachten schallend auf. Dann wurde Marie-Anna aber schnell wieder ernst und sah besorgt zum Himmel hoch. »Svenja, das Wetter gefällt mir gar nicht. Ich glaube, wir bekommen einen Sturm.« Diese folgte dem Blick ihrer Freundin. Der Himmel war in kurzer Zeit dunkel geworden. Dicke schwarze Wolken begannen sich am Himmel zu sammeln und das laue Lüftchen, welches die ganze Zeit geweht hatte, war inzwischen zu einem heftigen Wind angewachsen. »Lass uns unter Deck gehen. Der Himmel ist ja innerhalb von Minuten pechschwarz geworden.« Schnell packten sie ihre Sachen ein und gingen unter Deck in ihre Kabinen.
In der folgenden Nacht wurden die beiden Freundinnen jedoch erneut in ihrer so verdienten Nachtruhe gestört. Diesmal waren aber nicht Svenjas Albträume der Grund, sondern hastende Schritte über die Gänge, Rufen und Schreien. »Was ist los?« Fragte Marie-Anna ratlos. »Hey. Du hast doch auch Titanic gesehen. Das da draußen klingt nicht gut. Gar nicht gut.« »Mensch Svenja, sieh doch nicht immer alles so schwarz. Los, wir ziehen uns an und gehen an Deck. Nun mach schon«, drängte sie die Freundin zur Eile. »Ich will gucken, was da los ist.«
Als die jungen Frauen an Deck hasteten, stockte ihnen vor Schreck der Atem. Ein unglaublicher Sturm wütete und meterhohe Wellen schwappten über die Bordwand. Svenja hielt einen vorbei eilenden Steward am Ärmel fest. »Was geht hier vor sich?« Schrie sie dem verängstigten Mann über den Lärm des Sturmes zu. »Die Maschinen haben einen Defekt, die blöden Computer spielen verrückt und wir sind vom Kurs abgekommen. Im Moment sind wir mitten im Bermudadreieck. Der Kapitän versucht den Kurs per Hand zu korrigieren, aber wir fahren blind. Das Gebiet hier ist auf keiner unserer Karten verzeichnet. Begeben sie sich lieber vorsichtshalber zu den Rettungsbooten«, riet er ihnen.
Die beiden Frauen stemmten sich gegen den Sturm und versuchten sich den Weg zu den Booten zu bahnen, aber in Panik geratene Mitreisende drängten sie immer wieder zurück. »Wir versuchen es auf der anderen Seite« schrie Svenja der Freundin zu, aber der Wind schien ihr die Worte von den Lippen zu reißen. »Na komm schon. Da sind auch noch Boote.« Sich ängstlich an den Händen haltend stemmten sie sich gegen den Sturm und versuchten zur anderen Seite des Schiffes zu gelangen. Doch dann traf eine unglaublich mächtige Sturmböe die Frauen. Ihre Hände lösten sich und entsetzt sah Svenja, wie Marie-Anna auf die Bordwand zu rutschte und dann verschwand.
Ohne nachzudenken, griff sie sich einen Rettungsring, der direkt neben ihr an der Bordwand hing, und sprang ihrer Freundin mutig hinterher, mitten hinein in das wütende, brodelnde Meer. Verzweifelt kämpfte sie sich durch die wogenden Wellen hindurch, um ihre Freundin zu erreichen. Ihre Kräfte erlahmten schon fast, als sie endlich ihre Hand fassen konnte. Voll Schrecken erkannte sie, dass sich Marie-Anna nicht mehr bewegte. Zu stur um ihre Hand loszulassen umkrampfte sie die Hand der Freundin mit wilder Verzweiflung, während dessen sie sich mit der anderen Hand an den hastig mitgenommenen Rettungsring klammerte. Aber als die glitschigen, feuchtkalten Finder ihrer Freundin ihr zu entgleiten drohten, fasste Svenja einen folgenschweren Entschluss. Langsam lösten sich ihre Finger vom Rettungsring und auch die zweite Hand klammerte sich an Marie-Anna. Verzweifelt Wasser tretend versuchte sie, sie beide wieder an die Wasseroberfläche zu bringen, aber ihre Kleider hatten sich inzwischen vollgesogen.
Immer langsamer wurden die Bewegungen der jungen Frau, immer bleierner durchdrang die Kälte ihre Knochen und die Erschöpfung kostete sie die letzte Kraft. Immer noch hielt sie stur die Hand ihrer Freundin umklammert. Sie schienen auf einen merkwürdigen Strudel in den Tiefen des Ozeans zuzutreiben. Noch einmal versuchte Svenja, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren, um nicht in die tosende Macht der Wogen hinein getrieben zu werden, aber ihre Bemühungen waren nutzlos. Die letzte Kraft war verbraucht. Schließlich flimmerte alles vor ihren Augen und sie verlor das Bewusstsein, während sie unaufhaltsam in den wütenden Wirbel hineingesaugt wurden.
Kurz bevor die tintenschwarze Dunkelheit von ihren Sinnen Besitz nahm, sah sie ein Paar kobaltblaue Augen vor sich, die sie voller Liebe musterten. Die Szene wechselte rasend schnell und das Bild eines sinnlichen Mundes erschien, der sie zärtlich anlächelte. Zwischen Wachen und Träumen gefangen seufzte sie voller Sehnsucht. Die letzte Luft entwich ihren gepeinigten Lungen und ihre Bewegungen erschlafften. Die Hände fest umeinander gekrallt gingen die beide Freundinnen lautlos in der Stille unter.
Während die beiden Frauen gemeinsam immer tiefer in den geheimnisvollen, dunklen Tiefen des Meeres versanken und ihre langen Haare sie wie Tentakel umflossen, boten sie ein Bild vollkommener Harmonie und Schönheit. Aber, ihr Unglück war nicht unbemerkt geblieben. Tief violette Augen starrten sie bewundernd an. Weiche, geschmeidige Hände griffen nach ihnen. Lippen drückten sich auf ihre blutleeren Münder und hauchten ihnen lebensspendenden Atem in die verzweifelt aufheulenden Lungen. Silbern und golden blitzten die Schuppen an den Fischschwänzen der beiden Meermänner auf, als sie den Todestanz der jungen Frauen mit fließenden Bewegungen stoppten.
Jeder der Beiden hatte eine der Frauen ergriffen, aber sie konnten die ineinander verkrampften Hände der Freundinnen nicht lösen. So schwammen sie schließlich nebeneinander. Jeder hielt eine bewusstlose Frau in den Armen, die sich immer noch durch ihre verkrampften Hände aneinander klammerten. Selbst die tiefste Bewusstlosigkeit konnte Svenjas Willen nicht brechen, ihre Freundin nicht loslassen zu wollen. Sinnend sah Adalar auf die rothaarige Schönheit in seinen Armen. Ihre üppigen Kurven wurden weich an seinen steinharten Oberkörper gepresst. Ihr Gesicht hatte in ihrer Bewusstlosigkeit einen entspannten und friedlichen Ausdruck. Sie war fast zwei Köpfe kleiner als er und lag leicht wie eine Feder in seinen Armen. Es erschien ihm, als hätte er noch nie eine größere Schönheit gesehen.
Der Meermann hatte beobachtet, wie sie sich durch die wild schäumenden Wogen zu ihrer Freundin vorgekämpft hatte. Er war noch zu weit weg gewesen, hatte aber seine Geschwindigkeit bis zum äußersten gesteigert, als er beobachten konnte, wie die fremde Schönheit einen folgenschweren Entschluss fasste. Entsetzt sah er zu, wie sie den Rettungsring losließ, der ihr eigenes Überleben gesichert hätte und sich dazu entschloss, alles zu riskieren, um ihre Freundin zu retten.
Adalar und sein Freund Daromir hatten sich nur einen Blick zugeworfen und waren dann wie zwei silberne und golden schimmernde Pfeile durch das nachtschwarze Wasser geschossen. Im letzten Moment erreichten sie die Frauen, bevor ihre Körper ihnen auch den letzten Rest des lebensrettenden Sauerstoffs aus den Zellen gesaugt hatten, und hauchten ihnen von ihrem eigenen Atem ein.
Daromir schaute besorgt in das Gesicht seines Königs. Seitdem er ihn kannte, hatte er noch nie solch einen besorgten Blick in den Augen seines Freundes gesehen, aber auch noch nie solch eine Bewunderung für eine Frau. Nicht einmal Semiramis, die schöne Vampir-Magierin, die sie alle in der legendären Schlacht gegen den schwarzen Hexer Maglador zum Sieg geführt und die ganze Insel gerettet hatte, hatte er je so angesehen. Und dabei wusste Daromir, das Adalar Semiramis vergötterte und anbetete. Damals war er sehr besorgt um seinen König gewesen, da Semiramis glücklich mit dem Elfen Deikugon verheiratet war. Er hatte sich große Sorgen gemacht, das Adalars Herz Schaden genommen haben könnte. Aber dies war zum Glück nicht geschehen. Schnell schwamm er neben seinem König her. Eine große Entfernung zwischen ihnen ließen auch die verkrallten Hände der jungen Frauen nicht zu. Er betrachtete die Schönheit in seinen Armen, aber obwohl er sie hinreißend fand, konnte sie sein Herz nicht ansprechen. Trotzdem aber bewunderte er ihre knabenhafte Schönheit. »Hoffentlich verliebt sich Adalar nicht in die rothaarige Menschenfrau«, dachte er. »Meermenschen und Menschen, das kann nicht gut gehen.«
Die Meermenschen lebten vor den Ufern der vergessenen Insel. Tief am Grunde des Meeresbodens befanden sich mehrere ihrer wunderschönen Städte, die von durchsichtigen Glaskuppeln umgeben waren. Auch innerhalb der Glaskuppeln war überall Wasser. Hier fühlten sie sich wohl. Ihre Körper holten sich den benötigten Sauerstoff direkt aus dem Element. Zum Glück für die beiden Unglücklichen gab es im Königspalast von Aquarius mehrere Räume, die wasserdicht versiegelt waren und über eine Sauerstoffpumpe mit Luft versorgt wurden. Hier trainierten sie ein Leben an Land.
Ab und zu stiegen sie aus den Tiefen des Ozeans herauf. Dabei kommt eine Magie zur Wirkung, die sie der vor Jahrtausenden stattgefundenen Liebesgeschichte zwischen Damiron, dem damaligen König des Unterwasservolkes und Nixia, der schönen Tochter der Schicksalsgöttin zu verdanken haben. Die Trauer ihrer Tochter, nicht mit ihrem geliebten Damiron zusammenleben zu können, erweichte das Herz der mächtigen Göttin Sie schloss einen Packt mit ihrem Bruder Ozeon, dem Meeresgott. Ihre Tochter dürfte im Meer leben und wurde zu einer Meerfrau umgewandelt. Im Ausgleich dazu aber schenkte sie dem Meervolk die Fähigkeit, kaum das ihre Schwänze den sandigen Boden der Insel berührten, zu Beinen zu werden. Auch konnten sie an der Oberfläche atmen, wenn ihre Haut in regelmäßigen Abständen mit Wasser benetzt werden würde. Auf diese Weise konnte ihre geliebte Tochter und ihre Enkel sie jederzeit besuchen.
Dank dieser Fähigkeiten waren sie also in der Lage, mit den Menschen der Insel Handel zu betreiben und nur durch sie konnten auch der legendären Semiramis in ihrem schrecklichen Kampf gegen den bösen Hexer beistehen. Nachdem sie erfolgreich in der großen Schlacht gegen Maglador an der Seite mehrerer anderer Völker der vergessenen Insel gekämpft hatten, hatte Adalar dafür gesorgt, das sich sein Volk auf einen nun öfter vorkommenden Besuch an Land besser vorbereiten könnte.
Sie mussten dann regelrecht trainieren, den Sauerstoff aus der Umgebungsluft zu filtern. Ebenso trainierte die Jugend, wie lange sie an Land bleiben konnten, ohne das ihre Haut mit Wasser in Berührung kam und welche Signale der Körper ihnen sandte, wenn sie unbedingt wieder ins kühle Nass zurückkehren müssten. Diese Trainingsräume waren jetzt die letzte Chance für die beiden Frauen. Sie zur Oberfläche zurückzubringen wäre zu weit gewesen und hätte zu lange gedauert. Die beiden Schönheiten mussten unbedingt wieder Sauerstoff atmen und ihre Körper aufwärmen. Ihre Kleidung war nicht für das Meer vorgesehen und hing klamm und schwer an ihnen. Ihre Körpertemperatur hatte sich ebenfalls schon gefährlich reduziert. Sie mussten sofort die nasse Kleidung ablegen und sich wärmen. Schon mehrere Meilen von Auqarius entfernt sendete Adalar eine Botschaft, die Trainingsräume mit Frischluft zu versorgen und die Heizanlage dort hochzuregeln. Mit dieser Anlage trainierten die Meermenschen eigentlich ihre Fähigkeit, mit den viel höheren Temperaturen der vergessenen Insel fertig zu werden. Nun war sie aber für die jungen Frauen die Rettung vor Unterkühlungen.
Mit unglaublicher Geschwindigkeit schwamm Adalar an den Wachen vorbei durch das geöffnete Tor von Aquarius. Er hatte kein Auge für die Schönheit seines Unterwasserreiches. Weder warf er einen Blick auf die wunderschönen, filigranen Häuser, deren Wände aus milchigem, undurchsichtigem Glas waren und in sanftem Rot schimmerten, noch würdigte er die mit Muscheln bedeckten Dächer der Prachtbauten eines Blickes. Auf dem schnellsten Weg suchte er den Palast auf und brachte die rotgoldene Schönheit und dabei immer seinen Freund und die andere Frau hinter sich herziehend in die Sicherheit der gut geheizten Räume des Trainingsraumes. Hier warteten schon zwei Angehörige seines Volkes. Die Haut der beiden Frauen schimmerte zart grünlich. Ihre Haare hatten die Farbe von Seetank und klebten nun nass an ihrem Kopf, da die Zeit, die sie hier auf das Eintreffen der beiden Gäste gewartet hatten, zu kurz war, um die üppigen Wellen trocknen zu lassen.
Nachdem die beiden Gäste auf ein hastig aufgestelltes Bett gelegt worden waren, scheuchten die Meerfrauen ihren König und seinen Freund aus dem Raum. Schnell zogen sie den am ganzen Körper vor Kälte zitternden Freundinnen die nassen Sachen aus und hüllten sie in weiche, warme Stoffe. Nachdem sie alles was in ihrer Macht stand für die beiden verunglückten getan hatten und sicher waren, dass das schreckliche Zittern der Körper aufgehört und die Temperatur sich wieder stabilisiert hatte, entfernten sie sich. Sie überließen ihre Gäste dem Schlaf der Erschöpfung, mit dem sie der Genesung entgegen schlummerten.
Als Svenja aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Ihr Kopf schmerzte und all ihre Glieder waren bleischwer. Dann setzte die Erinnerung an die letzten Geschehnisse ein und sie richtete sich abrupt auf. Ihre Hand schnellte zu ihrer Stirn, hinter der sich ein stechender Schmerz durch ihr Hirn zu bohren schien. Mit großen Augen sah sie sich um. Unruhe erfüllte sie und Angst. Erst als ihr Blick auf die schlafende Marie-Anna neben ihr fiel, beruhigte sich ihr rasender Herzschlag etwas und ihr Panik legte sich ein bisschen.» Wir sind über Bord gegangen«, versuchte sie sich zu erinnern. »Ich habe Maries Hand greifen können, aber was ist dann passiert?« Fragte sie sich verwirrt. »Wir müssen untergegangen sein. Aber wo sind wir hier.« Probehalber zog sie die Luft tief in ihre malträtierten Lungen, die sofort schmerzhaft protestierten. »Mir geht es unglaublich schlecht. Jeder Knochen im Leib tut mir weh. Also müssen wir noch am Leben sein. Jemand hat uns gerettet.« Überlegte sie. »Der Mann mit den kobaltblauen Augen?« Fragte sie sich hoffnungsvoll. An diese Augen und das liebevolle Lächeln erinnerte sie sich überdeutlich. »Hat er uns gerettet? Sehe ich darum dauernd diese Augen vor mir? Wunderschöne Augen, die mich wie hypnotisierend ansehen und das herzerwärmende Lächeln .... Aber da war noch etwas. Ich habe doch noch ein Bild gesehen.«
Sie zermarterte sich das Hirn, während sie ihre Umgebung in sich aufnahm. Sie lagen in einem großen Bett, das aus Muschelschalen zusammengesetzt und mit einer dicken weichen Masse gefüllt war. Kuschelige Decken umgaben sie und ließen sie darin versinken. Die Wände des Zimmers, in dem sie sich befand, schimmerten wie rotes Milchglas. An der Decke hing eine leuchtende Kugel, die für die trübe Helligkeit im Raum verantwortlich war. Ein sanfter Schimmer ging von ihr aus und ließ sie wie von einer Aureole umstrahlt aussehen. Außer dem Bett und mehreren aus Stein gehauen Stühlen, die ebenfalls mit Muschelschalen verziert in der Ecke standen, befand sich kein weiteres Möbelstück im Raum. Dann aber entdeckte sie den schönsten Anblick dieses verkorksten Tages. Ihre Freundin schlummerte friedlich neben ihr. Sie hatte die Hand unter das Gesicht geschoben, die Beine angezogen und schien friedlich wie ein Baby zu schlummern.
Etwas neidisch stellte Svenja fest, dass Marie mit ihrem Pragmatismus und ihrer Nüchternheit die besten Träume zu haben schien. Ein sonniges Lächeln umspielte die vollen Lippen der Freundin. Besorgt musterte sie das erschöpfte Gesicht neben sich. »Sehe ich genauso fertig aus wie sie?« Dachte Svenja. Tief seufzte sie auf. »Gut, wir haben überlebt. Es hat uns jemand gerettet. Wenn dieser jemand etwas Böses wollen würde, hätte man uns nicht die nassen Sachen ausgezogen und uns in weiche Decken gehüllt.«Von ihren Überlegungen völlig erschöpft ließ sie sich wieder in die weichen Decken zurücksinken und hüllte sich mit ihnen ein wie in ein schützendes Nest. Fest umklammerten ihre Hände wieder die Hände von Marie-Anna. Sie waren zusammen und gerettet. Dann forderte die Mattigkeit ihrer Glieder ihren Tribut und die verwirrte junge Frau schlummerte wieder ein.
Diesmal träumte sie nicht von Feuer. Sie verarbeitete auch nicht den gerade erst überstandenen Schrecken des beinahe Ertrinkens. Stattdessen sah sie wieder den liebevollen Blick aus kobaltblauen, blitzenden Augen und ein Lächeln voller Liebe. Wohlige Wärme umfing sie und ihr Mund verzog sich im Schlaf zu einem friedlichen Lächeln. Bevor sie noch tiefer in den Schlaf absinken konnte, erschien ihr im Traum die Gestalt einer wunderschönen Frau. Ihre Stimme klang wie das Zusammenschlagen von kleinen Glöckchen, einfach herrlich rein und lieblich. »Willkommen zurück auf der vergessenen Insel, kleine Svenja. Du wirst hier dein Glück wiederfinden, wenn du dich richtig entscheidest. Achte auf die blutrote Blüte auf weißer Haut. Dort findest du deine Erfüllung. Ich werde dir helfen, aber ich erwarte auch deinen Dank.« Als Svenja das nächste Mal wach wurde, rüttelte sie jemand unsanft an den Schultern.»Sveni! Sveni! Sveeennniiiii! Mensch du Traumtasche, nun mach endlich deine Guckerle auf. Heidenei. Du bist hier doch nicht in einem Feriendomizil. Nun wach zum Donnerwetter noch mal endlich auf!«
Svenja spürte, wie jemand anfing, rhythmisch ihre Schultern hoch und runter zu bewegen. » Svennnnniiii. Wach! Auf! «Von dieser rüden Behandlung so langsam aus ihrem so mühevoll hergestellten Traumzustand hervorgeholt, rieb müde rieb sie sich über die Augen.» Was ist denn los, Marie.« »Sveni. Wo sind wir hier. Was ist mit uns passiert? Ich weiß nur noch, dass ich über Bord gegangen bin und das du dummes Huhn mir hinterher gehechtet bist. Ich hab dich ja noch angebrüllt, dass ich dich vierteilen werde, wenn du über die blöde Bordwand juckst. Aber was machst du? Du musstest mir ja unbedingt nachspringen. Und was haben wir jetzt davon? Wir sind beide ertrunken.«
Nun musste Svenja doch lachen. »Ach bitte Marie. Sei doch nicht so dramatisch. Wir können nicht abgesoffen sein. Du streitest ja noch mit mir wie ein altes Waschweib. Wenn wir ertrunken wären, dann würden doch für uns beide jetzt Geigen singen und wir wären glücklich und zufrieden. Und? Bist du zufrieden? Nein! Du quengelst! Also sind wir nicht tot!« »Menno Sveni. Ich erinnere mich aber genau, wie bei mir die Lichter ausgingen. Ich habe deine Hand aus dem Dunkel auftauchen sehen und wusste genau, dass du mir helfen würdest. Ich schwöre tausend Eide darauf, dass du auch genau das gemacht hast. Ich kenne doch deinen Sturkopf.«
Ausgiebig gähnte sie, bevor sie ihrer aufgeregten Freundin antwortet. »Wo wir hier sind, weiß ich auch nicht. Und wenn du noch so hysterisch schreist, werden wir es auch nicht eher erfahren«, grummelte sie verschlafen. »Wir sind trocken und am Leben. Außerdem liegen wir in einem weichen Bett und können uns erholen. Also harren wir halt der Dinge, die da kommen«, zuckte sie lakonisch die Schultern.
»Deine Ruhe möchte ich mal haben«, meckerte Marie-Anne und zog düster ihre Augenbrauen zusammen. Ihre Stimme schien sich beinahe zu überschlagen, als sie vor Aufregung immer höher und höher wurde. »Ich bin nicht hysterisch! Das verbiete ich mir. Auch wenn du meine beste Freundin bist, ich bin niemals hysterisch ich weiß nicht einmal, wie man das Wort schreibt«, schloss sie und warf Svenja Blicke zu, die jeden ängstlichen Menschen in die Flucht gejagt hätten. Ihre Freundin aber grinste nur, hob lässig die Hand und neckte sie grinsend. »Nicht die Stirn runzeln«, neckte Svenja. »Ein Model darf sich keine Falten erlauben.«
Erschrocken griff sie sich an die Stirn. »Falten? Ich habe keine Falten, höchstens Fältchen und auch die kann man nur mit der Lupe sehen.« Dann aber sah sie Svenja genau an, die immer mehr Mühe hatte, ernst zu bleiben und schließlich prusteten beide los. Der Lachanfall nahm der ganzen Situation etwas von der Spannung, die Zement schwer in der Luft zu schweben schien.
»Also merkwürdig ist das allemal. Schau dich doch nur um. Möbel mit Muscheln verziert. Rote Milchglaswände rings um uns rum. Also von so einem Ort habe ich noch nie gehört, geschweige denn Bilder darüber gesehen.« Die jungen Frauen diskutierten noch eine ganze Weile leise weiter, bis schließlich die Tür zur Seite glitt und eine Frau hineinkam. Marie schrie vor Schreck auf, als sie die grünlich schillernde Haut der Fremden sah und ihre blauen Haare. Svenja hätte es nie für möglich gehalten, aber Marie-Anna scheinen zum ersten Mal in ihrem Leben die Worte zu fehlen. Ihre Kinnlade sackte nach unten und sie starrte die Fremden voller Unglauben an. Erst ein freundlicher Rippenstoß ihrer Freundin sorgte dafür, das sich Ober- und Unterkiefer wieder aneinander annäherten. Für Svenja war nur eines interessant. Die Fremde trug ein Tablett voll beladen mit Obst und Säften vor sich her, das sie nun auf die Sitzfläche eines Stuhles stellte.
Schon beim Anblick der appetitlich angerichteten Speisen begann ihr Magen zu knurren. Fröhlich wendete die Fremde den Kopf und strahlte über das ganze Gesicht. Freundlich winkte sie die Freundinnen heran und sprach schließlich mit einer leisen, singenden Stimme, in der beinahe das Rauschen der Brandung zu hören war: »Willkommen in Aquarius. Seine Hoheit Adalar hat euer Unglück beobachtet und hat euch zu uns gebracht. Ihr müsst euch jetzt stärken und etwas zu euch nehmen. Mein Name ist Syra. Ich werde euch gleich noch frische Sachen zum Anziehen bringen. Mit Freude vernehme ich, dass eure Körper sich so weit angepasst haben, um Hunger zu verspüren. Ihr habt also den Schock des Beinaheertrinkens überstanden. Das wird unseren König freuen. Wir hatten schon Angst, dass der Schreck und der daraus resultierende Schock eure Körpergefühle blockieren würden. Ich freue mich, das ihr zu den robusteren Menschen gehört. Bitte bedient euch am Essen und führt euren Körpern die so dringend benötigte Nahrung zu.«
Mit diesen Worten verbeugte sie sich vor den beiden Freundinnen, die sie wortlos mit offenen Mündern anstarrten, und verschwand lautlos durch eine Tür, die sich hinter der schlanken Gestalt sofort wieder schloss. Verwirrt rieb sich Marie über die Augen. »Hast du das auch gesehen, Sveni!« Fragte sie fassungslos ihre nicht weniger verblüfft aussehende Freundin. »Grüne Haut. Blaue Haare habe ich ja schon mal gesehen, aber grüne Haut? Wo um Himmels willen sind wir hier?«
Verwundert und ratlos schüttelte sie den Kopf. »Also anscheinend sind wir in dieser Stadt ... Wie heißt sie noch mal? Ach ja. Aquarius«, sagte Svenja trocken, glitt vom Bett und griff sich eine saftige Pflaume vom Teller. Herzhaft bis sie hinein und schleckte sich dann genüsslich den von ihren Fingern tropfenden Saft vom Handgelenk. Verblüfft folgte Marie-Anna ihre Freundin mit den Blicken. »Wie kannst du denn jetzt nur ans Essen denken?«, fragte sie indigniert.
»Ich habe Hunger« kam die trockene Entgegnung. Ergeben seufzte Marie-Anna auf, krabbelte ebenfalls zum Bett und griff sich eine Frucht von dem goldenen Teller. »Na dann essen wir halt erst einmal.« Ihre leidenden Worte wurden von dem wütenden Knurren ihres Magens begleitet, der energisch nach Nahrung verlangte. Die beiden Freundinnen sahen sich nur an und brachen dann beide in fröhliches Lachen aus, bevor sie sich über das köstliche Festmahl hermachten und alles bis zum letzten Krümel vernichteten. Als Syra kurze Zeit später wieder eintrat, trug sie Gewänder aus seltsamem Stoff über dem Arm.
Bei ihr waren noch zwei andere Frauen, die Schüsseln mit Wasser und andere Gerätschaften bei sich trugen. Syra deutete auf ihre Begleiterinnen, deren Haut ebenso grün schimmerte wie ihre eigene. Auch die Haare dieser Frauen wiesen ein sattes Blau auf. »Dies sind Veda und Frola. Sie werden euch behilflich sein, euch zu richten. Ihr möchtet euch sicher die Haare waschen und das Salz vom Körper spülen. Wenn ihr bereit seit, wird euch seine Hoheit König Adalar einen Besuch abstatten. Er wird all eure Fragen beantworten, soweit es in seiner Macht steht.« Veda und Frola halfen ihnen so gut es ging, ihre Haare in den Schüsseln zu waschen und sich frisch zu machen. Die Kleider waren weit und fließend. Der Stoff schillerte in allen Farben des Regenbogens und fühlte sich glatt und seidig auf der Haut an. Veda bemerkte, wie Svenja bewundernd über das kühle Gewebe streichelte und lächelte. Schnell schlüpften sie hinein und waren von der Angenehmheit der Materialien auf der Haut sehr überrascht.
»Der Stoff ist eine Anfertigung aus unseren eigenen Webereien. Er wird im Wasser nicht nass«, erklärten die Meerfrauen. Für längere Erläuterungen blieb aber keine Zeit, denn wieder glitt die Tür auf und ein großer, schlanker Mann erschien im Zimmer. Auch er hatte blaue Haare, die allerdings so dunkel waren, dass sie beinahe ins schwarz hineingingen. Er trug die Haare etwas länger und einige Locken ringelten sich über den Rand seines hohen Kragens. Das enge Oberteil mit langen Ärmeln umschloss seinen Körper wie eine zweite Haut und ließ das Spiel seiner Muskeln darunter mehr als erahnen. Seine schlanken langen Beine steckten in einer Hose aus demselben Stoff, die diese leicht umspielte.
Das Model in Marie-Anna betrachtete fasziniert diese ungewöhnlichen Kreationen. Solche Stoffe und Kleidungsschnitte hatte sie noch nie gesehen, und sie hatte schon die Modelle der exzentrischsten Künstler über den Laufsteg getragen. Vor Erstaunen atemlos betrachteten die Freundinnen das Gesicht des Mannes, welches auf eine männliche Art gut aussehend war, wenn man sich nicht durch grüne Haut und strahlend violette Augen irritieren ließ. Sofort suchte Svenja seinen Blick. Würde sie hier endlich die Augen finden, die sie schon so lange im Traum verfolgten? Ihre ganze Situation war so unwirklich, dass sie die Hoffnung hegte, endlich Antworten auf ihre vielen Fragen finden zu können. Enttäuscht senkte aber kurze Zeit später wieder den Blick. »Nein«, dachte sie. »Das sind nicht die Augen aus meinem Traum.«Der König seinerseits ließ den Blick wohlwollend auf den beiden jungen Damen verweilen. Es gefiel ihm gut, sie in die Gewänder seines Volkes gekleidet zu sehen. Obwohl beide noch durcheinander waren und man ihnen die Schrecken ihres Nahetodes noch ansah, waren sie von erlesener Schönheit.
»Wie ein Märchenwesen«, dachte Adalar und seine Blicke verweilten länger auf Svenja, als dies notwendig gewesen wäre. Besorgt musterte Syra ihren König. »Wenn er sich nur nicht in die rothaarige Fremde verliebt, so wie er sie ansieht.« Dachte sie besorgt. »Das würde nie gut gehen. Ein Landbewohner und ein Wasserbewohner. Das ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.«Unwillig schüttelte sie den Kopf, um die besorgten Gedanken zu verdrängen und widmete sich dann wieder ihren Gästen.
»Willkommen in Aquarius, der Stadt der Meermenschen tief auf dem Grunde des Ozeans«, wandte sich der König an die beiden Besucherinnen. »Wir haben euer Unglück verfolgt und konnten euch gerade im letzten Moment noch zur Rettung eilen. Leider ist das Schiff, mit dem ihr unterwegs gewesen seid, weitergefahren. Währenddessen aber glittet ihr unter Wasser über die Grenze unserer Dimensionen. Ich selbst weiß leider keinen Weg, wie ich euch wieder in eure Welt bringen kann, aber ich kenne jemanden, der dies vielleicht vermag.«
Svenja bekam große Augen. »Wir sind in einer anderen Dimension?« Fragte sie unsicher. »Ja. Ihr seid am Grunde des Ozeans, der die vergessene Insel, jenseits von Zeit und Raum, umgibt.« Nun mischte sich auch Marie-Anna ein. »Euer Hoheit«, fing sie beherzt an zu sprechen. »Ihr sagt, dass ihr jemand kennen würdet, der uns helfen kann. Wer ist das? Könnt ihr uns mehr über diese Person erzählen? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sie die einzige Chance für uns, nach Hause zurückzukehren«, fragte sie neugierig und strich sich nervös eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich beim Trocknen gekringelt hatten.
»Dazu muss ich etwas weiter ausholen, damit ihr die Geschichte der Insel besser versteht und Semiramis Rolle in dieser«, gab der König bereitwillig Auskunft. Vor vielen Jahren wurde diese Insel von dem schwarzen Hexer Maglador beherrscht. Nur wenige kämpften noch gegen ihn und seine fürchterlichen Armeen von Trollen, Zwergen und Formwandlern. Auch die abtrünnigen Vampire und bösen Hexen folgten ihm und überzogen unsere Insel mit Hass und Krieg. Adalar setzte sich auf einen der wenigen Stühle und forderte mit einer Handbewegung die anwesenden Frauen auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Dann setzte er seine Erzählung fort. Svenja und Marie-Anna lauschten ihm mit angehaltenem Atem.
Vor ihren inneren Augen schienen die Ereignisse wie in einem Film abzulaufen,so anschaulich und fesselnd erzählte der König. War dies alles hier auf dieser mystischen Insel wirklich passiert? Gab es nicht nur Meermenschen, sondern auch Vampire, Hexen und Zauberer. Ruhig erzählte Adalar weiter. »Als die guten Völker der Insel schon fast die Hoffnung auf Frieden aufgegeben hatten, wurde eine Prophezeiung verbreitet. Es würde eine Frau kommen, halb Vampir und halb Magier, die Maglador zu Fall bringen könnte. Lange warteten wir auf die Retterin, aber sie kam nicht. Maglador säte derweil weiter Hass und Feindschaft und schaffte es, die Völker untereinander fürchterlich zu entzweien. Vampire hielten die Einhörner für ihre Feinde, die Magier kämpften gegen die Vampire. Jeder dachte, der andere würde Krieg gegen ihn führen, dabei waren das alles nur die Intrigen von Maglador.
Eines Tages hatte dann der Häuptling der Pantherreiter, Deikugon, die Vision von einer jungen Frau aus einer anderen Welt.« Er musterte die beiden Frauen wohlwollend. »Es war eure Welt.« »Eine Frau aus unserer Welt« unterbrach ihn Marie-Anna aufgeregt. Die Geschichte nahm sie so in Atem, das sie vor Aufregung rote Wangen bekam. »Wie ist sie denn hierher gekommen? Aber wie konnte sie denn die Retterin sein? Sie war doch ein Mensch und kein Halbvampir oder Halbmagier.«
»Unterbrich ihn doch nicht, Marie«, wies Svenja ihre Freundin zurecht. Auch sie hing an Adalars Lippen und konnte nicht erwarten, dass er mit seiner Erzählung fortfuhr. Gutmütig lachte er auf, als er bemerkte, wie sehr er mit seinem Bericht die beiden Fremden fesselte. Zufrieden lächelnd lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und fuhr fort. »Semiramis, so hieß die junge Frau, folgte den Anweisungen von Deikugon und gelangte unangefochten mit ihrem Boot durch die Schutzbarrieren des Dimensionstors. Noch nie vorher gelang dies jemandem.« »Aber«, wollte ihm Marie-Anna wieder ins Wort fallen, doch er unterbrach sie, indem er eine Hand hob. »Ja, meine Dame. Ihr habt recht. Euer Schiff war vom Kurs abgekommen und befand sich nur am Rand des Sturms des Vergessens. Zum Glück. Wäret ihr mitten hineingefahren, wäre das ganze Schiff verloren gewesen. Auch so noch war die Gewalt dieses magischen Sturmes so heftig, euch über Bord zu wehen. Der Sog ließ euch auch im Wasser nicht los und riss euch durch das Tor in unsere Welt. So haben wir euch im Wasser treibend gefunden und gerettet. Da es uns unmöglich war, euch wieder zurückzubringen haben wir euch hierher gebracht. Aber nun wieder zurück zu Semiramis.«
Aladar griff zu einem der bereitstehenden Wassergläser und befeuchtete sich seine vom Erzählen trockene Kehle. Die Spannung im Raum war so groß, dass alle Zuhörer vor Erleichterung aufseufzten, als er weiter erzählte. »Als Semiramis hier auf der Insel ankam, stellte sich heraus, dass sie die erwartete Retterin war. Ihre Eltern, eine Vampirprinzessin und ein großer Magier, brachten sie in eurer Dimension bei Pflegeeltern in Sicherheit. Deikugon fand heraus, dass sie überdies seine Gefährtin war, und beanspruchte sie für sich. Sie vereinte dann die Völker der Insel und in einer großen, gemeinsamen Schlacht wurde Maglador besiegt. Seit dem haben wir wieder Frieden auf der Insel«
»Das muss eine aufregende Zeit gewesen sein« nickte Svenja. »Wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann glaubt ihr, dass uns Semiramis helfen kann, wieder in unsere Dimension zu gelangen?« Alalar war so sehr in den Anblick der rotgoldenen Schönheit vertieft, dass es einen Moment dauerte, bis er begriff, das sie ihn etwas gefragt hatte. Schnell riss er sich zusammen und beeilte sich zu antworten. »Oh ja« pflichtete ihr Adalar bei, wobei kurzzeitig Bedauern in seinen schönen, violetten Augen aufblitzte. Diese Frau brachte sein Herz in Wallung und sie nun wieder aufzugeben, wo er sie gerade erst gefunden hatte, gab ihm einen Stich ins Herz. Schon begann er Pläne zu schmieden, wie er es drehen konnte, das sie Semiramis nie traf und somit auch keine Chance hatte, wieder aus seinem Leben zu verschwinden. Dann aber siegte doch seine Gutmütigkeit. Diese beiden Frauen saßen verwirrt und desorientiert vor ihm. Sie gehörten nicht ins Meer, ja noch nicht einmal an den Strand der vergessenen Insel. Diese beiden Frauen kamen aus einer anderen Welt. Adalar hatte jetzt schon eine Wut im Bauch, wenn er an diese andere Welt dachte. Er hatte Gedankenfragmente und Gefühlsfärbungen von Svenja aufgefangen. In ihrer Welt hielt man sie für zu dick und unattraktiv. Zumindest glaubte Svenja selber, dass man sie dafür hielt. Erbost schnaubte der gut aussehende Nixerich abfällig.
Selbst wenn diese Andersweltmenschen nicht glaubten, dass diese Frau keine atemberaubende Schönheit war, dann gehörten ihnen trotzdem die Ohren mit Seetang vollgestopft, dass sie dieses Rasseweib so mit Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen herumlaufen lassen. Da hätte doch schon längst einer den Hai am Schwanz fassen müssen und die Fangzähne auseinander zu bekommen Dann aber sah er in Svenjas Augen und fand dort sehr viel Schmerz, Unsicherheit und Sehnsucht. Sofort verschwand sein Groll gegen das Schicksal und den Rest der Welt und er hatte nur einen Wunsch. Der Fremden musste geholfen werden. Fischschwanz hin oder her.
Tief atmete er auf und begann dann mit seinen Erklärungen. »Semiramis besitzt einen magischen Spiegel, der die Grenzen zwischen den Dimensionen öffnen kann. Mit ihm könnte sie euch als zurückschicken.« Aufgeregt rang Marie-Anna die Hände. »Das wäre ja wunderbar. Ich habe doch in zwei Wochen wieder einen Auftrag. Ich muss dann unbedingt in Paris sein.« Adalar nickte zustimmend und fasste für sich einen folgenschweren Entschluss. Er würde den Frauen helfen. Sollte ihm das Schicksal seine Gefährtin geschickt haben, würden sie einen Weg finden. Nun aber sollte sie ihren freien Willen und ihre Möglichkeiten zur Wahl einer Entscheidung haben. »In vier Tagen findet ein Treffen aller führenden Regenten der Insel statt. Semiramis wird dort als Anführerin der Pantherreiter mit ihrem Mann anwesend sein. Ich werde euch mitnehmen nach Dunkelhain, dem Schloss von König Vladimir. Dort findet das Treffen statt und dort können wir dann auch alle beraten, ob eure Ankunft einem besonderen Schicksal folgt, oder wir euch sofort zurückschicken können.«
Als Svenja den Namen Vladimir von Dunkelhain hörte, krampfte sich ihr Herz zusammen und begann dann wie nach einem plötzlichen Schock schnell und schmerzhaft in ihrer Brust zu flattern. Wieder erschienen vor ihren inneren Augen diese lachenden, kobaltblauen Augen und der volle, sanft lächelnde Mund, den sie schon in ihren Träumen gesehen hatte. »Was ist nur mit mir los.« Dachte sie verzweifelt. »Ich kenne den Mann gar nicht. Warum bin ich dann bei der Nennung seines Namens so aus dem Häuschen? Und wem gehören diese Augen?«
Während in Aquarius die junge Frau ratlos in sich hineinhorchte und ihre Gedanken zu ordnen versuchte, bereitete man in Dunkelhain alles für das Zusammentreffen der Anführer vor. Schloss Wolkenbruch wurde herausgeputzt und die große Versammlungshalle mit noch mehr Leuchtern und Wandbehängen an den Wänden verziert. Dort hingen nun nicht nur die weinroten Wandbehänge mit den Wappen von Dunkelhain, sondern auch noch die dunkelgrünen Banner von BarDon, dem Land der Elfen und die silbernen von Drachennest, dem Hauptsitz seines Onkels Drakko, dem Anführer der Drachenvölker, der mit Vladimirs Tante Seraphina verheiratet war. Mit Stolz hatte er auch gleich nach dem Ende des Krieges ein Banner von Melicor, der Magierstadt hingehängt, aus der sein Schwäger Miragus stammte.
Seitdem sie sich alle wieder gefunden hatten, hielten die Familien eng zusammen und waren Stolz auf ihre weiten Verzweigungen. Trotz all der Aufregung um das Fest war Vladimirs Stirn gerunzelt und sein Herz war schwer wie Blei. Immer wieder musste er an das letzte Treffen der Anführer denken, welches ebenfalls in Dunkelhain stattgefunden hatte. Damals, vor so unendlich langer Zeit. Lange vor dem Kampf gegen den schwarzen Hexer. Schwer drückte ihn der Schmerz und schnürte ihm brutal die Brust zusammen. Kurz nach diesem Treffen war seine geliebte Frau Venja ermordet worden. Den waren Mörder hatte man bis heute noch nicht gefunden. Aber war es nun Mord oder vielleicht doch nur ein unglücklicher Unfall? Das war auch ein Punkt, der Vladimir bis ins Mark erzürnte.
»Ach Venja«, dachte er. »Wo bist du nur? Die Todesfeen haben mir doch gesagt, dass du zu mir zurückkommen würdest. Meine kleine Venja« flüsterte er. »Ich liebe dich noch immer so unendlich. Du fehlst mir in jeder Sekunde, in der ich verdammt bin, ohne dich zu leben. Wenn du doch nur unseren Sohn sehen könntest. Er hat so viel von dir geerbt. Nun gut. Im Aussehen kommt er eher nach mir, aber in seinem Wesen ist er dir so ähnlich. Du kannst so stolz auf ihn sein. Er hat nie geklagt, wenn ich ihn wieder einmal mitgenommen habe auf meinen unendlichen Reisen um dich zu finden. Niemals hat er sich beschwert über seinen harten und wortkargen Vater. Oh ja, mein Herz. Ich bin ein griesgrämiger Tropf geworden, ohne dich. Der lachende, immer fröhliche junge Mann, dem du so oft vorgeworfen hast, nie ernst genug zu sein um ein großes Reich wie das unsere regieren zu können, den gibt es schon lange nicht mehr.
Aber unser Sohn ... Jaaa ... Er ist ein Mann geworden, der sich nicht verstecken muss, wenn seine Mutter uns endlich vom Schicksal wieder gegeben wird. Ich sehe schon, wie du auf ihn zugehst und ihn in deine Arme nimmst. Wann ist es denn endlich so weit? Wie lange muss ich denn noch warten. Mein Herz. Ich kann langsam nicht mehr. Jede Sekunde ohne dich bedeutet mir körperliche Schmerzen. Jeder Atemzug, ohne deinen Duft einatmen zu können, ist eine Qual. Wo bist du nur, mein Liebling. Wie lange dauert es denn noch, bis du endlich zurückkehrst? Ich vertraue der Schicksalsgöttin. Sie hat uns geschworen, dass du zu uns wieder gegeben wirst, aber wie lange warte ich schon. Wie lange muss ich noch warten?
Mit jedem Monat und jedem Jahr, welches vergeht, stirbt ein Stück meiner Seele. Nur meine Liebe zu dir hält mich noch davon ab, die Dunkelheit zu suchen und den Tod, aber mein Herz hat auch bald keine Hoffnung mehr. «Finster starrten seine wunderschönen kobaltblauen Augen in die Dunkelheit, die ihn umgab. Sein sinnlicher Mund bildete eine fest zusammengekniffene Linie. Seit dem Tod seiner einzigen Liebe hatte sich dieser Mund kaum einmal zu einem Lachen verzogen und die überschäumende Fröhlichkeit, die einmal ein fester Teil seines Lebens war, war verschwunden. Jetzt wirkte er hart und kalt. Manche hielten ihn sogar für gefühllos.
Er hatte alle Kerzen im Thronsaal ausmachen lassen, die Diener weg geschickt und saß nun hier inmitten seiner Erinnerungen. »Wir haben uns auch hier kenne gelernt, Venja. Ich erinnere mich noch genau, wie du mit deinem Vater hier ankamst. Ein Mädchen, kaum der Kinderstube entwachsen, mit wilden langen rotgoldenen Locken und mit einem unglaublichen Temperament. Zu unser aller Erstaunen war deine Haut nicht weiß, sondern golden. Dein Vater hat oft mit dir geschimpft, weil du immer im Sonnenlicht durch die Wälder gestreift bist, und er dir dann mehr Blut geben musste, damit dein Körper die durch das Sonnenlicht verursachten Schäden reparieren konnte.
Ich habe nur einen Blick auf dich geworfen und sofort hattest du mein Herz erobert. Du hast mit nur einen einzigen Blick aus deinen wunderschönen grünen Augen zugeworfen, und ich war für immer dein.« Nachdem die Todesfeen Mitleid mit dem vor Gram und Schmerz halb wahnsinnigen Fürsten fühlten, hatten sie ihm die Vorhersage gemacht, das Venja eines Tages wiedergeboren und zu ihm zurückkehren würde. Wie ein wahnsinniger hatte er das Land kreuz und quer nach ihr abgesucht. Unendlich lange Zeit war er mit seinem kleinen Sohn von Land zu Land gereist, auf der Suche nach seiner geliebten Frau. Aber in wie viel Frauenaugen er auch sah, mit wie viel Hoffnung er auch suchte: Venja blieb verschwunden. Mit fester Hand führte er sein Volk und richtete all seine Energie darauf, es vor jedem Gegner zu schützen, woher er auch kam. Ebenso suchte er immer noch händeringend nach Hinweisen über den Tod seiner Frau.
Sie war damals in einer Scheune eingeschlossen worden und verbrannt. Immer wieder kreisten seine Gedanken um diese Frage: War es ein Unfall oder doch Mord? Verbittert suchte er nach Hinweisen und drehte jeden Stein dreimal um, aber ihr Tod blieb geheimnisvoll und sie selbst immer noch verschwunden. Was hatte sie in der abgelegenen Scheune gesucht? Warum war sie dort hingegangen? Wie konnte der schwere Balken vor dem Ausgang von innen zufallen? Warum war sie nicht heraus teleportiert und wie zum Henker nochmal konnte das Feuer überhaupt ausbrechen? Die Fragen drehten sich nun schon seit Jahrzehnten in seinem Kopf und er konnte auf keine von ihnen eine Antwort finden. Schließlich verlor er auch noch den letzten Funken an Hoffnung, Licht hinter die mysteriöse Angelegenheit zu bringen und auch, seine Frau wieder zu finden und sein Herz wurde kalt wie Stein.
Nicht einmal einen Schuldigen hatte er, dem er die Schuld für sein Unglück geben und an dem er Rache nehmen konnte. Gar nichts war ihm geblieben. Gar nichts? Nun lächelte der große Mann doch etwas in seiner Verbitterung. Doch. Sein wunderbarer Sohn war ihm geblieben. Das letzte Vermächtnis seiner geliebten Venja. Ein Stück von ihr lebte in Seraphin weiter. Nur er konnte ihm noch Freude machen. Er hatte so viel von seiner Mutter geerbt. Sein Sohn ...
Trotzdem war er lange Jahre war er verbittert, einsam und hart. Erst als er seine Nichte Semiramis wiederfand, taute das Eis um sein Herz etwas auf und als dann noch seine lange verschollene Schwester Virgilia wieder auftauchte, wagte sich auch wieder etwas Hoffnung unter den dicken Schichten Eis hervor, mit denen er seine Seele umgeben hatte, um nicht wahnsinnig vor Schmerz zu werden. Leise stieg ein kleiner Funken Hoffnung in ihm hoch, das noch ein weiteres Wunder geschehen könnte und ihm Venja wiedergegeben werden würde. Als dann auch noch die Schicksalsgöttin ihm ausrichten ließ, das sie ihn nicht vergessen hat, hoffte er noch mehr, aber inzwischen waren schon wieder zehn Jahre vergangen und noch immer gab es nicht den kleinsten Fetzen einer Information über seine Geliebte.
Mit einem trockenen Aufschluchzen presste er sein Gesicht in die Handflächen und ließ seiner Trauer hier, umgeben von Stille und Dunkelheit, freien Lauf.
Die Tage bis zur Abreise nach Dunkelhain verbrachten Svenja und Virgilia damit, die unglaubliche Unterwasserstadt zu erforschen. Adalar hatte ihnen kleine magisch angefertigte Masken gegeben, mit denen sie Sauerstoff aus dem Wasser herausfiltern konnten. An ihren Füßen trugen sie Stiefel mit kleinen Gewichten, sodass sie nun auch auf dem Meeresboden normal laufen konnten. Aber auch bei all den neuen Eindrücken hatte Svenja die Augen nicht vergessen, die ihr nach wie vor jede Nacht im Traum erschienen. »Wenn ich nur wüsste, wem diese Augen gehören.« Überlegte sie oft. Adalar hatte ihnen erklärt, dass sie auf das Eintreffen von Magnus warteten. Er war ein Zauberer aus der Magierstadt Melicor, der mit Adalar gegen Maglador gekämpft hatte. Magnus sollte sie nun auf ihrer Reise begleiten und dafür sorgen, dass jederzeit ein magischer Wasserfall erschien, wenn die Meermenschen an Land ihre Haut wieder mit Wasser benetzen mussten.
Die Stadt auf dem Meeresboden war riesig und es herrschte hier ein reges Treiben. Die Häuser waren alle aus demselben milchigen, rot gefärbtem Glas und ihre Dächer waren mit schillernden schneeweißen Muschelschalen gedeckt. Zum Erstaunen der beiden Frauen gab es auch hier auf dem Grunde des Ozeans Einkaufsläden und Märkte. Es gab sogar Spielplätze für die Kinder, wenn sie auch völlig anders aussahen als die Plätze, die die beiden Reisenden aus ihrer Welt her kannten. Die Meermenschen hatten für die Kinder ein altes Schiffswrack umgebaut und die kleinen Meerkinder schwammen vergnügt durch die Fenster und hinunter in den dunklen Bug des Schiffes. Man hatte eine große Rinne an der Bordwand angebracht, über die die Kleinen laut lachend bis zum Meeresboden rutschen konnten, der dann dunkel aufwirbelte, wenn er von kleinen Kinderfüßen durchpflügt wurde. Für die beiden Freundinnen war es ein unglaubliches Gefühl, sich über den Meeresboden zu bewegen und von Fischschwärmen umkreist ihre Einkäufe zu machen. Die Währung in Aquarius bestand aus Muscheln und Adalar hatte ihnen einen großen Vorrat davon ausgehändigt, damit sie sich neu einkleiden können.
»Ihr habt ja all euer Hab und Gut auf eurem Schiff zurücklassen müssen«, hatte er argumentiert. »Schließlich habe ich eine Schwester und sie hat mir sehr lautstark deutlich gemacht, das Frauen tausend Sachen benötigen und ich als König dafür zu sorgen habe, das ihr euch mit allem eindecken könnt, was ihr benötigt«, lachte er. »Lieber kämpfe ich mit einem wilden Tigerhai als mit meiner Schwester, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«Besonders Marie-Anna war von den Kleidergeschäften völlig hingerissen. All die fremdartigen Stoffe und Schnitte ließen ihr Künstlerherz heftig in ihrer Brust pochen. Bald hatte sie dafür gesorgt, dass sie beide über traumhafte Kleidung verfügten.
Sie hatten auch Kämme und Bürsten gekauft, Bänder für die Haare, Schuhe und manch anderen Zierrat. Lachend und scherzend waren die jungen Frauen begleitet von ihren neuen Freundinnen zu einem Laden mit Schmuckstücken geschwommen, als Svenjas Blick auf eine glitzernde Haarspange fiel, die einen den Mond anheulenden Wolf darstellte.
Sie konnte sich kaum vom Anblick der Spange lösen. Vor ihrem inneren Auge sah sie eine Hand, die ihr solch eine Spange reichte. Sie hörte eine vor Freude überschäumende Männerstimme, die ihr ins Ohr flüsterte:» Mein Engel. Ich habe unsere besten Goldschmiede gebeten, dir dein Lieblingstier als Haarschmuck zu kreieren. Nun hast du unser Wappentier immer bei dir, wenn du deine herrlichen Locken bändigst.«
Die Vision verschwand so schnell wieder, wie sie gekommen war, aber der Verkäufer hatte Svenjas Blick bemerkt. Geschäftstüchtig schwamm er heran. »Oh, sie haben sich eines unserer schönsten Stücke herausgesucht. Es ist etwas teurer, denn es stammt direkt von den Schmieden aus Dunkelhain und soll eine Nachbildung der legendären Liebesgabe des Vampirfürsten an seine Frau sein. Solch eine tragische Liebe. «
Der Nixerich hatte seine Stimme dramatisch gesenkt, als er eifrig sein Verkaufsgespräch startete.. Als er aber den irritierten Blick seiner Kundin sah, hatte er nun doch Angst, dass ihm dieses lukrative Geschäft entgehen könnte. Schließlich hatte auch er gehört, dass die Gäste seines Königs hier ohne Limit einkauften. »Machen sie sich keine Sorgen. An dem Schmuckstück haftet kein Fluch. Es wird bei uns sehr geschätzt als Symbol für ewige Liebe. Schließlich starb die Fürstin unter mysteriösen Umständen und ihr Mann liebt sie über den Tod hinaus und trauert noch heute um sie. Dann gibt es auch noch die Prophezeiung der Götter, das die Fürstin noch einmal wieder geboren werden wird.«
Dramatisch atmete er auf. »Es ist einfach ein Zeichen für unendliche, über den Tod hinaus gehende Liebe.«Svenja hätte die Spange schon gerne gehabt, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Eine Stimme in ihrem Inneren schien zu sagen, das dies nicht das richtige Schmuckstück ist. Ähnlich ja, aber nicht ähnlich genug für ihr Herz. Bedauernd zuckte sie die Schultern und wendete sich einem wunderschönen Haarband zu. Nach einiger Zeit war sie mit ihren Gedanken wieder ganz woanders und munter ging der Einkaufsbummel unter für sie so ungewöhnlichen Umständen weiter. Syra, Veda und Frola zeigten den Freundinnen noch viele Besonderheiten des Unterwasserreiches und gemeinsam hatten sie viel Spaß.
Die Zeit bis zur Abreise verging wie im Fluge und viel zu schnell war es Zeit, die Unterwasserstadt zu verlassen. Endlich kam die Nachricht, dass Magnus eingetroffen war und am Strand zum Einhornwald auf sie warten würde. Schnell wurden die Sachen zusammengepackt und zusammen mit Adalar und seinen zehn Begleiter schwammen sie zur Wasseroberfläche, um zum ersten Mal den Boden dieser sagenumwobenen Insel zu betreten.
Erstaunt blickte Magnus der Gruppe entgegen, die auf ihn zukam. Die beiden Frauen mit der elfenbeinernen Haut stachen sofort aus der Gruppe grünhäutiger Meermenschen hervor. Sie trugen die in allen Farben des Meeres schillernden Gewänder, die typisch für das Unterwasservolk waren, und hatten ihre Haare zu Zöpfen zusammengebunden, die mit Bändern und Muscheln geschmückt waren. Die beiden waren sehr unterschiedlich, aber jede auf ihre Weise wunderschön. Neugierig wartete er, bis die Gruppe ihn erreicht hatte. »Seid gegrüßt Adalar, König der Meere«
»Dir auch einen Gruß Magnus. Es ist lange her«, lächelte der Nixerich und hob beide Arme mit gespreizten Händen über die Brust, um Magnus mit der bei seinem Volk üblichen Begrüßungsgeste zu ehren. Die Finger beider Hände waren in Brusthöhe weit gespreizt. Dieser Gruß war so alt wie das Volk der Meermenschen und bedeutete gleichzeitig Gruß und Friedensgeste in einem. Magnus erwiderte den Gruß, zog aber gleich darauf den König in seine schmächtigen Arme und drückte ihn Fest an die Brust.
Svenja gefiel der junge Zauberer sofort. Er war von eher kleiner Statue, erschien aber durch seinen hohen, spitzen Hut größer. Ein lausbübisches Lächeln leuchtete in seinem durchweg sympathisches Gesicht. Die großen blauen Augen blitzten vor Übermut und Svenja glaubte, auch Neugier in ihnen zu lesen. Eine wuschelige Mähne von kurzen, braunen Locken lugte unter seinem blauen Hut hervor und ließ ihn jungenhaft erscheinen. »Du hast Besuch mitgebracht?« Fragte er schließlich Adalar, und wieder glitt sein Blick über die beiden Frauen.
»Magnus, darf ich vorstellen, dies sind Marie-Anna und Svenja. Sie kommen aus der alten Welt von Semiramis.«Nun war es an Magnus, vor Erstaunen die Augen weit aufzureißen. »Aus der Menschenwelt?« Stotterte er verdattert. »Da brat mir doch einer einen Storch. Welcher Elf hat den nun schon wieder seine Gefährtin erkannt?« Sein Blick flog von einer Frau zur anderen, aber er reichte beiden Damen freundlich die Hand. »Elf? Gefährtin?« Fragte Marie-Anna erstaunt. »Gibt es Elfen denn wirklich?« Sie sah mit großen Augen Svenja Hilfe suchend an.
Diese lachte hell auf. »Mit an Sicherheit grenzender Tatsache gibt es sie in dieser abenteuerlichen Welt.«Wandte sie sich an den jungen Magier. »Mit einem Elfen haben wir bisher noch nichts zu tun gehabt.« Während sie dies noch sagte, dachte sie wieder an die Augen. Gehörten sie mitunter einem Elfen? Wenn der junge Magier so fragte, schien dieses Volk die Macht zu besitzen, Botschaften in ihre Welt zu schicken.
Magnus, der die beiden Frauen abwechselnd musterte, konnte seine Neugier nicht länger befriedigen. Er wandte sich an Svenja, die ihm am nächsten stand. »Also. Wie habt ihr es nun geschafft, durch die Barrieren zu kommen?« Erkundigte er sich neugierig. Diese zuckte unschlüssig die Schultern. »Das weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Wir befanden uns an Bord eines großen Schiffes.
Plötzlich brach ein Sturm los. Wir waren gerade an Deck und eine Sturmböe wehte meine Freundin über Bord.« Dabei deutete sie mit der Hand auf Marie-Anna. Erpicht darauf, ebenfalls etwas zu dem Bericht zuzusteuern, erzählte sie dann auch gleich den Rest der Geschichte. Magnus lauschte mit erstaunen, dass die rothaarige junge Frau ihrer Freundin in die tosenden Wellen nach gesprungen war, ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken. Seine Achtung vor der kleinen Schönheit, die noch einen Kopf kleiner war, als er selbst wuchs. »Dann war es vermutlich Vorsehung, das ihr hier her gekommen seit.«
Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Hmmmm. Dann muss ich doch einmal versuchen, ob ich nicht etwas über euer Schicksal herausfinden kann.« Mit seinen schlangen langen Fingern griff er in sein weites blaues Gewand und zog eine Glaskugel hervor. Er balancierte sie auf seinen Fingerspitzen und machte mit der zweiten Hand eine elegante Bewegung um sie herum. Mit großen Augen verfolgten die beiden Freundinnen, wie gelb glühende Blitze in der Kugel zu zucken begannen und ein kleines Gewitter in ihr zu toben schien. Dann breitete sich dichter Nebel in ihr aus, bis sie gänzlich Weiß schimmerte.
Als Svenjas Blick auf Magnus Gesicht viel, verschlug es ihr kurzzeitig den Atem. Alles Jungenhafte war von ihm abgefallen und in seiner Konzentration wirkte das Gesicht männlich und hart. »Er scheint mehr Macht zu haben, als man ihm zunächst ansieht«, dachte sie. »Ich hätte nie gedacht, dass man so etwas sehen kann.« Die Anwesenden beobachteten mit angehaltenem Atem den jungen Magier. Alle waren neugierig, ob er etwas über das Schicksal der beiden Frauen herausfinden konnte. Als er schließlich den Blick von der Kugel hob und ihn die Gesichter der Anwesenden sah, war sein Gesicht vor Schreck blass geworden. Seine vorher so muntere Stimme klang brüchig, als er zu sprechen begann.
»Das Schicksal beider Frauen liegt hier auf unserer Insel. Aber hier warten große Gefahren auf sie, aber auch großes Glück, wenn die richtige Wahl getroffen wird. Treffen sie aber die falschen Entscheidungen, wird es ihr Verderben sein.«
Er wandte sich nun direkt an Svenja. Nachdem er die Distanz zu ihr mit einem kurzen Schritt überbrückt hatte, hob er leicht ihr Kinn an und sah ihr prüfend in die Augen. Von der Feierlichkeit des Momentes noch ganz hingerissen, ließ Svenja es geschehen und sah ihm furchtlos und neugierig zugleich ins Gesicht, aus dem nun alle Lausbubenhaftigkeit verschwunden war. Auf dem Grund seiner Augen schienen Funken zu tanzen, die sich immer wieder erweiterten und Tore in seine Seele zu sein schienen.
Hart musste die junge Frau schlucken. »Das sind nicht die richtigen Augen«, dachte sie, trotz aller Dramatik der Situation, die sie doch im Moment stark einschüchterte. Da aber sprach Magnus weiter und holte die sie wieder hart in die Realität zurück. »Du bist etwas Besonderes, kleine Svenja. Die Schicksalsgöttin selbst hält die Fäden deines Lebens in der Hand. Du hast schwere Prüfungen vor dir und aber auch schon hinter dir. Dein Leben wird mehr als einmal in Gefahr geraten.
Das Schicksal hat schon vor langer Zeit begonnen, in dein Leben einzugreifen und was dir die Zukunft bringt, wird hier auf der Insel vollendet werden. Entweder warten übergroßes Glück und Freude auf dich oder der Tod.«
Danach ließ er die Hand sinken, aber der Ernst verschwand nicht aus seinen Augen. Er sah Svenja in das nun totenblasse Gesicht. »Hast du Feinde, mein Mädchen?« Erkundigte er sich besorgt. »Die Kugel sagt mir, dass du einen Feind hast, der dein Leben schon mehrmals bedrohte. Er liegt auf der Lauer und wird wieder zuschlagen, wenn er eine Chance sieht.«
Schwer schluckte die junge Frau und ihre Kehle wurde ihr ganz eng. »Ich weiß von keinem Feind. Meine Eltern sind gestorben, aber das war ein Unfall. Da gab es keinen Einfluss von einem anderen Menschen. Mein Vater verlor die Kontrolle über das Steuer seines Autos und sie rasten mit voller Geschwindigkeit gegen einen Baum. Beide waren sofort tot. Es gab keine Rettung mehr. Aber ich wurde noch nie angegriffen.« Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. »Nein. Ich habe niemanden, der mir nach dem Leben trachtet.«
Auch Marie-Anna, die bei der Prophezeiung von Magnus stocksteif vor Schreck geworden war, pflichtete Svenja bei. »Ich kenne Svenja schon mein ganzes Leben. Da gibt es niemanden, der ihr etwas Böses will. Sie ist bei allen sehr beliebt.«Entschlossen wandte sich Adalar an seine Begleiter. »Wie dem auch sei. Wenn Magnus sieht, dass beiden Frauen und besonders Svenja große Gefahr droht, werden wir sie mit unserem Leben beschützen. Ihr habt meinen Befehl, dass ab jetzt immer einer von euch an der Seite einer der Frauen ist. Wechselt euch ab. Ich möchte nicht, dass ein Angriff auf sie erfolgen kann, nur weil wir nicht aufgepasst haben.«Die Meermenschen nahmen sofort Haltung an und nickten mit den Köpfen. Nachdem sie sich kurz beraten hatten, kamen zwei junge Männer auf die Frauen zu und stellten sich dicht neben sie.
»Hey«, sagte Svenja. »Nun mal langsam. Ich muss doch noch etwas Bewegungsfreiheit haben.« Sie wandte sich an Magnus. »Ich glaube dir, dass du Böses in deiner Kugel gesehen hast, aber ich glaube nicht, das mir etwas passiert. Ich kenne doch niemanden hier auf der Insel. Wer soll also mein Feind sein?« Fragte sie verwundert. Magnus Blick war fest und seine Züge drückten Entschlossenheit aus.» Wir werden sehen«, versuchte er sie zu beruhigen und legte ihr tröstend eine Hand auf den Arm. »Sicher ist, dass ihr ab jetzt besonderen Schutz bekommen werdet. Wenn wir erst im Palast sind, werden wir diese Schicksalsdeutung mit den anderen Herrschern besprechen und uns beraten. Bis dahin, akzeptiert den Schutz durch die Wächter des Unterwasservolkes«Seiner Stimme war anzuhören, das er keinen Widerspruch dulden würde und so fügten sich die Frauen zähneknirschend in ihr Schicksal.
Magnus hatte den Frauen erläutert, dass sie bei der Waldkreuzung von Hoga mit einer Abordnung der Einhörner zusammentreffen würden. Später, wenn sie dann die dunklen Sümpfe des Grollgebirges erreichten, sollte auch Semiramis mit ihren Elfen zu ihnen stoßen. Gemeinsam würde man dann weiter nach Dunkelhain ziehen. Svenja und Marie-Anna waren schon sehr aufgeregt, die Königin der Einhörner kennenzulernen. Wann im Leben trifft man denn bitteschön auf ein Einhorn. Ganz zu schweigen von deren Königin sogar. Vor allem aber konnten sie kaum die Ankunft von Semiramis erwarten. So viel hatte man ihnen inzwischen über diese geheimnisvolle und mächtige Frau berichtet. Würde sie wirklich die Kraft haben, sie wieder in ihre eigene Welt zu schicken? »Nach Hause.« Sehnsuchtsvoll seufzte Svenja auf. Gleichzeitig aber spürte sie bei dem Gedanken, wieder alleine in ihrer bequemen Zwei-Zimmer-Wohnung zu sein einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend.
Dabei war sie ihr ganzer Stolz. Wie lange hatte sie gespart, sich das wunderschöne, schneeweiße Sofa kaufen zu können. Ein Ecksofa mit Ottomane. Es war so weich, das man in den Kissen versank und sich in die Polster kuscheln konnte. Oder ihr Badezimmer. Mit einer Regenwasserdusche und blauen Kacheln war es sowieso schon ein Traum. Aber erst vor Kurzem hatte sie eine Badewanne einbauen lassen, die in den Boden eingelassen war und eigentlich ein Whirlpool war. Ihre Wohnung war ihre Oase der Ruhe und des Friedens gewesen. Ihr Hort vor allem Unbill der Welt. Warum nur schien es ihr jetzt so falsch, dorthin zurückzukehren? Wenn sie Marie-Anna betrachtete und reden hörte, konnte sie die Rückkehr kaum erwarten. Svenja aber war von der Insel fasziniert. Hier wurden plötzlich alle Träume ihrer Jugend war.
Wie viele Bücher über Meerjungfrauen hatte sie gelesen? Wie viele Seiten über Einhörner umgeblättert und unglaublich lange Zeit hatte sie darauf verwendet, als Jugendliche auf ihrem Bett zu liegen und von Vampiren zu träumen. Was gab es aber auch für romantische Vampir Bücher. Unwirsch schüttelte sie sich, als könnte sie so auch die merkwürdigen Gefühle von sich abschütteln. Marie-Anna dagegen hoffte aus vollem Herzen auf die Hilfe von Semiramis. Sie hatte noch einige wichtige Aufträge, die nach ihrem Urlaub anstanden. Die Modewelt war schnell und hart. Wenn sie nicht präsent blieb, würde schnell eine andere hübsche junge Frau an ihre Stelle treten. Zu viele warteten auf eine Chance und nicht wenige von den Anwärtern waren dazu auch bereit, über Leichen zu gehen. Ein verschwundenes Topmodel war also ein willkommenes Fressen für die Geier. Wenn sie aber glücklich wieder heimkommen könnte, hätte sie so viel kostenlose Publicity, dass es wahrscheinlich nur so von Angeboten wimmeln würde.
Sie knuffte ihre Freundin in die Seite und sah verständnislos, wie diese sich wie ein Hund zu schütteln begann. »Was ist denn los, Svenja? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Aber bevor ihre Freundin auch nur die Chance einer Entgegnung gehabt hätte, redete sie sofort wieder weiter. »Ich bin Adalar ja sehr dankbar für seine Fürsorge und ich glaube ja auch, dass Magnus wirklich Dinge in dieser Kugel sieht, aber Gefahr? Hier? Es weiß doch niemand das wir da sind und wer soll uns hier schon angreifen. Wir sind völlige Fremde für diese Leute.« Nachdenklich musterte Svenja das zarte Gesicht ihrer Freundin. Dann atmete sie tief durch. »Du hast sicherlich recht.« Aber das merkwürdige Gefühl in ihr blieb weiterhin bestehen.
In der dritten Nacht nach ihrem Aufbruch wurde Svenjas Nachtruhe wieder einmal, wie schon so oft, empfindlich gestört. Diesmal waren es aber nicht ihre Träume, die sie schweißgebadet aufwachen ließen. Wieder erscheinen ihr die Augen, die sie, ohne zu wissen warum, so sehr liebte. Diesmal waren sie vor Schreck weit aufgerissen. Sie spürte ein Zerren an ihrem Fuß und kämpfte sich langsam aus dem Nebel ihrer Träume an die Oberfläche. Aber das Zerren an ihrem Fuß erfolgte weiterhin. Langsam realisierte sie, dass eine steinharte Hand sich wie eine Stahlfessel um ihren Knöchel geschlossen hatte und versuchte, sie vom Bett
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4786-9
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