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Die Träume beginnen

Unruhig warf sich die junge Frau auf ihrem Bett von einer Seite zur Anderen. Die Augen hinter den geschlossenen Lidern schienen hin und her zu rollen. Verschwitzt klebte ihr das wunderschöne Tizian rote Haar am Kopf. Die Decken des Bettes waren schon ganz zerwühlt, als sie unvermittelt aufwachte und sich mit einem heftigen Ruck aufsetzte. Ihr Atem kam in keuchenden Stößen und ihr Herz raste und pfiff wie eine Dampflok in ihrer Brust. Panisch riss sie die smaragdgrünen Augen auf und schaute sich hektisch im Zimmer um. Panisch flog ihr Blick hin und her. Von den Bullaugen vor den Fenstern schweifte er zu den mit kleinen Segelbooten bedruckten Tapeten. Er wanderte über die mahagonifarbene Tür ihres Zimmers zurück zum Nachbarbett und blieb endlich an den dunklen Haarsträhnen hängen, die dort unter der Decke hervor lugten.

 

»Pffff. Beruhige dich, Svenja. Beruhige dich. Es war nur wieder einer dieser blöden Albträume. Du bist an Bord der Seenixe und daneben dir, nur einen Griff entfernt, schläft Marie. Also beruhige dich doch zum Donnerwetter. Es war nur wieder einer dieser bescheuerten Träume.«

 

Müde rieb sie sich mit den Fingern über die Augen, während ihr Atem sich langsam wieder beruhigte. Der Anblick ihrer besten Freundin, die dort friedlich schlafend im Bett lag und das sanfte Schaukeln des Schiffes, auf dem sie sich befand, beruhigten ihre gereizten Nerven zunehmend. Die Albträume hatte sie schon so lange, aber noch immer hatten sie die Macht, sie in Angst und Panik zu versetzen. Von der gegenüberliegenden Seite der Kabine hörte man das Scharren von Laken. Schnell blickte Svenja zu Marie hinüber, die sich im Nachbarbett verschlafen aufrichtete. Ihr hin und herwerfen hatte ihre beste Freundin im so verdienten Schlaf gestört. Sie kannte schon lange das Problem mit den immer wieder kehrenden schrecklichen Träumen von Feuer und Tod. Sie wusste, dass ihre Freundin von ihren Eltern von Psychologe zu Psychologe geschleift worden war, aber niemand hatte eine unvernünftige Erklärung für die Ursachen gefunden. Sicher. Spekulationen hatte es genug gegeben und ihre so muntere Freundin war oft nach solchen Sitzungen sehr deprimiert gewesen, weil wieder dieses oder jenes hineininterpretiert worden war.

 

Marie hatte es gar nicht verwundert, das keiner der ach so wichtigen Leute eine Lösung für das Problem finden konnte. Sie dagegen kam schon früh darauf, wie man Svenja wenigstens etwas helfen konnte. Mitleidig betrachtete sie ihre Freundin, kletterte schnell zu ihr ins Bett hinüber und nahm sie fest in den Arm.

 

»Hattest du schon wieder diesen Traum«, fragte sie kopfschüttelnd und richtete den besorgten Blick ihrer babyblauen Augen auf Svenja. »Schade, dass wir diese Kreuzfahrt nicht schon vor einem Jahr gewonnen haben. Da hätten wir sie beide genießen können. Jetzt sind wir seit einer Woche an Bord und jede Nacht machst du mich wach«, neckte die verschlafene Stimme der jungen Frau sie.

 

»Wenn ich nur wüsste, was diese Träume bedeuten.« Frustriert rieb sich Svenja die schmerzende Stirn. Wie immer kurz nach dem Erwachen aus diesen Träumen hatte sie dieses hämmern hinter den Schläfen. »Ich habe noch nie irgendein Problem mit Feuer gehabt. Es hat bei uns zu Hause nicht mal eine explodierende Silvesterrakete gegeben oder einen brennenden Kochtopf. Es macht mich so fertig, das ich im Traum diese Panik verspüre. Ich habe dann echte Todesangst.«

 

Marie-Anna stand von ihrem Bett auf und setzte sich neben ihre verzweifelte Freundin. Liebevoll legte sie ihr einen Arm um die Taille und drückte sie an sich. Wir können ja mal in der Schiffsbibliothek nach einem Buch über Traumdeutung suchen. Vielleicht haben diese Feuerbilder ja einen tieferen Sinn.

 

»Du mit deinem Fimmel für Psychologie und hintergründige Bedeutungen«, grinste Svenja. »Aber ich danke dir trotzdem«, frotzelte sie weiter. »Langsam hat sich mein Herzschlag wieder beruhigt und es geht mir etwas besser. Versuchen wir noch etwas zu schlafen.«

 

Marie-Anna nickte ihrer Freundin zu, schob sich das honigblonde Haar aus der Stirn und drückte den schlanken Körper ihrer Freundin noch einmal an sich. Dann ging sie wieder zu ihrem Bett zurück, schlüpfte unter die Laken und war schnell wieder eingeschlafen. Tief seufzend strich Svenja die zerwühlten Laken glatt und schüttelte die Bettdecke noch einmal auf, bevor auch sie wieder ins Bett kroch. Lange Zeit noch lag sie noch wach und starrte die Decke über sich an. Immer wieder überlegte sie, wieso diese schrecklichen Träume sie plagten. Es dauerte scheinbar eine gefühlte Ewigkeit, aber endlich wurden auch die Atemzüge der unruhigen jungen Frau regelmäßiger und leiser, die Bewegungen immer träger und endlich war auch sie wieder eingeschlafen.

 

Den Rest der Nacht verging ohne weitere Störungen. Am nächsten Morgen waren die Schrecken der Nacht schon wieder verflogen und die beiden jungen Frauen genossen den Tag an Bord dieses Traumschiffes sichtlich. Die beiden kannten sich schon seit dem Kindergarten und waren, wie sie immer wieder betonten, schon ewig befreundet. Marie–Anna war eine schlanke, wohlproportionierte junge Frau mit knabenhaftem Körperbau und einer unglaublichen Ausstrahlung von ätherischer Schönheit. Diesem blendenden Aussehen hatte sie schon in der Schulzeit die ersten Aufträge als Fotomodel zu verdanken ... Nachdem die beiden Freundinnen ihren Abschluss in der Tasche hatten, beschloss Marie, sich ganz auf ihre Karriere zu konzentrieren und jettete nun kreuz und quer über den Globus von Auftrag zu Auftrag.

 

Neben ihr kam sich Svenja oft wie ein hässliches Entlein vor. Sie war in ihren Augen einfach zu klein, um eine schlanke und ranke Figur zu haben. Dabei war sie war einmal dick. Nein. Das nun wirklich nicht. Aber ihr Körper schien der Meinung zu sein, unschöne Pölsterchen an den unmöglichsten Stellen anzulegen. Sie fand ihre Hüften zu dick und ihre Oberweite viel zu üppig. Neben ihrer Freundin mit deren Model Maßen kam sie sich oft klein und dicklich vor.

 

Die Blicke der anderen Kreuzfahrtgäste, die wohlwollend den beiden Frauen folgten, bemerkte sie nicht. Dabei ruhten mehr bewundernde Blicke auf ihren üppigen, sanft gerundeten Kurven als auf der knabenhaften Figur ihrer Freundin. Die beiden Frauen boten gemeinsam einen atemberaubenden Anblick. Die eine groß von kühler Schönheit, die andere klein und rassig mit üppig gerundeten Körperformen und einer enormen Ausstrahlung von Sexy peel. Aber Svenja hatte schon von jeher ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein. Sie fand ihr Haar zu rot, ihre Augen zu wässrig grün und ihr Lächeln zu breit. Hätte man Marie-Anna gefragt, hätte die junge Frau sofort von den unglaublich grünen strahlenden Augen ihrer Freundin erzählt und von ihren weichen, Tizian roten, seidigen langen Haaren geschwärmt, wie sie es oft bei Kollegen tat, wenn diese ihre Schönheit rühmten. Da lachte sie dann nur und sagte: »Ich und schön? Dann schaut euch mal meine Freundin Svenja an. Sie hat Augen, von einem wunderschönen leuchtenden grün, die sich je nach ihrer Stimmung verändern. Wenn sie gut gelaunt ist, dann sind sie so strahlend hell wie ein schimmernder Flusslauf in der Sonne. Ist sie aber wütend, dann nehmen sie das dunkle Grün von dunklen Wäldern an, kurz bevor sich die Bäume im Sturm schütteln und biegen. Ihre Haare glänzen in der Sonne wie rotes Gold und sind so weich, wie ich es mit dem besten Conditioner nicht hin bekomme. Ihre Figur sieht aus, wie bei den Filmschönheiten aus den 50er Jahren. Einfach nur sexy. Aber das Schönste an Svenja ist ihr Lächeln. Wenn sie lächelt, dann geht die Sonne auf.«

 

Als Svenja die Kreuzfahrt für zwei Personen in einem Kreuzworträtsel Wettbewerb gewann, war für sie keine Frage, als zweite Person Marie-Anna mitzunehmen. Zum Glück hatte diese gerade eine längere Pause zwischen zwei Aufträgen und sagte mit Freude zu. Sie fand die Idee wunderbar, endlich wieder einmal mehr Zeit mit Svenja zu verbringen. Die Beiden standen sich so nah wie Schwestern und es tat beiden unendlich weh, kaum noch Zeit miteinander verbringen zu können. Aber seit Marie-Anna so gut im Modellgeschäft Fuß gefasst hatte, hetzte sie leider von einem Termin zum anderen.

 

Svenja selbst hatte sich nach der Schule an der Universität eingeschrieben und ihr Medizinstudium in Rekordzeit absolviert. Leider ließ ihr das zeitaufwendige Lernen auch nicht sehr viel Zeit für Freizeitaktivitäten. Telefoniert hatten die Freundinnen jedoch immer und sehr fleißig, und wenn es nur möglich war auch stundenlang. So war Marie-Anna auch über die immer wiederkehrenden Albträume der letzten Zeit genau unterrichtet.

 

Wohlig rekelte sich Svenja in ihrem Liegestuhl. »Warum musste ich erst 25 Jahre alt werden, bevor ich so eine Kreuzfahrt mache«, seufzte sie. »Weil du solch ein Arbeitstier bist, das du vorher sowieso keine Zeit dafür hattest und nebenbei gesagt, meine kleine Träumerin, hast du auch erst recht kein Geld dafür übrig«, lachte Marie-Anna. »Wie wahr, wie wahr«, grinste Svenja. »Und so ein neues und originelles Argument«, schloss sie glucksend. Beide lachten schallend auf. Dann wurde Marie-Anna aber schnell wieder ernst und sah besorgt zum Himmel hoch. »Svenja, das Wetter gefällt mir gar nicht. Ich glaube, wir bekommen einen Sturm.« Diese folgte dem Blick ihrer Freundin. Der Himmel war in kurzer Zeit dunkel geworden. Dicke schwarze Wolken begannen sich am Himmel zu sammeln und das laue Lüftchen, welches die ganze Zeit geweht hatte, war inzwischen zu einem heftigen Wind angewachsen. »Lass uns unter Deck gehen. Der Himmel ist ja innerhalb von Minuten pechschwarz geworden.« Schnell packten sie ihre Sachen ein und gingen unter Deck in ihre Kabinen.

In Seenot

In der folgenden Nacht wurden die beiden Freundinnen jedoch erneut in ihrer so verdienten Nachtruhe gestört. Diesmal waren aber nicht Svenjas Albträume der Grund, sondern hastende Schritte über die Gänge, Rufen und Schreien. »Was ist los?« Fragte Marie-Anna ratlos. »Hey. Du hast doch auch Titanic gesehen. Das da draußen klingt nicht gut. Gar nicht gut.« »Mensch Svenja, sieh doch nicht immer alles so schwarz. Los, wir ziehen uns an und gehen an Deck. Nun mach schon«, drängte sie die Freundin zur Eile. »Ich will gucken, was da los ist.«

 

Als die jungen Frauen an Deck hasteten, stockte ihnen vor Schreck der Atem. Ein unglaublicher Sturm wütete und meterhohe Wellen schwappten über die Bordwand. Svenja hielt einen vorbei eilenden Steward am Ärmel fest. »Was geht hier vor sich?« Schrie sie dem verängstigten Mann über den Lärm des Sturmes zu. »Die Maschinen haben einen Defekt, die blöden Computer spielen verrückt und wir sind vom Kurs abgekommen. Im Moment sind wir mitten im Bermudadreieck. Der Kapitän versucht den Kurs per Hand zu korrigieren, aber wir fahren blind. Das Gebiet hier ist auf keiner unserer Karten verzeichnet. Begeben sie sich lieber vorsichtshalber zu den Rettungsbooten«, riet er ihnen.

 

Die beiden Frauen stemmten sich gegen den Sturm und versuchten sich den Weg zu den Booten zu bahnen, aber in Panik geratene Mitreisende drängten sie immer wieder zurück. »Wir versuchen es auf der anderen Seite« schrie Svenja der Freundin zu, aber der Wind schien ihr die Worte von den Lippen zu reißen. »Na komm schon. Da sind auch noch Boote.« Sich ängstlich an den Händen haltend stemmten sie sich gegen den Sturm und versuchten zur anderen Seite des Schiffes zu gelangen. Doch dann traf eine unglaublich mächtige Sturmböe die Frauen. Ihre Hände lösten sich und entsetzt sah Svenja, wie Marie-Anna auf die Bordwand zu rutschte und dann verschwand.

 

Ohne nachzudenken, griff sie sich einen Rettungsring, der direkt neben ihr an der Bordwand hing, und sprang ihrer Freundin mutig hinterher, mitten hinein in das wütende, brodelnde Meer. Verzweifelt kämpfte sie sich durch die wogenden Wellen hindurch, um ihre Freundin zu erreichen. Ihre Kräfte erlahmten schon fast, als sie endlich ihre Hand fassen konnte. Voll Schrecken erkannte sie, dass sich Marie-Anna nicht mehr bewegte. Zu stur um ihre Hand loszulassen umkrampfte sie die Hand der Freundin mit wilder Verzweiflung, während dessen sie sich mit der anderen Hand an den hastig mitgenommenen Rettungsring klammerte. Aber als die glitschigen, feuchtkalten Finder ihrer Freundin ihr zu entgleiten drohten, fasste Svenja einen folgenschweren Entschluss. Langsam lösten sich ihre Finger vom Rettungsring und auch die zweite Hand klammerte sich an Marie-Anna. Verzweifelt Wasser tretend versuchte sie, sie beide wieder an die Wasseroberfläche zu bringen, aber ihre Kleider hatten sich inzwischen vollgesogen.

 

Immer langsamer wurden die Bewegungen der jungen Frau, immer bleierner durchdrang die Kälte ihre Knochen und die Erschöpfung kostete sie die letzte Kraft. Immer noch hielt sie stur die Hand ihrer Freundin umklammert. Sie schienen auf einen merkwürdigen Strudel in den Tiefen des Ozeans zuzutreiben. Noch einmal versuchte Svenja, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren, um nicht in die tosende Macht der Wogen hinein getrieben zu werden, aber ihre Bemühungen waren nutzlos. Die letzte Kraft war verbraucht. Schließlich flimmerte alles vor ihren Augen und sie verlor das Bewusstsein, während sie unaufhaltsam in den wütenden Wirbel hineingesaugt wurden.

 

Kurz bevor die tintenschwarze Dunkelheit von ihren Sinnen Besitz nahm, sah sie ein Paar kobaltblaue Augen vor sich, die sie voller Liebe musterten. Die Szene wechselte rasend schnell und das Bild eines sinnlichen Mundes erschien, der sie zärtlich anlächelte. Zwischen Wachen und Träumen gefangen seufzte sie voller Sehnsucht. Die letzte Luft entwich ihren gepeinigten Lungen und ihre Bewegungen erschlafften. Die Hände fest umeinander gekrallt gingen die beide Freundinnen lautlos in der Stille unter.

 

Während die beiden Frauen gemeinsam immer tiefer in den geheimnisvollen, dunklen Tiefen des Meeres versanken und ihre langen Haare sie wie Tentakel umflossen, boten sie ein Bild vollkommener Harmonie und Schönheit. Aber, ihr Unglück war nicht unbemerkt geblieben. Tief violette Augen starrten sie bewundernd an. Weiche, geschmeidige Hände griffen nach ihnen. Lippen drückten sich auf ihre blutleeren Münder und hauchten ihnen lebensspendenden Atem in die verzweifelt aufheulenden Lungen. Silbern und golden blitzten die Schuppen an den Fischschwänzen der beiden Meermänner auf, als sie den Todestanz der jungen Frauen mit fließenden Bewegungen stoppten.

 

Jeder der Beiden hatte eine der Frauen ergriffen, aber sie konnten die ineinander verkrampften Hände der Freundinnen nicht lösen. So schwammen sie schließlich nebeneinander. Jeder hielt eine bewusstlose Frau in den Armen, die sich immer noch durch ihre verkrampften Hände aneinander klammerten. Selbst die tiefste Bewusstlosigkeit konnte Svenjas Willen nicht brechen, ihre Freundin nicht loslassen zu wollen. Sinnend sah Adalar auf die rothaarige Schönheit in seinen Armen. Ihre üppigen Kurven wurden weich an seinen steinharten Oberkörper gepresst. Ihr Gesicht hatte in ihrer Bewusstlosigkeit einen entspannten und friedlichen Ausdruck. Sie war fast zwei Köpfe kleiner als er und lag leicht wie eine Feder in seinen Armen. Es erschien ihm, als hätte er noch nie eine größere Schönheit gesehen.

 

Der Meermann hatte beobachtet, wie sie sich durch die wild schäumenden Wogen zu ihrer Freundin vorgekämpft hatte. Er war noch zu weit weg gewesen, hatte aber seine Geschwindigkeit bis zum äußersten gesteigert, als er beobachten konnte, wie die fremde Schönheit einen folgenschweren Entschluss fasste. Entsetzt sah er zu, wie sie den Rettungsring losließ, der ihr eigenes Überleben gesichert hätte und sich dazu entschloss, alles zu riskieren, um ihre Freundin zu retten.

 

Adalar und sein Freund Daromir hatten sich nur einen Blick zugeworfen und waren dann wie zwei silberne und golden schimmernde Pfeile durch das nachtschwarze Wasser geschossen. Im letzten Moment erreichten sie die Frauen, bevor ihre Körper ihnen auch den letzten Rest des lebensrettenden Sauerstoffs aus den Zellen gesaugt hatten, und hauchten ihnen von ihrem eigenen Atem ein.

 

Daromir schaute besorgt in das Gesicht seines Königs. Seitdem er ihn kannte, hatte er noch nie solch einen besorgten Blick in den Augen seines Freundes gesehen, aber auch noch nie solch eine Bewunderung für eine Frau. Nicht einmal Semiramis, die schöne Vampir-Magierin, die sie alle in der legendären Schlacht gegen den schwarzen Hexer Maglador zum Sieg geführt und die ganze Insel gerettet hatte, hatte er je so angesehen. Und dabei wusste Daromir, das Adalar Semiramis vergötterte und anbetete. Damals war er sehr besorgt um seinen König gewesen, da Semiramis glücklich mit dem Elfen Deikugon verheiratet war. Er hatte sich große Sorgen gemacht, das Adalars Herz Schaden genommen haben könnte. Aber dies war zum Glück nicht geschehen. Schnell schwamm er neben seinem König her. Eine große Entfernung zwischen ihnen ließen auch die verkrallten Hände der jungen Frauen nicht zu. Er betrachtete die Schönheit in seinen Armen, aber obwohl er sie hinreißend fand, konnte sie sein Herz nicht ansprechen. Trotzdem aber bewunderte er ihre knabenhafte Schönheit. »Hoffentlich verliebt sich Adalar nicht in die rothaarige Menschenfrau«, dachte er. »Meermenschen und Menschen, das kann nicht gut gehen.«

Aquarius

Die Meermenschen lebten vor den Ufern der vergessenen Insel. Tief am Grunde des Meeresbodens befanden sich mehrere ihrer wunderschönen Städte, die von durchsichtigen Glaskuppeln umgeben waren. Auch innerhalb der Glaskuppeln war überall Wasser. Hier fühlten sie sich wohl. Ihre Körper holten sich den benötigten Sauerstoff direkt aus dem Element. Zum Glück für die beiden Unglücklichen gab es im Königspalast von Aquarius mehrere Räume, die wasserdicht versiegelt waren und über eine Sauerstoffpumpe mit Luft versorgt wurden. Hier trainierten sie ein Leben an Land.

 

Ab und zu stiegen sie aus den Tiefen des Ozeans herauf. Dabei kommt eine Magie zur Wirkung, die sie der vor Jahrtausenden stattgefundenen Liebesgeschichte zwischen Damiron, dem damaligen König des Unterwasservolkes und Nixia, der schönen Tochter der Schicksalsgöttin zu verdanken haben. Die Trauer ihrer Tochter, nicht mit ihrem geliebten Damiron zusammenleben zu können, erweichte das Herz der mächtigen Göttin Sie schloss einen Packt mit ihrem Bruder Ozeon, dem Meeresgott. Ihre Tochter dürfte im Meer leben und wurde zu einer Meerfrau umgewandelt. Im Ausgleich dazu aber schenkte sie dem Meervolk die Fähigkeit, kaum das ihre Schwänze den sandigen Boden der Insel berührten, zu Beinen zu werden. Auch konnten sie an der Oberfläche atmen, wenn ihre Haut in regelmäßigen Abständen mit Wasser benetzt werden würde. Auf diese Weise konnte ihre geliebte Tochter und ihre Enkel sie jederzeit besuchen.

 

Dank dieser Fähigkeiten waren sie also in der Lage, mit den Menschen der Insel Handel zu betreiben und nur durch sie konnten auch der legendären Semiramis in ihrem schrecklichen Kampf gegen den bösen Hexer beistehen.  Nachdem sie erfolgreich in der großen Schlacht gegen Maglador an der Seite mehrerer anderer Völker der vergessenen Insel gekämpft hatten, hatte Adalar dafür gesorgt, das sich sein Volk auf einen nun öfter vorkommenden Besuch an Land besser vorbereiten könnte.

 

Sie mussten dann regelrecht trainieren, den Sauerstoff aus der Umgebungsluft zu filtern. Ebenso trainierte die Jugend, wie lange sie an Land bleiben konnten, ohne das ihre Haut mit Wasser in Berührung kam und welche Signale der Körper ihnen sandte, wenn sie unbedingt wieder ins kühle Nass zurückkehren müssten. Diese Trainingsräume waren jetzt die letzte Chance für die beiden Frauen. Sie zur Oberfläche zurückzubringen wäre zu weit gewesen und hätte zu lange gedauert. Die beiden Schönheiten mussten unbedingt wieder Sauerstoff atmen und ihre Körper aufwärmen. Ihre Kleidung war nicht für das Meer vorgesehen und hing klamm und schwer an ihnen. Ihre Körpertemperatur hatte sich ebenfalls schon gefährlich reduziert. Sie mussten sofort die nasse Kleidung ablegen und sich wärmen. Schon mehrere Meilen von Auqarius entfernt sendete Adalar eine Botschaft, die Trainingsräume mit Frischluft zu versorgen und die Heizanlage dort hochzuregeln. Mit dieser Anlage trainierten die Meermenschen eigentlich ihre Fähigkeit, mit den viel höheren Temperaturen der vergessenen Insel fertig zu werden. Nun war sie aber für die jungen Frauen die Rettung vor Unterkühlungen.

 

 

 

Mit unglaublicher Geschwindigkeit schwamm Adalar an den Wachen vorbei durch das geöffnete Tor von Aquarius. Er hatte kein Auge für die Schönheit seines Unterwasserreiches. Weder warf er einen Blick auf die wunderschönen, filigranen Häuser, deren Wände aus milchigem, undurchsichtigem Glas waren und in sanftem Rot schimmerten, noch würdigte er die mit Muscheln bedeckten Dächer der Prachtbauten eines Blickes. Auf dem schnellsten Weg suchte er den Palast auf und brachte die rotgoldene Schönheit und dabei immer seinen Freund und die andere Frau hinter sich herziehend in die Sicherheit der gut geheizten Räume des Trainingsraumes. Hier warteten schon zwei Angehörige seines Volkes. Die Haut der beiden Frauen schimmerte zart grünlich. Ihre Haare hatten die Farbe von Seetank und klebten nun nass an ihrem Kopf, da die Zeit, die sie hier auf das Eintreffen der beiden Gäste gewartet hatten, zu kurz war, um die üppigen Wellen trocknen zu lassen.

 

Nachdem die beiden Gäste auf ein hastig aufgestelltes Bett gelegt worden waren, scheuchten die Meerfrauen ihren König und seinen Freund aus dem Raum. Schnell zogen sie den am ganzen Körper vor Kälte zitternden Freundinnen die nassen Sachen aus und hüllten sie in weiche, warme Stoffe. Nachdem sie alles was in ihrer Macht stand für die beiden verunglückten getan hatten und sicher waren, dass das schreckliche Zittern der Körper aufgehört und die Temperatur sich wieder stabilisiert hatte, entfernten sie sich. Sie überließen ihre Gäste dem Schlaf der Erschöpfung, mit dem sie der Genesung entgegen schlummerten.

 

Als Svenja aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Ihr Kopf schmerzte und all ihre Glieder waren bleischwer. Dann setzte die Erinnerung an die letzten Geschehnisse ein und sie richtete sich abrupt auf. Ihre Hand schnellte zu ihrer Stirn, hinter der sich ein stechender Schmerz durch ihr Hirn zu bohren schien. Mit großen Augen sah sie sich um. Unruhe erfüllte sie und Angst. Erst als ihr Blick auf die schlafende Marie-Anna neben ihr fiel, beruhigte sich ihr rasender Herzschlag etwas und ihr Panik legte sich ein bisschen.» Wir sind über Bord gegangen«, versuchte sie sich zu erinnern. »Ich habe Maries Hand greifen können, aber was ist dann passiert?« Fragte sie sich verwirrt. »Wir müssen untergegangen sein. Aber wo sind wir hier.« Probehalber zog sie die Luft tief in ihre malträtierten Lungen, die sofort schmerzhaft protestierten. »Mir geht es unglaublich schlecht. Jeder Knochen im Leib tut mir weh. Also müssen wir noch am Leben sein. Jemand hat uns gerettet.« Überlegte sie. »Der Mann mit den kobaltblauen Augen?« Fragte sie sich hoffnungsvoll. An diese Augen und das liebevolle Lächeln erinnerte sie sich überdeutlich. »Hat er uns gerettet? Sehe ich darum dauernd diese Augen vor mir? Wunderschöne Augen, die mich wie hypnotisierend ansehen und das herzerwärmende Lächeln .... Aber da war noch etwas. Ich habe doch noch ein Bild gesehen.«

 

Sie zermarterte sich das Hirn, während sie ihre Umgebung in sich aufnahm. Sie lagen in einem großen Bett, das aus Muschelschalen zusammengesetzt und mit einer dicken weichen Masse gefüllt war. Kuschelige Decken umgaben sie und ließen sie darin versinken. Die Wände des Zimmers, in dem sie sich befand, schimmerten wie rotes Milchglas. An der Decke hing eine leuchtende Kugel, die für die trübe Helligkeit im Raum verantwortlich war. Ein sanfter Schimmer ging von ihr aus und ließ sie wie von einer Aureole umstrahlt aussehen. Außer dem Bett und mehreren aus Stein gehauen Stühlen, die ebenfalls mit Muschelschalen verziert in der Ecke standen, befand sich kein weiteres Möbelstück im Raum. Dann aber entdeckte sie den schönsten Anblick dieses verkorksten Tages. Ihre Freundin schlummerte friedlich neben ihr. Sie hatte die Hand unter das Gesicht geschoben, die Beine angezogen und schien friedlich wie ein Baby zu schlummern.

 

Etwas neidisch stellte Svenja fest, dass Marie mit ihrem Pragmatismus und ihrer Nüchternheit die besten Träume zu haben schien. Ein sonniges Lächeln umspielte die vollen Lippen der Freundin. Besorgt musterte sie das erschöpfte Gesicht neben sich. »Sehe ich genauso fertig aus wie sie?« Dachte Svenja. Tief seufzte sie auf. »Gut, wir haben überlebt. Es hat uns jemand gerettet. Wenn dieser jemand etwas Böses wollen würde, hätte man uns nicht die nassen Sachen ausgezogen und uns in weiche Decken gehüllt.«Von ihren Überlegungen völlig erschöpft ließ sie sich wieder in die weichen Decken zurücksinken und hüllte sich mit ihnen ein wie in ein schützendes Nest. Fest umklammerten ihre Hände wieder die Hände von Marie-Anna. Sie waren zusammen und gerettet. Dann forderte die Mattigkeit ihrer Glieder ihren Tribut und die verwirrte junge Frau schlummerte wieder ein.

 

Diesmal träumte sie nicht von Feuer. Sie verarbeitete auch nicht den gerade erst überstandenen Schrecken des beinahe Ertrinkens. Stattdessen sah sie wieder den liebevollen Blick aus kobaltblauen, blitzenden Augen und ein Lächeln voller Liebe. Wohlige Wärme umfing sie und ihr Mund verzog sich im Schlaf zu einem friedlichen Lächeln. Bevor sie noch tiefer in den Schlaf absinken konnte, erschien ihr im Traum die Gestalt einer wunderschönen Frau. Ihre Stimme klang wie das Zusammenschlagen von kleinen Glöckchen, einfach herrlich rein und lieblich. »Willkommen zurück auf der vergessenen Insel, kleine Svenja. Du wirst hier dein Glück wiederfinden, wenn du dich richtig entscheidest. Achte auf die blutrote Blüte auf weißer Haut. Dort findest du deine Erfüllung. Ich werde dir helfen, aber ich erwarte auch deinen Dank.« Als Svenja das nächste Mal wach wurde, rüttelte sie jemand unsanft an den Schultern.»Sveni! Sveni! Sveeennniiiii! Mensch du Traumtasche, nun mach endlich deine Guckerle auf. Heidenei. Du bist hier doch nicht in einem Feriendomizil. Nun wach zum Donnerwetter noch mal endlich auf!«

 

Svenja spürte, wie jemand anfing, rhythmisch ihre Schultern hoch und runter zu bewegen. » Svennnnniiii. Wach! Auf! «Von dieser rüden Behandlung so langsam aus ihrem so mühevoll hergestellten Traumzustand hervorgeholt, rieb müde rieb sie sich über die Augen.» Was ist denn los, Marie.« »Sveni. Wo sind wir hier. Was ist mit uns passiert? Ich weiß nur noch, dass ich über Bord gegangen bin und das du dummes Huhn mir hinterher gehechtet bist. Ich hab dich ja noch angebrüllt, dass ich dich vierteilen werde, wenn du über die blöde Bordwand juckst. Aber was machst du? Du musstest mir ja unbedingt nachspringen. Und was haben wir jetzt davon? Wir sind beide ertrunken.«

 

Nun musste Svenja doch lachen. »Ach bitte Marie. Sei doch nicht so dramatisch. Wir können nicht abgesoffen sein. Du streitest ja noch mit mir wie ein altes Waschweib. Wenn wir ertrunken wären, dann würden doch für uns beide jetzt Geigen singen und wir wären glücklich und zufrieden. Und? Bist du zufrieden? Nein! Du quengelst! Also sind wir nicht tot!« »Menno Sveni. Ich erinnere mich aber genau, wie bei mir die Lichter ausgingen. Ich habe deine Hand aus dem Dunkel auftauchen sehen und wusste genau, dass du mir helfen würdest. Ich schwöre tausend Eide darauf, dass du auch genau das gemacht hast. Ich kenne doch deinen Sturkopf.«

 

Ausgiebig gähnte sie, bevor sie ihrer aufgeregten Freundin antwortet. »Wo wir hier sind, weiß ich auch nicht. Und wenn du noch so hysterisch schreist, werden wir es auch nicht eher erfahren«, grummelte sie verschlafen. »Wir sind trocken und am Leben. Außerdem liegen wir in einem weichen Bett und können uns erholen. Also harren wir halt der Dinge, die da kommen«, zuckte sie lakonisch die Schultern.

 

»Deine Ruhe möchte ich mal haben«, meckerte Marie-Anne und zog düster ihre Augenbrauen zusammen. Ihre Stimme schien sich beinahe zu überschlagen, als sie vor Aufregung immer höher und höher wurde. »Ich bin nicht hysterisch! Das verbiete ich mir. Auch wenn du meine beste Freundin bist, ich bin niemals hysterisch ich weiß nicht einmal, wie man das Wort schreibt«, schloss sie und warf Svenja Blicke zu, die jeden ängstlichen Menschen in die Flucht gejagt hätten. Ihre Freundin aber grinste nur, hob lässig die Hand und neckte sie grinsend. »Nicht die Stirn runzeln«, neckte Svenja. »Ein Model darf sich keine Falten erlauben.«

 

Erschrocken griff sie sich an die Stirn. »Falten? Ich habe keine Falten, höchstens Fältchen und auch die kann man nur mit der Lupe sehen.« Dann aber sah sie Svenja genau an, die immer mehr Mühe hatte, ernst zu bleiben und schließlich prusteten beide los. Der Lachanfall nahm der ganzen Situation etwas von der Spannung, die Zement schwer in der Luft zu schweben schien.

 

»Also merkwürdig ist das allemal. Schau dich doch nur um. Möbel mit Muscheln verziert. Rote Milchglaswände rings um uns rum. Also von so einem Ort habe ich noch nie gehört, geschweige denn Bilder darüber gesehen.« Die jungen Frauen diskutierten noch eine ganze Weile leise weiter, bis schließlich die Tür zur Seite glitt und eine Frau hineinkam. Marie schrie vor Schreck auf, als sie die grünlich schillernde Haut der Fremden sah und ihre blauen Haare. Svenja hätte es nie für möglich gehalten, aber Marie-Anna scheinen zum ersten Mal in ihrem Leben die Worte zu fehlen. Ihre Kinnlade sackte nach unten und sie starrte die Fremden voller Unglauben an. Erst ein freundlicher Rippenstoß ihrer Freundin sorgte dafür, das sich Ober- und Unterkiefer wieder aneinander annäherten. Für Svenja war nur eines interessant. Die Fremde trug ein Tablett voll beladen mit Obst und Säften vor sich her, das sie nun auf die Sitzfläche eines Stuhles stellte.

 

Schon beim Anblick der appetitlich angerichteten Speisen begann ihr Magen zu knurren. Fröhlich wendete die Fremde den Kopf und strahlte über das ganze Gesicht. Freundlich winkte sie die Freundinnen heran und sprach schließlich mit einer leisen, singenden Stimme, in der beinahe das Rauschen der Brandung zu hören war: »Willkommen in Aquarius. Seine Hoheit Adalar hat euer Unglück beobachtet und hat euch zu uns gebracht. Ihr müsst euch jetzt stärken und etwas zu euch nehmen. Mein Name ist Syra. Ich werde euch gleich noch frische Sachen zum Anziehen bringen. Mit Freude vernehme ich, dass eure Körper sich so weit angepasst haben, um Hunger zu verspüren. Ihr habt also den Schock des Beinaheertrinkens überstanden. Das wird unseren König freuen. Wir hatten schon Angst, dass der Schreck und der daraus resultierende Schock eure Körpergefühle blockieren würden. Ich freue mich, das ihr zu den robusteren Menschen gehört. Bitte bedient euch am Essen und führt euren Körpern die so dringend benötigte Nahrung zu.«

 

Mit diesen Worten verbeugte sie sich vor den beiden Freundinnen, die sie wortlos mit offenen Mündern anstarrten, und verschwand lautlos durch eine Tür, die sich hinter der schlanken Gestalt sofort wieder schloss. Verwirrt rieb sich Marie über die Augen. »Hast du das auch gesehen, Sveni!« Fragte sie fassungslos ihre nicht weniger verblüfft aussehende Freundin. »Grüne Haut. Blaue Haare habe ich ja schon mal gesehen, aber grüne Haut? Wo um Himmels willen sind wir hier?«

 

Verwundert und ratlos schüttelte sie den Kopf. »Also anscheinend sind wir in dieser Stadt ... Wie heißt sie noch mal? Ach ja. Aquarius«, sagte Svenja trocken, glitt vom Bett und griff sich eine saftige Pflaume vom Teller. Herzhaft bis sie hinein und schleckte sich dann genüsslich den von ihren Fingern tropfenden Saft vom Handgelenk. Verblüfft folgte Marie-Anna ihre Freundin mit den Blicken. »Wie kannst du denn jetzt nur ans Essen denken?«, fragte sie indigniert.

 

»Ich habe Hunger« kam die trockene Entgegnung. Ergeben seufzte Marie-Anna auf, krabbelte ebenfalls zum Bett und griff sich eine Frucht von dem goldenen Teller. »Na dann essen wir halt erst einmal.« Ihre leidenden Worte wurden von dem wütenden Knurren ihres Magens begleitet, der energisch nach Nahrung verlangte. Die beiden Freundinnen sahen sich nur an und brachen dann beide in fröhliches Lachen aus, bevor sie sich über das köstliche Festmahl hermachten und alles bis zum letzten Krümel vernichteten. Als Syra kurze Zeit später wieder eintrat, trug sie Gewänder aus seltsamem Stoff über dem Arm.

 

Bei ihr waren noch zwei andere Frauen, die Schüsseln mit Wasser und andere Gerätschaften bei sich trugen. Syra deutete auf ihre Begleiterinnen, deren Haut ebenso grün schimmerte wie ihre eigene. Auch die Haare dieser Frauen wiesen ein sattes Blau auf. »Dies sind Veda und Frola. Sie werden euch behilflich sein, euch zu richten. Ihr möchtet euch sicher die Haare waschen und das Salz vom Körper spülen. Wenn ihr bereit seit, wird euch seine Hoheit König Adalar einen Besuch abstatten. Er wird all eure Fragen beantworten, soweit es in seiner Macht steht.«  Veda und Frola halfen ihnen so gut es ging, ihre Haare in den Schüsseln zu waschen und sich frisch zu machen. Die Kleider waren weit und fließend. Der Stoff schillerte in allen Farben des Regenbogens und fühlte sich glatt und seidig auf der Haut an. Veda bemerkte, wie Svenja bewundernd über das kühle Gewebe streichelte und lächelte. Schnell schlüpften sie hinein und waren von der Angenehmheit der Materialien auf der Haut sehr überrascht.

 

»Der Stoff ist eine Anfertigung aus unseren eigenen Webereien. Er wird im Wasser nicht nass«, erklärten die Meerfrauen. Für längere Erläuterungen blieb aber keine Zeit, denn wieder glitt die Tür auf und ein großer, schlanker Mann erschien im Zimmer. Auch er hatte blaue Haare, die allerdings so dunkel waren, dass sie beinahe ins schwarz hineingingen. Er trug die Haare etwas länger und einige Locken ringelten sich über den Rand seines hohen Kragens. Das enge Oberteil mit langen Ärmeln umschloss seinen Körper wie eine zweite Haut und ließ das Spiel seiner Muskeln darunter mehr als erahnen. Seine schlanken langen Beine steckten in einer Hose aus demselben Stoff, die diese leicht umspielte.

 

Das Model in Marie-Anna betrachtete fasziniert diese ungewöhnlichen Kreationen. Solche Stoffe und Kleidungsschnitte hatte sie noch nie gesehen, und sie hatte schon die Modelle der exzentrischsten Künstler über den Laufsteg getragen. Vor Erstaunen atemlos betrachteten die Freundinnen das Gesicht des Mannes, welches auf eine männliche Art gut aussehend war, wenn man sich nicht durch grüne Haut und strahlend violette Augen irritieren ließ. Sofort suchte Svenja seinen Blick. Würde sie hier endlich die Augen finden, die sie schon so lange im Traum verfolgten? Ihre ganze Situation war so unwirklich, dass sie die Hoffnung hegte, endlich Antworten auf ihre vielen Fragen finden zu können. Enttäuscht senkte aber kurze Zeit später wieder den Blick.  »Nein«, dachte sie. »Das sind nicht die Augen aus meinem Traum.«Der König seinerseits ließ den Blick wohlwollend auf den beiden jungen Damen verweilen. Es gefiel ihm gut, sie in die Gewänder seines Volkes gekleidet zu sehen. Obwohl beide noch durcheinander waren und man ihnen die Schrecken ihres Nahetodes noch ansah, waren sie von erlesener Schönheit.

 

»Wie ein Märchenwesen«, dachte Adalar und seine Blicke verweilten länger auf Svenja, als dies notwendig gewesen wäre. Besorgt musterte Syra ihren König. »Wenn er sich nur nicht in die rothaarige Fremde verliebt, so wie er sie ansieht.« Dachte sie besorgt. »Das würde nie gut gehen. Ein Landbewohner und ein Wasserbewohner. Das ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.«Unwillig schüttelte sie den Kopf, um die besorgten Gedanken zu verdrängen und widmete sich dann wieder ihren Gästen.

 

»Willkommen in Aquarius, der Stadt der Meermenschen tief auf dem Grunde des Ozeans«, wandte sich der König an die beiden Besucherinnen. »Wir haben euer Unglück verfolgt und konnten euch gerade im letzten Moment noch zur Rettung eilen. Leider ist das Schiff, mit dem ihr unterwegs gewesen seid, weitergefahren. Währenddessen aber glittet ihr unter Wasser über die Grenze unserer Dimensionen. Ich selbst weiß leider keinen Weg, wie ich euch wieder in eure Welt bringen kann, aber ich kenne jemanden, der dies vielleicht vermag.«

 

 

 

Svenja bekam große Augen. »Wir sind in einer anderen Dimension?« Fragte sie unsicher. »Ja. Ihr seid am Grunde des Ozeans, der die vergessene Insel, jenseits von Zeit und Raum, umgibt.« Nun mischte sich auch Marie-Anna ein. »Euer Hoheit«, fing sie beherzt an zu sprechen. »Ihr sagt, dass ihr jemand kennen würdet, der uns helfen kann. Wer ist das? Könnt ihr uns mehr über diese Person erzählen? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sie die einzige Chance für uns, nach Hause zurückzukehren«, fragte sie neugierig und strich sich nervös eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich beim Trocknen gekringelt hatten.

 

»Dazu muss ich etwas weiter ausholen, damit ihr die Geschichte der Insel besser versteht und Semiramis Rolle in dieser«, gab der König bereitwillig Auskunft. Vor vielen Jahren wurde diese Insel von dem schwarzen Hexer Maglador beherrscht. Nur wenige kämpften noch gegen ihn und seine fürchterlichen Armeen von Trollen, Zwergen und Formwandlern. Auch die abtrünnigen Vampire und bösen Hexen folgten ihm und überzogen unsere Insel mit Hass und Krieg. Adalar setzte sich auf einen der wenigen Stühle und forderte mit einer Handbewegung die anwesenden Frauen auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Dann setzte er seine Erzählung fort. Svenja und Marie-Anna lauschten ihm mit angehaltenem Atem.

 

Vor ihren inneren Augen schienen die Ereignisse wie in einem Film abzulaufen,so anschaulich und fesselnd  erzählte der König. War dies alles hier auf dieser mystischen Insel wirklich passiert? Gab es nicht nur Meermenschen, sondern auch Vampire, Hexen und Zauberer. Ruhig erzählte Adalar weiter. »Als die guten Völker der Insel schon fast die Hoffnung auf Frieden aufgegeben hatten, wurde eine Prophezeiung verbreitet. Es würde eine Frau kommen, halb Vampir und halb Magier, die Maglador zu Fall bringen könnte. Lange warteten wir auf die Retterin, aber sie kam nicht. Maglador säte derweil weiter Hass und Feindschaft und schaffte es, die Völker untereinander fürchterlich zu entzweien. Vampire hielten die Einhörner für ihre Feinde, die Magier kämpften gegen die Vampire. Jeder dachte, der andere würde Krieg gegen ihn führen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Copyrihgt verbleibt beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 11.04.2010
ISBN: 978-3-7368-5548-9

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